BFH Beschluss v. - X B 176/06

Verfahrensmangel durch unvollständige Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 96

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.

Mit Vertrag vom vereinbarten der Kläger, der als selbstständiger Immobilienmakler tätig war, und die Zeugin X eine an den Kläger zu zahlende Maklerprovision in Höhe von 3,45 v.H. des Kaufpreises (einschließlich Umsatzsteuer), falls es zum Erwerb des Grundstücks K-Straße in A durch die Zeugin kommen sollte. Als Kaufpreis waren 480 000 DM angegeben.

In einem „Zusatzvertrag zum Maklervertrag vom ” heißt es:

„Der Makler, Herr…(Kläger), erhält am eine Zahlung von DM 10 000 und sichert der Käuferin zu, dass die Immobilie K-Straße zum Preis von DM 480 000 auf die o.g. Käuferin übergeht. Der Eigentümer…erhält am eine Kaufpreissumme von DM 80 000 in bar von der Käuferin…(= Zeugin X). Der notarielle Kaufvertrag…wird am bei dem Notar…B…geleistet. Der Kaufpreis beträgt DM 400 000. Die Zahlung des genannten Kaufpreises von DM 400 000 wird bis (Anmerkung: meint offensichtlich 1995) auf das…Notaranderkonto geleistet.”

Unter dem Datum vom erteilte der Kläger der Zeugin X eine Rechnung über 13 800 DM (netto 12 000 DM plus 1 800 DM Umsatzsteuer), die die Zeugin Anfang Januar 1995 durch Überweisung des Rechnungsbetrages auf das Konto des Klägers bei der V-Bank A beglich. In dem zwischen dem Grundstücksveräußerer und der Zeugin abgeschlossenen notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag vom wurde der Kaufpreis mit 400 000 DM angegeben.

Im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmte die Steuerfahndung Y im Februar 2001 zahlreiche Unterlagen des Klägers; darunter befanden sich auch der o.a. Maklervertrag sowie der Zusatzvertrag vom . Der Prüfer ging davon aus, dass die im Zusatzvertrag zum Maklervertrag getroffenen Vereinbarungen durchgeführt worden seien. Bei den gewerblichen Einkünften des Klägers sei deshalb eine zusätzliche, bislang nicht erklärte Provisionseinnahme in Höhe von 10 000 DM zu erfassen. Dem Prüfer folgend erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) am einen entsprechenden, auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützten Einkommensteueränderungsbescheid für 1994.

Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machten die Kläger geltend, dass der Kläger den streitigen Provisionsbetrag in Höhe von 10 000 DM nicht erhalten habe. Sie stützten sich dabei auf eine schon dem Betriebsprüfer vorgelegte —vorgeblich von der Zeugin X stammende— Erklärung vom , in der es heißt:

„Hiermit erkläre ich, dass Herr…(Kläger) für die Vermittlung des Objekts…im Jahr 1994 nur eine Provision i.H. von 13 800 DM in bar erhalten hat.”

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage nach vorheriger Einvernahme der Grundstückskäuferin X als Zeugin als unbegründet abgewiesen.

Ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom hatte die Zeugin X u.a. Folgendes ausgesagt:

„Angesprochen auf die im Zusatzvertrag erwähnten Beträge von 10.000,— DM und 80.000,— DM:

Ich weiß noch, dass der Kläger Bargeld haben wollte. Ich kann mich allerdings nicht mehr daran erinnern, dass ich ihm Bargeld übergeben habe. Ich meine mich daran zu erinnern, dass meine Mutter…mir abgeraten hat, Bargeld zu übergeben, ich solle lieber eine Überweisung vornehmen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dem Grundstücksveräußerer…vor Beurkundung des Kaufvertrages etwas gezahlt zu haben.

Mir wird nunmehr vorgelegt eine Erklärung vom ….

Ich kann mich nicht daran erinnern, dieses Schriftstück unterzeichnet zu haben. Der Text ist nicht von mir geschrieben worden. Das ist nicht meine Handschrift. Ob die Unterschrift von mir stammt, kann ich nicht sagen. Die Schreibweise entspricht jedenfalls nicht meiner üblichen Unterschrift. Ich hatte auch mit dem Kläger im Jahre 2002 keinen Kontakt ...

...

(Nochmals) Angesprochen auf den Zusatzvertrag (...):

... Die Frage, ob es sein kann, dass ich zusätzlich zu der Maklerprovision 10.000,— DM an den Kläger gezahlt habe für die Zusicherung, dass ich das Grundstück erhalte, beantworte ich mit nein.”

Das FG begründete seine klageabweisende Entscheidung u.a. wie folgt:

Unter Würdigung der in der Betriebsprüfungsakte befindlichen Unterlagen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass der streitige Betrag von 10 000 DM dem Kläger im Streitjahr 1994 zugeflossen sei und dass die Nichtangabe dieser Einnahme in der Einkommensteuererklärung 1994 eine vorsätzliche Steuerhinterziehung darstelle.

Letztlich ausschlaggebend für die Überzeugungsbildung des Senats sei es, dass sich die Behauptung der Kläger, die Zeugin habe schriftlich bestätigt, der Kläger habe neben dem Rechnungsbetrag von 13 800 DM keine weitere Provision erhalten, als falsch erwiesen habe. Die Zeugin habe nämlich bekundet, dass die Bescheinigung vom nicht vor ihr ausgestellt und unterschrieben worden sei. Diesen Teil der Aussage der Zeugin halte der Senat für glaubhaft, weil die Bescheinigung erst 2002 ausgestellt worden sei und damit bei weitem nicht so weit zurückliege wie der Zusatzvertrag vom . Zum anderen habe die Zeugin schon zu Beginn ihrer Aussage, als es noch nicht um die Bescheinigung vom gegangen sei, erklärt, sie habe seit der Abwicklung des Grundstückskaufs —also seit Ende 1994/Anfang 1995— keine geschäftlichen oder privaten Kontakte mit dem Kläger gehabt.

Wenn aber die Bescheinigung vom nicht von der Zeugin stamme, bleibe nur die Schlussfolgerung, dass sie gefälscht worden sei, um eine für die Kläger niedrigere Steuerfestsetzung herbeizuführen.

Im Hinblick auf die vorliegende Steuerhinterziehung sei die Festsetzungsfrist bei Erlass des angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheids 1994 vom noch nicht abgelaufen gewesen.

Mit ihrer dagegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger u.a. Verfahrensmängel geltend. Das FG habe trotz Beweisantritts den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig festgestellt. Die schriftliche Erklärung der Zeugin X vom habe der Kläger eingeholt; sie sei von der Zeugin unterschrieben worden. Dass die Unterschrift von der Zeugin stamme, sei ohne Weiteres festzustellen. Der Antrag, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob die Unterschrift auf dem Zusatzvertrag von der Zeugin stamme, sei ausdrücklich gestellt worden. Dieser Antrag sei auch im Anschluss an die Vernehmung der Zeugin aufrechterhalten worden.

Maßgeblich für das FG sei gewesen, dass die Zeugin bekundet habe, die Bescheinigung vom sei nicht von ihr ausgestellt und unterschrieben worden. Diesen Teil der Aussage der Zeugin habe das FG für glaubhaft erachtet und daraus abgeleitet, dass die Erklärung vom gefälscht worden sei. Das sei unhaltbar. Der Beweisantritt schließe eine Fälschung aus.

Es sei geboten, das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend zu berücksichtigen. Die Zeugin habe zur Erklärung vom ausgeführt, sie könne sich „nicht daran erinnern, dieses Schriftstück unterzeichnet zu haben. Der Text (sei) nicht von (ihr) geschrieben worden. Das (sei) nicht (ihre) Handschrift. Ob die Unterschrift von (ihr stamme, könne sie) nicht sagen”.

Daraus habe das FG hergeleitet, die Zeugin habe „nämlich bekundet, dass die Bescheinigung vom nicht von ihr ausgestellt und unterschrieben worden (sei)”.

Dies sei unhaltbar und willkürlich. Der Tatsachenvortrag und das Ergebnis der Beweisaufnahme seien nicht gewürdigt worden. Wären der Vortrag und die Erklärungen der Zeugin eingeordnet und gewürdigt worden und wäre weiter Beweis erhoben worden, so wäre das FG zwingend zu einem anderen Ergebnis gelangt.

II. Die Beschwerde ist begründet. Die Kläger haben schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt. Ein solcher liegt auch tatsächlich vor.

1. Ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, insbesondere wenn das Gericht bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgeht, welcher dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten widerspricht, oder wenn das Gericht eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat (vgl. z.B. die Nachweise aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 80). Entsprechendes gilt, wenn die Entscheidung des FG auf einer Zeugenaussage beruht, die mit den protokollierten Bekundungen dieses Zeugen nicht im Einklang steht.

a) Letzteres trifft im Streitfall —wie die Kläger in ihrer Beschwerdebegründungsschrift zutreffend gerügt haben— zu. Nach den Ausführungen des FG im angefochtenen Urteil soll die Zeugin X bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom bekundet haben, „dass die Bescheinigung vom nicht von ihr…unterschrieben worden (sei)”. Dies widerspricht der im Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom festgehaltenen Aussage der Zeugin X. Ausweislich dieses Protokolls hat die Zeugin lediglich bekundet, dass sie sich nicht erinnern könne, die Erklärung vom unterzeichnet zu haben. Wörtlich heißt es dort:

„Ich (Anmerkung: Zeugin X) kann mich nicht erinnern, dieses Schriftstück unterzeichnet zu haben. Der Text ist nicht von mir geschrieben worden.…Ob die Unterschrift von mir stammt, kann ich nicht sagen. Die Schreibweise entspricht jedenfalls nicht meiner üblichen Unterschrift. Ich hatte auch mit dem Kläger im Jahre 2002 keinen Kontakt ...”

Unter diesen Umständen haben die Kläger zu Recht beanstandet, dass das FG nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen davon ausgehen durfte, die Unterschrift der Zeugin in der genannten Erklärung sei gefälscht.

b) Ebenso zutreffend haben die Kläger in ihrer Beschwerdebegründungsschrift geltend gemacht, dass die klageabweisende Entscheidung auf dem dargelegten Verfahrensfehler beruhen könne. Dies folgt bereits aus dem ausdrücklichen Hinweis im angefochtenen FG-Urteil (Seite 6, letzter Absatz), „letztlich ausschlaggebend für die Überzeugungsbildung des Senats (sei gewesen), dass sich die Behauptung der Kläger, die Zeugin habe schriftlich bestätigt, dass der Kläger neben dem Rechnungsbetrag von 13 800 DM keine weitere Provision erhalten habe, als falsch erwiesen (habe)”.

2. Der angerufene Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1698 Nr. 9
TAAAC-49637