Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Produzierenden Gewerbes
Gesetze: StromStG § 2; StromStG § 9; StromStG § 11
Instanzenzug: VSt
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen, in dem Stahl und Stahlprodukte be- und verarbeitet sowie gehandelt werden. Im Jahr 2002 entfielen ca. 12,5 % der von der Klägerin erzielten Umsatzerlöse auf den Handel mit Stahlerzeugnissen, rd. 87,5 % der Umsatzerlöse wurde mit der Bearbeitung von Bandstahl erwirtschaftet; ca. 1 % des Gesamtumsatzes entfiel auf die Bearbeitung in Lohnaufträgen. Die Bearbeitung der im Unternehmen der Klägerin angelieferten Stahlcoils gestaltet sich wie folgt: Die Stahlcoils werden auf Präzisionslängsteilanlagen entsprechend den Vorgaben der Kunden geschnitten, darüber hinaus werden Stahlbänder einer Kantenbearbeitung unterzogen, indem die Kanten entgratet, arrondiert oder angephast werden.
Anfang November 2003 beantragte die Klägerin, ihr eine Erlaubnis zur steuerbegünstigten Entnahme von Strom gemäß § 9 Abs. 4 des Stromsteuergesetzes (StromStG) zu erteilen. Den Antrag hat der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt —HZA—) mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei dem Betrieb der Klägerin nicht um ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. von § 2 Nr. 3 StromStG handele. Gegenstand des Unternehmens sei der Stahlhandel, der dem Abschnitt G Unterklasse 51.52.2 (Großhandel mit Eisen, Stahl, Eisen- und Stahlhalbzeug) der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes, Ausgabe 1993 (WZ 93) zuzuordnen sei. Das Schneiden von Bandstahl sei eine handelsübliche Manipulation.
Der dagegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den Bescheid des HZA in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das HZA, der Klägerin eine Erlaubnis zur Entnahme von nach § 9 Abs. 3 StromStG ermäßigt besteuertem Strom zu erteilen.
Zur Begründung führte das FG aus: Die Zuordnung eines Unternehmens erfolge bei der Beurteilung, ob es sich um ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes handele, in enger Anlehnung an die WZ 93 nach dem jeweiligen Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens (§ 15 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes —StromStV—). Allein maßgeblich sei dabei die WZ 93, denn § 2 Nr. 3 StromStG in der Fassung des am in Kraft getretenen Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom (BGBl I, 4602) verweise ausdrücklich nur noch auf sie. Für die Entscheidung sei nur diese Gesetzesfassung maßgeblich, denn im Streitfall werde der Erlass eines gebundenen Verwaltungsakts beansprucht. Der Tätigkeitsschwerpunkt der Klägerin liege in der Bearbeitung von Bandstahl. Exemplarisch für das Tätigkeitsfeld sei die Verarbeitung von sog. Stahlcoils auf bestimmten Anlagen zu Spaltbändern sowie die Kantenbearbeitung der Stahlbänder zu nennen. Diese Vorgänge seien dem Abschnitt D Unterklasse 28.52.1 WZ 93 zuzuordnen, da es sich bei den im Unternehmen erbrachten Werkleistungen um Verarbeitungsvorgänge handele, die den in den Erläuterungen der WZ 93 beschriebenen Herstellungsmethoden —Sägen und Richten von metallischen Werkstücken— vergleichbar seien.
Eine Zuordnung des Unternehmens zu dem in Abschnitt G Unterklasse 51.52.2 (Großhandel mit Eisen und Stahl, Eisen und Stahlhalbzeug) WZ 93 klassifizierten Handelsgewerbe komme demgegenüber nicht in Betracht. Im Unterschied zu einer handelsüblichen Manipulation, die Voraussetzung für die Zuordnung eines Unternehmens zum Handelsgewerbe sei, komme es bei dem Produzierenden Gewerbe vor dem Weiterverkauf der Ware zu einer wesentlichen Veränderung der Ware; sie werde dabei nicht nur der im Handel üblichen Behandlung unterzogen (z.B. Sortieren, Trennen, Zusammenstellen). Die Bearbeitung der Stahlbänder stelle keine handelsübliche Manipulation dar, weil aus den Stahlbändern neue Fertigformate hergestellt würden und insbesondere spezielle Kundenwünsche Berücksichtigung fänden. Es handele sich demnach um eine Produktion nach Maß.
Mit seiner Beschwerde begehrt das HZA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) sowie zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob es sich bei dem von der Klägerin geführten Unternehmen um ein solches des Produzierenden Gewerbes i.S. von § 2 Nr. 3 StromStG handele, was jedenfalls dann auszuschließen sei, wenn die Klägerin lediglich handelsübliche Manipulationen vornehme. Die Beantwortung der Rechtsfrage würde deshalb auch zur Klärung des Begriffs „handelsübliche Manipulation” beitragen.
Im Übrigen sei klärungsbedürftig, wie der unbestimmte Rechtsbegriff des Produzierenden Gewerbes in § 2 Nr. 3 StromStG auszulegen sei. Für die Beurteilung könne die WZ 93 nicht allein maßgeblich sein, weil diese nicht jeden einzelnen Fall exakt beschreiben könne. Vielmehr seien die Kriterien der WZ 93 durch die „Systematik der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1979” (WZ 79) zu ergänzen. In der WZ 79 sei das Anarbeiten von Stahl —wie etwa das Biegen, Lochen, Anschweißen und Verformen— ausdrücklich als handelsübliche Manipulation eingestuft worden; davon habe man bei der Abfassung der WZ 93 nicht abweichen wollen. Im Übrigen werde das Anarbeiten von Stahl auch von der Europäischen Stahlhandelsstatistik erfasst, was gegen die Einschätzung als einer Tätigkeit, die in einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes durchgeführt werde, spreche.
Die Klägerin tritt der Beschwerde entgegen.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe zum Teil nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO fordert, jedenfalls aber die behauptete grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht vorliegt.
1. Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der gestellten Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (Klärungsbedürftigkeit) und dass dem Revisionsgericht eine Klärung im Streitfall auch möglich ist —Klärungsfähigkeit— (vgl. , BFH/NV 2004, 232, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.).
Unabhängig davon, dass das Vorbringen des HZA diesen Anforderungen nicht voll gerecht wird, liegt die behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht vor.
a) Die Beantwortung der vom HZA sinngemäß als klärungsbedürftig formulierten Frage, ob das Unternehmen der Klägerin dem Produzierenden Gewerbe zugeordnet werden kann, hängt allein von den Umständen des Einzelfalls ab und lässt deshalb ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Frage nicht erkennen.
In dem vom HZA angestrebten Revisionsverfahren könnte eine Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage nur anhand der im Streitfall maßgeblichen Verarbeitungsmethoden, z.B. des Zuschneidens der Stahlcoils sowie der anschließenden Bearbeitung der Kanten der Stahlbänder, herbeigeführt werden, abhängig von den spezifischen Eigenheiten eines in der Stahlbranche tätigen Unternehmens. Die Beantwortung der vom HZA gestellten Frage wäre demnach nur für die richtige Rechtsanwendung im Einzelfall bedeutsam, was jedoch —da mögliche Fehler bei der Anwendung und Auslegung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall für sich gesehen die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht begründen— nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. , BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24, m.w.N.).
b) Soweit das HZA meint, es stehe nicht fest, wie der unbestimmte Rechtsbegriff des Produzierenden Gewerbes auszulegen sei, fehlt es bereits an der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage. Denn die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs ergibt sich im Einzelnen aus § 2 Nr. 3 und 4, § 11 Nr. 2 StromStG i.V.m. § 15 StromStV sowie der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen WZ 93 einschließlich deren Vorbemerkungen. Vorbehaltlich der in § 15 StromStV vorgesehenen Abweichungen folgt aus diesen Festlegungen, dass die Zuordnung zum Produzierenden Gewerbe grundsätzlich in enger Anlehnung an die statistischen Zuordnungsmethoden nach dem Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit erfolgen soll und vom Gesetzgeber eine weitgehende Kongruenz zwischen statistischer und stromsteuerrechtlicher Einordnung angestrebt wird (vgl. , BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321; vom III R 161/73, BFHE 118, 516, BStBl II 1976, 410; vom VII R 23/03, BFHE 207, 88; Senatsbeschluss vom VII B 173/04, BFH/NV 2005, 1390).
Auch wenn das HZA vorträgt, die WZ 93 erfasse nicht exakt jeden Einzelfall, so bleibt sie doch für die Beurteilung, ob ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes vorliegt, allein maßgeblich. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt sich insoweit nicht. Insbesondere kommt ein Rückgriff auf die WZ 79 nicht in Betracht. Denn durch Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform hat der Gesetzgeber die zunächst dynamisch angelegte Verweisung durch die Beifügung der Angabe „Ausgabe 1993 (WZ 93)” gemäß § 2 Nr. 3 StromStG mit Wirkung vom in eine statische Verweisung umgewandelt und damit die ausschließliche Anwendung der WZ 93 festgeschrieben (BFH-Urteil in BFHE 207, 88).
Für die Heranziehung von Kriterien, die nicht in der Klassifikation der Wirtschaftszweige bzw. den dazugehörigen Vorbemerkungen angelegt sind —wie etwa die vom HZA angeführte Empfehlung der Kommission 94/780/EGKS (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1994 Nr. L 314/27) zur An- und Umarbeitung von Eisen- und Stahlerzeugnissen durch den Handel selbst— verbleibt demgegenüber kein Raum.
2. Da mit der Beschwerde keine klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert wird, kommt auch eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht in Betracht (vgl. , BFH/NV 2002, 652; Senatsbeschluss vom VII B 263/02, BFH/NV 2003, 835).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1362 Nr. 7
WAAAC-46937