BAG Urteil v. - 1 AZR 233/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 77

Instanzenzug: ArbG Oldenburg 5 Ca 376/03 vom LAG Niedersachsen 12 Sa 275/04 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine übertarifliche Zulage.

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit Jahren als gewerblicher Arbeitnehmer im Werk G beschäftigt. Auf sein Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metallindustrie des nordwestlichen Niedersachsen, Verbandsgruppe Oldenburg, Anwendung. Nach § 2 Nr. 2 des zum gekündigten und seitdem nachwirkenden Lohnrahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer vom idF vom (LRTV) kann die Arbeit im Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn vergeben werden. Die Einführung einer dieser Entlohnungsmethoden oder deren Änderungen sind nach § 2 Nr. 3 LRTV mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Nach § 4 Nr. 3 LRTV erhalten Zeitlohnarbeiter "entsprechend ihrer Leistung eine Leistungszulage". Diese beträgt "im Gruppendurchschnitt" 16 %.

Nach einer am von einer Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Betriebsrat geschlossenen Rahmenbetriebsvereinbarung zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohn sollten die gewerblichen Arbeitnehmer in ein Prämienlohnsystem überführt werden. Dazu kam es in der Folgezeit nicht. In einer Einigungsstellensitzung vom vereinbarten die Betriebsparteien in einer Aktennotiz in Nr. 1:

"Sollte am kein Arbeitsplatz in Prämie überführt worden sein und auch keine entsprechende Tendenz erkennbar sein, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer als Ausgleich 28 % auf den Tariflohn."

Mit Schreiben vom kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Rahmenbetriebsvereinbarung vom sowie alle dazu weiterhin vereinbarten Betriebsvereinbarungen samt aller Protokollnotizen und Anlagen zum . Am schloss sie mit dem Betriebsrat zwei neue Betriebsvereinbarungen (BV 2002-I und BV 2002-II). In der BV 2002-I vereinbarten die Betriebsparteien ua., dass die Beklagte keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen wird, die bis zum wirksam werden, und bestimmten in der Präambel, dass "der Umfang der den Mitarbeitern des Werkes G bislang übertariflich gewährten Leistungszulagen (Prämien) mit Wirkung zum ersatzlos entfallen wird". In der BV 2002-II heißt es ua.:

"2.1 Die Betriebsparteien sind sich darüber einig, daß die gleichmäßige Verteilung des tariflich in § 4 Ziffer 3 LRTV festgelegten Zulagenvolumens zunächst beibehalten bleibt. Dies bedeutet, daß den gewerblichen Arbeitnehmern weiterhin eine individuelle Leistungszulage (Prämienpauschale) in Höhe von 16 % monatlich bezogen auf ihre individuelle Lohngruppe gezahlt wird.

2.2 Darüber hinausgehende Leistungszulagen bzw. Prämienzahlungen werden letztmals für den Gehaltsmonat Dezember 2002 abgerechnet und ausbezahlt. Mit Wirkung zum werden daher insbesondere die individuellen Zahlungen zum Prämienlohnausgleich von z.Zt. 28 % auf den Tariflohn im Umfang des die tarifliche Dotierung übersteigenden Teils (zur Zeit also in Höhe von 12 %) ersatzlos entfallen. ...

3.1 Das Wirksamwerden dieser Vereinbarung löst sämtliche, die Einführung des Entlohnungsgrundsatzes "Prämienlohn" bzw. die Einführung sonstiger Zeitlohn- oder Prämienzulagen betreffende Betriebsvereinbarungen, insbesondere die Rahmenbetriebsvereinbarung vom , Akten- bzw. Protokollnotizen sowie alle damit in Zusammenhang stehenden rechtsbedeutsamen Erklärungen der Betriebspartner ab."

Die Beklagte zahlte an den Kläger bis zum einen Zuschlag iHv. 28 % auf den Tariflohn. Ab Januar 2003 erhielt er nur noch die tarifliche Zulage iHv. 16 % des Grundlohns.

Der Kläger hat mit seiner Klage die Fortzahlung der übertariflichen Zulage in Höhe von 12 % des tariflichen Grundlohns geltend gemacht. Er könne diese auf Grund betrieblicher Übung beanspruchen. Die Kürzung der Zulage sei unwirksam. Die eine Betriebsvereinbarung darstellende Aktennotiz vom sei unkündbar, solange es bei der Beklagten kein Prämienlohnsystem gebe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine monatliche Leistungszulage von 12 % beginnend ab dem Monat Januar 2003 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Fälligkeit der Vergütung für den jeweiligen Abrechnungsmonat zu zahlen;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) festzustellen, dass die Beklagte seine seit dem Monat Februar 2003 in der Abrechnung für den Monat Januar 2003 um 12 % gekürzte Vergütung unter Berücksichtigung der Erhöhung seines Gehaltes durch die Leistungszulage in Höhe von 12 % ordnungsgemäß abzurechnen und an ihn nachzuzahlen hat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie habe die früheren Betriebsvereinbarungen wirksam gekündigt. Außerdem seien deren Regelungen durch die am geschlossenen Betriebsvereinbarungen abgelöst worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klage weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen habe seine Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat seit Januar 2003 keinen Anspruch mehr auf eine übertarifliche Zulage.

I. Der vom Kläger in erster Linie verfolgte Feststellungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Feststellungsantrag zu 1) ist zulässig.

a) Wie die gebotene Auslegung ergibt, richtet sich die begehrte Feststellung auf eine übertarifliche Zulage in Höhe von 12 % aus dem tariflichen Grundlohn der maßgeblichen Tarifgruppe des LRTV. Über diese besteht zwischen den Parteien kein Streit. Wie sich aus der im Verfahren vorgelegten Entgeltabrechnung für Januar 2003 ergibt, handelt es sich um die Tarifgruppe 07.

b) Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Streitgegenstand ist die dem Kläger nach seiner Auffassung auf Grund der Aktennotiz vom sowie auf Grund betrieblicher Übung zustehende, über den Grundlohn und die Leistungszulage nach § 4 Nr. 3 LRTV hinausgehende übertarifliche Zulage.

c) Der Kläger hat an der begehrten Feststellung das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse.

aa) Die begehrte Feststellung ist auf eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten gerichtet. Damit handelt es sich um ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Eine Feststellungsklage muss sich nicht auf das Rechtsverhältnis als Ganzes beziehen, sondern kann auf einzelne daraus entstehende Rechte, Pflichten oder Folgen begrenzt sein (vgl. etwa - AP TzBfG § 12 Nr. 4 = EzA TzBfG § 12 Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen, zu B I 1 der Gründe mwN). Auch einzelne Ansprüche aus einem Schuldverhältnis sind Rechtsverhältnisse in diesem Sinn ( - AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 35 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 39, zu II 2 b der Gründe mwN).

bb) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht der Vorrang der Leistungsklage nicht entgegen. Zwar ist das rechtliche Interesse an der Erhebung einer Feststellungsklage in der Regel zu verneinen, wenn eine Leistungsklage möglich ist. Auch in diesem Fall kann aber ein Feststellungsinteresse gegeben sein, wenn das angestrebte Urteil trotz seiner lediglich feststellenden und einer Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet ist, den Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu verhindern ( - AP TzBfG § 12 Nr. 4 = EzA TzBfG § 12 Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen, zu B I 2 der Gründe mwN). Hiervon kann im Streitfall ausgegangen werden. Zum andern gilt der Vorrang der Leistungsklage vor der Feststellungsklage nicht für Klagen auf künftige Leistung nach §§ 257 bis 259 ZPO; zwischen diesen Klagen und einer Feststellungsklage kann der Gläubiger vielmehr wählen ( - BAGE 98, 76, zu I 2 a der Gründe). Er muss bei teils fälligen, teils noch nicht fälligen Ansprüchen auch keine Aufteilung in einen Leistungs- und Feststellungsantrag vornehmen ( - AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 65 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 5, zu A II der Gründe mwN). Auch deshalb kann der Kläger im Streitfall die Verpflichtung der Beklagten zur Fortzahlung der übertariflichen Zulage im Wege einer Feststellungsklage klären lassen.

2. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann seit Januar 2003 eine übertarifliche Zulage auf den Grundlohn nicht mehr beanspruchen. Ein Anspruch folgt weder aus der Aktennotiz vom noch aus betrieblicher Übung.

a) Die Aktennotiz vom vermag den Anspruch des Klägers nicht mehr zu rechtfertigen. Sie wurde spätestens durch die Betriebsvereinbarungen vom abgelöst.

aa) Die Nr. 1 der Aktennotiz vom war ihrem Inhalt nach eine Betriebsvereinbarung iSv. § 77 BetrVG. Die Betriebsparteien wollten damit erkennbar nicht nur eine Verpflichtung der Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat, sondern mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Ansprüche der Arbeitnehmer begründen. Die nach § 77 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG zu beachtende Schriftform ist gewahrt.

bb) Der Streitfall verlangte keine Entscheidung, ob die Nr. 1 der Aktennotiz vom gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstieß. Ihre Wirksamkeit konnte zugunsten des Klägers unterstellt werden. Ebenso konnte letztlich dahinstehen, ob sie nach der Kündigung vom gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG Nachwirkung entfaltete oder ob gar, wie der Kläger meint, die Kündigung ohne vorherige Einführung des Prämienlohnsystems ausgeschlossen war. Jedenfalls wurden die Regelungen in der Aktennotiz vom durch die Betriebsvereinbarungen vom zum wirksam abgelöst. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Betriebsparteien eine Angelegenheit, die sie durch Betriebsvereinbarung geregelt haben, unter Aufhebung dieser Vereinbarung für die Zukunft neu regeln. Es gilt das Ablösungsprinzip. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Nur soweit in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten ( - 1 AZR 419/03 - BAGE 111, 361, zu B II 4 a der Gründe mwN).

(2) Im Streitfall haben die Betriebsparteien mit den Betriebsvereinbarungen vom ua. die Nr. 1 der Aktennotiz vom abgelöst. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben sie in beiden Betriebsvereinbarungen unmissverständlich geregelt, dass zum alle Zulagen, die über das Zulagenvolumen des § 4 Nr. 3 LRTV hinausgehen - darunter insbesondere auch die übertarifliche Zulage von 12 % - ersatzlos entfallen und ua. die Rahmenbetriebsvereinbarung vom nebst der dazu vereinbarten "Aktennotizen" abgelöst werden. Die Regelungen in der Präambel zur BV 2002-I und in Nr. 2.1, 2.2 sowie in Nr. 3.1 der BV 2002-II sind entgegen der Auffassung des Klägers völlig eindeutig. In bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer wurde durch die ablösenden Betriebsvereinbarungen nicht eingegriffen. Das Schicksal der bis dahin geleisteten übertariflichen Zulagen wurde lediglich für die Zukunft geregelt.

b) Der Kläger hat auf die übertarifliche Zulage keinen Anspruch aus betrieblicher Übung.

aa) Eine betriebliche Übung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers voraus, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Maßgeblich ist, wie der Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen darf. Von einem entsprechenden Verpflichtungswillen kann der Arbeitnehmer trotz wiederholt gezahlter Leistungen dann nicht ausgehen, wenn der Arbeitgeber die Leistungen erkennbar auf Grund einer anderen, sei es auch nur vermeintlichen, tatsächlich nicht bestehenden Rechtspflicht erbracht hat ( - 1 AZR 111/05 - AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 23 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 14, auch zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen, zu A II 1 e (1) der Gründe mwN).

bb) Danach liegen die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung nicht vor. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerinnen haben die übertarifliche Zulage erkennbar stets deshalb gezahlt, weil sie davon ausgingen, hierzu auf Grund Nr. 1 der Aktennotiz vom verpflichtet zu sein. Der Kläger konnte daher nicht annehmen, ihm solle die übertarifliche Zulage auf Dauer unabhängig vom Schicksal der Aktennotiz gezahlt werden.

II. Der Antrag zu 2) fiel nicht zur Entscheidung an. Er ist nur für den Fall des Obsiegens mit dem Feststtellungsantrag zu 1) gestellt.

Fundstelle(n):
FAAAC-47316

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein