BGH Urteil v. - VI ZR 70/06

Leitsatz

[1] § 108 SGB VII ist auch im Rechtsstreit des Arbeitgebers eines geschädigten Versicherten gegen den Schädiger anzuwenden.

Gesetze: SGB VII § 108

Instanzenzug: AG Langen 3 C 651/04 (V) vom LG Stade 4 S 24/05 vom

Tatbestand

Der Beklagte lud am P. und andere Nachbarn zum Richtfest für sein Haus ein. Bei dieser Gelegenheit half unter anderem auch P., Dachlatten und Dachpfannen aufs Dach zu bringen. Er stürzte dabei von der Leiter, verletzte sich schwer und war geraume Zeit arbeitsunfähig.

Der Beklagte meldete den Unfall bei der Bauberufsgenossenschaft Hannover, an die er zuvor Beiträge bezahlt hatte. Diese kam für Behandlungskosten und Rehabilitationsmaßnahmen auf.

Die Klägerin zahlte für ihren unfallverletzten Arbeitnehmer P. das Entgelt fort und verlangt ihre Aufwendungen vom Beklagten ersetzt.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass der Unfall auf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten - und nicht etwa auf Unaufmerksamkeit des P. - beruhe; außerdem sei ihr Vortrag zu möglichen Verkehrssicherungspflichten unsubstantiiert. Der Widerklage des Beklagten auf Rückzahlung bereits geleisteter 500 € gab es statt.

Die Berufung der Klägerin war im Ergebnis erfolglos. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Entgeltfortzahlung im Wesentlichen deshalb abgelehnt, weil zugunsten des Beklagten § 104 SGB VII eingreife. Der Beklagte sei Unternehmer eines nicht gewerbsmäßigen Hausbaus gewesen. Zu diesem Unternehmen habe P. am Unfalltag in einer "sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung" im Sinn des § 104 Abs. 1 SGB VII gestanden. Dies ergebe sich aus der beigezogenen Akte der Bauberufsgenossenschaft Hannover. P. sei eine beschäftigtenähnliche Person gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gewesen, weil seine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert für den Beklagten und nach ihrem Gesamtbild arbeitnehmerähnlich gewesen sei.

Da die Klägerin einen Anspruch geltend mache, den sie gemäß § 6 EFZG von P. auf sich übergeleitet habe, sei § 104 Abs. 1 SGB VII anzuwenden. Diese Bestimmung schließe Ansprüche wegen Personenschäden aus und damit auch solche wegen Verdienstausfalls.

Umgekehrt könne der Beklagte bereits geleistete 500 € gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückfordern; § 814 BGB greife nicht ein.

II.

Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Berufungsgericht, dass die Klägerin infolge des Unfalls des P. vom keine eigenen, originären Ansprüche gegen den Beklagten erworben hat, dass aber, nachdem sie als Arbeitgeberin P. mehrere Wochen das Arbeitsentgelt fortgezahlt hatte, Ansprüche des P. gegen Dritte auf Schadensersatz wegen eines Verdienstausfalls gemäß § 6 EFZG, § 412 BGB auf sie übergegangen sind.

In Ermangelung tatsächlicher Feststellungen sind zugunsten der Revision die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht des Geschädigten zu unterstellen. Auf dieser Grundlage ist die Folgerung des Berufungsgerichts zutreffend, der Übergang dieses Anspruchs gehe dann ins Leere, wenn der Beklagte zum Ersatz des Personenschadens nicht verpflichtet sei, weil die Haftung des Beklagten für Personenschäden gemäß § 104 SGB VII gesperrt sei. Das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII umfasst Ansprüche auf Ersatz von Verdienstausfall. Zum Personenschaden zählt jeder Schaden, der seine tatsächliche Grundlage in einem Gesundheitsschaden hat (Kasseler Kommentar/Ricke, SGB VII, § 104 Rn. 5; Rapp in: LPK-SGB VII, § 104 Rn. 24). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 SGB VII vor, gibt es einen Anspruch des Versicherten P. gegen den Beklagten, der auf die Klägerin hätte übergehen können, nur in den Ausnahmefällen vorsätzlicher Schädigung oder bei einem Wegeunfall (vgl. AR-Blattei SD [Marschner], Kza. 1400.4 Rn. 15 ff., 23; Jahnke NZV 1996, 169, 173; ebenso für Fälle des Haftungsprivilegs gemäß § 105 SGB VII: Dörner in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 7. Auflage, § 6 EFZG Rn. 12; Schmitt, EFZG, 5. Auflage, § 6 Rn. 36).

2. Das Berufungsgericht hat indessen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 104 SGB VII unter Verstoß gegen die Bestimmung des § 108 SGB VII für gegeben erachtet.

Es hat den beigezogenen Akten der Bauberufsgenossenschaft Hannover entnommen, dass der Beklagte Beiträge entrichtet und diese Berufsgenossenschaft nach dem Unfall Heilbehandlungskosten und Rehabilitationsmaßnahmen für P. gezahlt, mithin ein Unfallversicherungsträger wegen des Unfalls vom ein Verfahren durchgeführt hat.

Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in jenem Verfahren eine die Parteien bindende Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls (§ 104 Abs. 1 SGB VII) erfolgt ist.

An eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung können die Zivilgerichte gebunden sein (§ 108 Abs. 1 SGB VII). Eine solche Bindung kann sich auch auf die Entscheidung erstrecken, ob der Geschädigte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses zu dem Beklagten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 SGB VII erlitten hat (vgl. Senat, BGHZ 166, 42, 44 f.), und damit darauf, ob die zum Unfall führende Verrichtung in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, sowie darauf, ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist (§ 108 Abs. 1 SGB VII).

Ist eine bindende Entscheidung ergangen, so ist das Zivilgericht an einer eigenen Entscheidung der Frage, ob der Beklagte "Unternehmer" im Sinn des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII war, gehindert (vgl. BSGE 17, 153, 155; Kasseler Kommentar/Ricke, aaO, § 108 SGB VII, Rn. 5).

Diese Bindung hat das Zivilgericht von Amts wegen zu berücksichtigen (Wussow/Schneider, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Auflage, Kap. 79 Rn. 5 m.w.N). Sie setzt der eigenen Sachprüfung - auch des Revisionsgerichts (vgl. Senat, BGHZ 158, 394, 397) - Grenzen. Ohne eine solche Bindung wären divergierende Ergebnisse nicht auszuschließen. Diese könnten für den Geschädigten untragbar sein, wenn etwa zwischen Zivilgericht und Unfallversicherungsträger unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls bestehen und der Geschädigte deshalb letztlich weder zivilrechtlichen Schadensersatz noch eine sozialversicherungsrechtliche Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhielte (vgl. Senat, BGHZ 158, 394, 397; 164, 117, 119; 166, 42, 44).

Sind die Zivilgerichte nach diesen Grundsätzen gebunden, dürfen sie - entgegen der Ansicht der Revision - nicht selbst prüfen, ob der Geschädigte als Versicherter für das Unternehmen des Beklagten tätig geworden war (vgl. Senat, BGHZ 166, 42, 44; Dahm in: Lauterbach, UV, 4. Aufl., § 108 Rn. 8; Kasseler Kommentar/Ricke, aaO, § 108 Rn. 5; Bereiter/Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl., § 108 SGB VII, Rn. 5; Krasney NZS 2004, 68, 72).

3. Da das Berufungsgericht die aus § 108 SGB VII folgende Bindungswirkung nicht beachtet hat, ist seine Entscheidung rechtsfehlerhaft und aufzuheben (§§ 562, 563 Abs. 1 ZPO).

Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil die vom Berufungsgericht bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen die abschließende Beurteilung der Bindung nach § 108 SGB VII nicht gestatten.

a) Es ist nicht ersichtlich, dass § 104 Abs. 1 SGB VII aus sonstigen Gründen nicht anzuwenden wäre. Übergangenen Vortrag zu Anhaltspunkten für einen der Ausschlusstatbestände des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (Vorsatz oder Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII) zeigt die Revision nicht auf.

b) Auf etwaige Feststellungen in den beigezogenen Akten nimmt das Berufungsgericht nicht Bezug, sondern stellt lediglich fest, dass P. "Versicherter" im Sinn von § 2 Abs. 2 SGB VII ("Wie-Beschäftigter") gewesen sei. Deshalb kann dahin stehen, ob eine solche summarische Bezugnahme auf eine beigezogene Akte unzulässig ist, weil - was die Revision in Zweifel zieht - regelmäßig angegeben werden muss, auf welchen Teil einer Beiakte Bezug genommen werden soll (vgl. - LM § 295 ZPO Nr. 9; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Auflage, § 313 Rn. 49).

Der Vermerk im Protokoll der Berufungsverhandlung vom , die Beiakte sei Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, vermag eine ordnungsgemäße Bezugnahme nicht zu ersetzen und führt nicht dazu, dass der erkennende Senat den gesamten Inhalt der Beiakte gemäß § 559 Abs. 1 ZPO berücksichtigen muss. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, einen für die Entscheidung möglicherweise bedeutsamen Sachverhalt anhand von (Bei-) Akten selbst zu ermitteln (vgl. - DAR 2006, 143).

c) Aufgrund der festgestellten Zahlungen der Bauberufsgenossenschaft ist freilich naheliegend, dass dieser Unfallversicherungsträger einen Versicherungsfall bejaht hat. Der erkennende Senat kann jedoch mangels jeglicher tatrichterlicher Feststellungen hierzu nicht beurteilen, ob eine Entscheidung, die regelmäßig gegenüber dem Geschädigten (hier: P.) ergeht, auch für die Prozessparteien des vorliegenden Rechtsstreits unanfechtbar und damit bindend ist.

d) Nach allem wird das Berufungsgericht im Rahmen des § 108 SGB VII zu prüfen haben, ob die Bauberufsgenossenschaft eine die Parteien bindende Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls (§§ 7 Abs. 1, 8, 104 SGB VII) durch Bescheid oder durch formlose Mitteilung (vgl. Wussow/Schneider, aaO, Kap. 79 Rn. 7) getroffen hat.

aa) Hat der Unfallversicherungsträger bejaht, dass der Unfall ein Versicherungsfall ist, wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob diese Entscheidung auch für die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits bindend ist.

(a) Der Beklagte - für den eine die Leistungspflicht der Berufsgenossenschaft bejahende Entscheidung günstig wäre - wäre grundsätzlich an eine verneinende Entscheidung nur dann gebunden, wenn er an dem Verwaltungsverfahren zwischen der Bauberufsgenossenschaft und P. gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X beteiligt worden war. Nach dieser Bestimmung ist ein Dritter auf seinen Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen, wenn dessen Ausgang für ihn rechtsgestaltende Wirkung hat und seine Rechtsstellung berührt oder berühren kann (vgl. Senat, BGHZ 129, 195, 200 f.; 158, 394, 397 f.; Wussow/Schneider, aaO, Kap. 79 Rn. 4). Diese Voraussetzungen liegen in der Person des Beklagten vor. Wurde der Unfall des P. nämlich durch die Bauberufsgenossenschaft nicht als Versicherungsfall anerkannt, müsste der Beklagte für den Personenschaden des P. selbst aufkommen, im gegenteiligen Fall dagegen nicht.

Wurde der Beklagte am Verwaltungsverfahren nicht in der gebotenen Weise beteiligt, wäre eine Entscheidung der Bauberufsgenossenschaft ihm gegenüber selbst bei Bestandskraft der Entscheidung gegenüber dem Geschädigten (vgl. Dahm in: Lauterbach, aaO, § 108 Rn. 12) grundsätzlich nicht bindend. Eine solche Bindung träte erst dann ein, wenn er auf Anfrage erklärt, an einer Wiederholung des Verwaltungsverfahrens kein Interesse zu haben (etwa weil das Ergebnis ihm günstig ist), oder er keine Erklärung abgibt (vgl. Senat, BGHZ 129, 195, 201). Andernfalls wäre das Verwaltungsverfahren auf seinen Antrag zu wiederholen und die Beteiligung nachzuholen (vgl. Rolfs in: Erfurter Kommentar, 7. Auflage, § 108 Rn. 5; vgl. auch Obermayer/Riedl, VwVfG, 3. Auflage, § 13 Rn. 70). Dann könnte die Entscheidung auch ihm gegenüber bestandskräftig werden und Bindungswirkung im vorliegenden Haftpflichtprozess haben.

Bis dahin hätte das Berufungsgericht sein Verfahren gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII - gegebenenfalls unter Fristsetzung - auszusetzen und wäre an einer eigenen Entscheidung über § 104 SGB VII gehindert (vgl. Senat, BGHZ 129, 195, 202; Dahm aaO).

(b) Auch für die Klägerin hat das Verwaltungsverfahren zwischen P. und der Bauberufsgenossenschaft rechtsgestaltende Wirkung zumindest ab dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des § 6 EFZG für einen gesetzlichen Übergang eventueller Ansprüche des P. vorlagen (vgl. - SozR 1500 § 75 Nr. 37; Wussow/Schneider, aaO, Kap. 73 Rn. 72 m.w.N.). Wurde der Unfall des P. durch die Bauberufsgenossenschaft als Versicherungsfall anerkannt, so stünde fest, dass die Haftung des Beklagten für Personenschäden des P. gemäß § 104 SGB VII gesperrt ist und solche Ansprüche deshalb auch nicht gemäß § 6 EFZG auf die Klägerin übergehen konnten.

In einem solchen Fall einer für die Parteien unanfechtbaren und bindenden, einen Versicherungsfall bejahenden Entscheidung wäre das angefochtene Urteil im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

bb) Besteht dagegen eine die Parteien bindende Entscheidung, die das Vorliegen eines Versicherungsfalls verneint, ist der Beklagte nicht gemäß § 104 SGB VII von der Haftung befreit, und das Berufungsgericht hätte insbesondere zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen (gesetzlichen) Anspruch des P. gegen den Beklagten - etwa wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB - gegeben sind. Hierzu hat das Berufungsgericht bisher - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

Fundstelle(n):
VAAAC-50921

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja