BFH Urteil v. - VII R 34/06 BStBl 2008 II S. 215

Aufrechnung gegen Anspruch auf Eigenheimzulage im Insolvenzverfahren

Leitsatz

Der Anspruch auf Eigenheimzulage für die dem Beginn der Eigennutzung folgenden Kalenderjahre wird insolvenzrechtlich mit dem Beginn des betreffenden Kalenderjahres begründet. Liegt dieser Zeitpunkt nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen diesen Anspruch unzulässig.

Gesetze: AO § 226 Abs. 1EigZulG § 3EigZulG § 4EigZulG § 10EigZulG § 11InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des H (Schuldner). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) hatte mit Bescheid vom für den Schuldner Eigenheimzulage in Höhe von 8 000 DM jährlich für den Zeitraum 1996 bis 2003 festgesetzt. Nachdem das FA Kenntnis davon erhalten hatte, dass der Schuldner am einen Miteigentumsanteil an dem Objekt verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Erdgeschoss seiner Ehefrau übertragen hatte, hob es mit dem Kläger bekannt gegebenen Bescheid vom die Eigenheimzulage ab 2002 auf und forderte den für 2002 bereits gezahlten Betrag von 4 090,34 € (= 8 000 DM) zurück. Unter Berücksichtigung des dem Schuldner verbliebenen Miteigentumsanteils an dem Objekt setzte das FA mit Bescheid vom Eigenheimzulage für den Zeitraum 2002 bis 2003 in Höhe von jährlich 2 045,17 € (= 4 000 DM) fest. Nachdem das FA im Mai 2003 gegen den Anspruch des Schuldners auf Zahlung der Eigenheimzulage für das Jahr 2003 mit dem (hälftigen) Rückforderungsanspruch betreffend die Eigenheimzulage 2002 durch entsprechende Umbuchungen aufgerechnet, der Kläger jedoch der Aufrechnung widersprochen und die Zahlung des Betrags für 2003 verlangt hatte, erließ das FA einen entsprechenden Abrechnungsbescheid, der den Anspruch auf Eigenheimzulage 2003 als durch Aufrechnung erloschen auswies.

Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Das FG urteilte, dass § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) der Aufrechnung nicht entgegenstehe, da der Anspruch des Schuldners auf Zahlung der Eigenheimzulage in seinem Kern schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei. Der Schwerpunkt des zum Anspruch auf Eigenheimzulage führenden Lebenssachverhalts liege zu Beginn des Förderzeitraums und nicht in der jährlich andauernden Nutzung des Objekts zu eigenen Wohnzwecken.

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, dass bei der Frage, ob der Anspruch auf Zahlung der Eigenheimzulage vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sei, nicht jahresüberschreitend auf den Zeitpunkt der Herstellung/Anschaffung des Objekts abgestellt werden dürfe, da das Gesetz einen Anspruch auf Eigenheimzulage für jeweils ein Jahr an die Nutzung zu Wohnzwecken durch den Anspruchsberechtigten knüpfe.

Das FA schließt sich der Auffassung des FG an.

II.

Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des angefochtenen Abrechnungsbescheids (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der Anspruch des Schuldners auf Zahlung der Eigenheimzulage 2003 ist nicht durch Aufrechnung erloschen, da § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung entgegensteht. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

Für die Frage, ob die Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO möglich ist, ist es nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats entscheidend, dass die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 der Abgabenordnung (AO) entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich „begründet” sind. Im Insolvenzverfahren des Steuerpflichtigen kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob die Forderung der Finanzbehörde eine Insolvenzforderung ist (§ 38 InsO) und ob gegen eine Forderung des Insolvenzschuldners die Aufrechnung erklärt werden kann, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Weise „begründet” worden ist, dass der zugrunde liegende Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen muss auch der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung und damit die Aufrechenbarkeit eines steuerrechtlichen Anspruchs des Schuldners gegen die Finanzbehörde beurteilt werden (vgl. , BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195; vom VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, jeweils m.w.N.).

Bei der Eigenheimzulage ist insoweit zu berücksichtigen, dass sie nicht einmalig, sondern im Rahmen eines auf acht Jahre angelegten Dauerschuldverhältnisses (Förderzeitraum gemäß § 3 des EigenheimzulagengesetzesEigZulG—) jahresabschnittsweise gewährt wird. Hat der Förderzeitraum mit der Herstellung bzw. Anschaffung der Wohnung begonnen, entsteht der Anspruch für das erste Kalenderjahr mit der Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken und für jedes weitere Kalenderjahr des Förderzeitraums mit dem Beginn dieses Jahres, wenn die Voraussetzungen der § 1, § 2, § 4 und § 6 EigZulG weiterhin vorliegen, insbesondere die Wohnung vom Berechtigten auch in diesem Jahr zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird (§ 4 Satz 1, § 10, § 11 Abs. 3 EigZulG). Dass die Eigenheimzulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EigZulG bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nicht nur für das erste Kalenderjahr, sondern zugleich für die Folgejahre festgesetzt wird, ist eine rein verfahrensrechtliche Regelung, die —insbesondere im Hinblick auf die Vorschrift des § 10 EigZulG— nicht den Schluss zulässt, dass mit der erstmaligen Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auch bereits die Ansprüche für sämtliche Kalenderjahre des Förderzeitraums begründet werden.

Bei Dauerschuldverhältnissen dieser Art, in denen steuerrechtliche Ansprüche zeitabschnittsweise unter der Bedingung entstehen, dass die Anspruchsvoraussetzungen auch in dem betreffenden Zeitabschnitt erfüllt sind, kann somit nicht angenommen werden, dass der Anspruch bereits zu Beginn des Dauerschuldverhältnisses insolvenzrechtlich begründet wird. Abzustellen ist vielmehr auf den jeweiligen Zeitabschnitt und darauf, zu welchem Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen vorliegen, die für diesen Zeitraum den Anspruch entstehen lassen. Dieser Betrachtungsweise steht auch nicht entgegen, dass —wie sich aus der vorstehend angeführten Rechtsprechung des erkennenden Senats ergibt— es bei der Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht auf den Zeitpunkt der steuerrechtlichen Entstehung des Anspruchs, sondern auf den Zeitpunkt ankommt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Knüpft nämlich die steuerrechtliche Vorschrift für die Anspruchsentstehung an die Verwirklichung eines bestimmten Lebenssachverhalts an, wie es beim Anspruch auf Eigenheimzulage für die Folgejahre im Förderzeitraum der Fall ist, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Zeitpunkt der steuerrechtlichen Anspruchsentstehung und der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung des Anspruchs identisch sind.

Da im Streitfall davon auszugehen ist, dass der Schuldner im Jahr 2003 den bei ihm verbliebenen Teil des begünstigten Objekts zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat und auch die Voraussetzungen der § 1, § 2 und § 6 EigZulG weiterhin vorlagen, ist sein Anspruch auf Eigenheimzulage für das Jahr 2003 gemäß § 10 EigZulG mit dem Beginn dieses Kalenderjahres und damit erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden. Die Aufrechnung gegen diesen Anspruch ist daher gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.

Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 215
BB 2007 S. 1377 Nr. 25
BFH/NV 2007 S. 1393 Nr. 7
BStBl II 2008 S. 215 Nr. 6
DB 2007 S. 1450 Nr. 26
DStR 2008 S. 18 Nr. 1
DStRE 2007 S. 1060 Nr. 16
DStZ 2007 S. 443 Nr. 14
FR 2008 S. 195 Nr. 4
HFR 2007 S. 731 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2007 S. 1989
SJ 2007 S. 17 Nr. 16
StB 2007 S. 247 Nr. 7
StBW 2007 S. 6 Nr. 13
StC 2007 S. 13 Nr. 7
ZIP 2007 S. 1225 Nr. 25
WAAAC-46655