BFH Beschluss v. - X B 194/06

Bezugnahme auf die Urteilsbegründung in einer anderen Entscheidung; Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde

Gesetze: FGO § 53, FGO § 54, FGO § 76, FGO § 119

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Hierbei kann offenbleiben, ob dies bereits deshalb der Fall ist, weil die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ihre gegen das angefochtene Urteil gerichtete Beschwerde nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt hat und weil die Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) nicht eingehalten wurde. Zudem bedarf es auch keiner Entscheidung des angerufenen Senats über den Antrag der Klägerin, ihr für den Fall der Versäumung der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Unzulässigkeit der Beschwerde folgt im Streitfall bereits daraus, dass die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 FGO entspricht.

1. Gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesfinanzhof (BFH) einzulegen. Die Zustellung wird im Fall der Zustellung mittels Zustellungsurkunde (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 176 und § 177 der Zivilprozessordnung —ZPO—) grundsätzlich bewirkt mit der Übergabe des Schriftstücks an die Person, der es zugestellt werden soll. Sofern die Voraussetzungen des § 178 Abs. 1 ZPO vorliegen, ist u.a. eine Ersatzzustellung in der Wohnung (Nr. 1) oder in Geschäftsräumen (Nr. 2) zulässig. Ist die Zustellung nach § 178 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 ZPO).

a) Ausweislich der hierüber angefertigten Postzustellungsurkunde (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 182 ZPO) hat der Postbedienstete am vergeblich versucht, das (später angefochtene) Urteil des Finanzgerichts (FG) an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu übergeben. Er hat es sodann in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Geht man von diesen Angaben aus, wäre die Zustellung am bewirkt. Die Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO endete danach am (§ 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, und i.V.m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—). Der erst am eingelegte Rechtsbehelf wäre mithin verspätet.

b) Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bringt hierzu unter Hinweis auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung einer Mitarbeiterin vor, es treffe entgegen des Vermerks in der Postzustellungsurkunde nicht zu, dass der Postbedienstete vergeblich versucht habe, ihr das Schriftstück zu übergeben. Die Post stelle nicht vor 8.00 Uhr morgens zu. Ihr Büro sei aber ab 8.00 Uhr und mindestens bis 17.30 Uhr besetzt. Eine Übergabe des Schriftstücks sei möglich gewesen. Auch sei in der Zustellungsurkunde zu Unrecht vermerkt, das Schriftstück sei in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden. In dem betroffenen Gebäude befänden sich ausschließlich Geschäftsräume.

Der angerufene Senat kann offenlassen, ob dieser Vortrag zutrifft. Eine Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) hat für die Zustellung keine konstitutive Wirkung. Als öffentliche Urkunde erbringt die Zustellungsurkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Der Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen oder durch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs geführt werden. Hierfür genügt die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegte eidesstattliche Versicherung nicht (vgl. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 53 Rz 110, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Jedoch ist es in einem solchen Fall grundsätzlich geboten, dem betroffenen Beteiligten Gelegenheit zum Beweisantritt zu geben und sofern ein solcher erfolgt, eine Beweisaufnahme durchzuführen (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2000, 814). Hiervon kann der angerufene Senat im Streitfall jedoch absehen. Läge wie von der Klägerin behauptet, keine wirksame Zustellung am vor, wäre die Zustellung mit dem tatsächlichen Zugang des Urteils bewirkt (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 189 ZPO; vgl. hierzu Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 53 Rz 135 ff.). Die Prozessbevollmächtigte führt selbst aus, dass sie das Urteil am erhalten hat. In diesem Fall wäre die Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingehalten. Gleichwohl wäre die Beschwerde wegen der nicht ausreichenden Beschwerdebegründung unzulässig (siehe unter 3.). Auf die Frage der Versäumung der vorgenannten Frist kommt es deshalb nicht entscheidend an.

Aus diesem Grund muss der angerufene Senat auch nicht der Frage nachgehen, ob der Klägerin entsprechend ihrem Antrag für den Fall der Versäumung der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren wäre.

2. Im Streitfall kann auch offenbleiben, ob die Klägerin die Frist zur Beschwerdebegründung (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO) versäumt hat, weil die Beschwerde aus einem anderen Grund unzulässig ist.

Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist wäre am abgelaufen, wenn das Urteil am wirksam zugestellt worden wäre (§ 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, und i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Da die Beschwerdebegründung erst am beim BFH eingegangen ist, wäre die Begründungsfrist versäumt (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 20). Wurde hingegen die Zustellung des später angefochtenen Urteils erst mit dessen tatsächlichen Zugang am bewirkt, wäre die Beschwerdebegründungsfrist eingehalten worden. Auf die Klärung dieser Frage kommt es indessen nicht entscheidend an, weil keine ausreichende Beschwerdebegründung vorliegt (siehe unter 3.).

3. Die Beschwerde ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Beschwerdebegründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.

Hierbei kann es der angerufene Senat offenlassen, ob dies bereits daraus folgt, dass die Klägerin sich in ihrer Beschwerdebegründung lediglich mit Fragen des Betriebsausgabenabzugs befasst, die Gegenstand der Beschwerdeverfahren X B 153/06 (wegen Einkommensteuer) und X B 154/06 (wegen Gewerbesteuer) sind. Hingegen spricht die vorliegende Beschwerdebegründung jedenfalls nicht ausdrücklich Fragen an, welche die vorliegend streitigen Umsatzsteuerbescheide betreffen. Selbst wenn man aber zugunsten der Klägerin davon ausgeht, das klägerische Vorbringen sei im Wege der Auslegung in dem Sinne zu verstehen, dass die in den vorgenannten Verfahren erhobenen Rügen sinngemäß auch in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren vorgetragen werden sollen, ist der Vortrag nicht ausreichend.

a) Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) sowie gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO kann u.a. dann gegeben sein, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem schriftlich festgehaltenen Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (Beschluss des angerufenen Senats vom X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Keinen Verfahrensfehler, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler stellt hingegen die möglicherweise fehlerhafte Würdigung des Vorbringens der Beteiligten oder erhobener Beweise durch das FG dar. Aus diesem Grund muss die Rüge eines solchen Verfahrensfehlers eingehend begründet werden (, BFH/NV 2007, 741). Insbesondere muss der übergangene Vortrag unter Hinweis auf eine Fundstelle in den Verfahrensakten genau bezeichnet werden (, BFH/NV 2005, 2212).

Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. In dieser wird im Stil einer Revisionsbegründung lediglich pauschal behauptet, das FG sei in dem angefochtenen Urteil auf das Vorbringen der Klägerin nicht eingegangen. Auch berücksichtigt diese nicht, dass im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass ein Gericht das Vorbringen eines Beteiligten, das im Tatbestand oder den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils angesprochen ist, nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in Erwägung gezogen hat (, BFH/NV 2007, 80, m.w.N.).

b) Die Klägerin rügt auch nicht schlüssig, das angefochtene Urteil sei (zum Teil) nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO). Dieser Verfahrensfehler ist dann gegeben, wenn den Prozessbeteiligten die Grundlage entzogen ist, die betroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dies ist auch der Fall, wenn die in dem Urteil angestellten Erwägungen nur in inhaltslosen Floskeln bestehen und die Urteilsbegründung eine Auseinandersetzung mit den tragenden Argumenten der Beteiligten vermissen lässt (Senatsbeschluss vom X B 160/05, BFH/NV 2007, 480).

Die Klägerin trägt hierzu vor, das FG sei auf ihren gesamten Sachvortrag nicht eingegangen. Sie setzt sich indessen nicht mit den maßgeblichen Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander. Sie berücksichtigt insbesondere nicht, dass das FG den Abzug der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) nicht anerkannten Vorsteuerbeträge mit der Begründung versagt hat, die Klägerin sei ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Hierzu musste das FG nicht auf jede einzelne streitige Position eingehen. Denn die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch die Klägerin bezog sich nach Auffassung des FG auf alle vom FA nicht berücksichtigten Aufwendungen (FG-Urteil, S. 6 insbesondere unter Bezugnahme auf das FG-Urteil im Verfahren 6 K 1894/03, S. 8, Abs. 1 und 2). Eine solche Bezugnahme war zulässig. Denn das Urteil, auf welches das FG Bezug genommen hat, ist auch gegenüber der Klägerin ergangen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung es grundsätzlich nur dann als statthaft angesehen hat, in der Urteilsbegründung auf eine andere Entscheidung zu verweisen, wenn diese andere Entscheidung zwischen denselben Beteiligten ergangen ist (, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591, und Senatsbeschluss vom X B 19/06, juris). Dieses Erfordernis ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Beteiligten in beiden Verfahren identisch sein müssen. Vielmehr geht es darum, ob das Urteil, das auf eine andere Entscheidung Bezug nimmt, gegenüber Beteiligten ergeht, die auch Beteiligte des anderen Verfahrens waren und denen deshalb das in Bezug genommene Urteil bekannt ist oder spätestens im Zeitpunkt der Zustellung des anderen Urteils bekannt wird (, Betriebs-Berater 1991, 506 zu § 551 Nr. 7 ZPO).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn die Klägerin war neben ihrem Ehemann auch Klägerin im Verfahren 6 K 1894/03. Das dort ergangene Urteil ist ihr bereits am zugestellt worden. Das FG durfte daher in dem vorliegend angefochtenen Urteil auf die Gründe des Urteils im Verfahren 6 K 1894/03 Bezug nehmen. Damit war das Urteil mit einer ausreichenden Begründung versehen.

c) Auch die Rüge, das FG habe seine Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, ist nicht schlüssig erhoben. Ein solcher Verfahrensfehler kommt in Betracht, wenn das FG den Beweisantrag eines Beteiligten zu Unrecht übergangen hat oder sich dem FG die Aufklärung des Sachverhalts auch ohne entsprechenden Beweisantritt hätte aufdrängen müssen (, BFH/NV 2007, 751).

Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass das FG einen Beweisantrag übergangen hat.

Die Klägerin legt auch nicht schlüssig dar, dass sich dem FG die weitere Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Verletzt ein Beteiligter die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, so führt dies regelmäßig zu einer Einschränkung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (, BFH/NV 2005, 1605). Aus diesem Grund hätte die Klägerin eingehend aufzeigen müssen, dass sie ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen ist. Hierfür ist ihr Vortrag nicht ausreichend, sie habe dem FA sämtliche Belege an Amts Stelle vorgelegt und habe Rede und Antwort gestanden. Sie hat keine Gründe vorgetragen, weshalb die Beträge, welche das FA in den angefochtenen Bescheiden angesetzt hat, unzutreffend sind.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1700 Nr. 9
XAAAC-51295