BGH Beschluss v. - IX ZB 113/05

Leitsatz

[1] Hat der Gläubiger im Anwendungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung die Anmeldefrist schuldlos versäumt, ist § 296 ZPO entsprechend anzuwenden; § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt nicht.

Gesetze: GesO § 5 Nr. 3; GesO § 14 Abs. 1; ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1 A

Instanzenzug: AG Neuruppin 15 N 455/96 vom LG Neuruppin 5 T 116/04 vom

Gründe

I.

In dem am eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin hat das Insolvenzgericht die Anmeldefrist für Forderungen auf den bestimmt. Den Prüfungstermin hat es auf den festgelegt. Im Jahre 1993 hatte die Schuldnerin Grundstücke an die Rechtsvorgängerin der beteiligten Gläubigerin (fortan nur Gläubigerin) veräußert. Seit Herbst 1998 führte der beteiligte Gesamtvollstreckungsverwalter (fortan nur Verwalter) gegen die Gläubigerin einen Rechtsstreit, mit dem er hinsichtlich einer Teilfläche die Zustimmung der Gläubigerin zur Grundbuchberichtigung begehrte. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht verurteilte die Gläubigerin durch Urteil vom zur Zustimmung. Der Bundesgerichtshof nahm die Revision der Gläubigerin durch Beschluss vom nicht zur Entscheidung an.

Mit Schreiben vom meldete die Gläubigerin ihren Anspruch auf Rückzahlung des für die Teilfläche geleisteten Kaufpreises von umgerechnet 1.290.158,14 € zur Tabelle an. Der Verwalter ist der Aufnahme in die Tabelle unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 GesO in Verbindung mit §§ 233 f ZPO entgegengetreten. Die Vorinstanzen haben den Antrag der Gläubigerin, der nachträglichen Aufnahme der nach Fristablauf angemeldeten Forderung zuzustimmen, abgelehnt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin die Aufnahme ihrer Forderung in die Tabelle weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach § 14 Abs. 1 Satz 1, § 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. , ZIP 2004, 1072).

Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Forderungsanmeldung der Gläubigerin ging zwar erst im März 2003 und damit nach Ablauf der am endenden Anmeldefrist beim Gesamtvollstreckungsverwalter ein. Sie muss jedoch gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO vom Verwalter in die Tabelle zur späteren Prüfung aufgenommen werden, weil die verspätete Anmeldung unverschuldet war.

1. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass im Falle der Aufnahme der angemeldeten Forderung in die Tabelle zur späteren Prüfung der dann erforderliche besondere Prüfungstermin die weitere Abwicklung des Insolvenzverfahrens in keiner Weise verzögert hätte (vgl. § 296 Abs. 1 ZPO). Ein zusätzlicher Termin wäre in gleicher Weise erforderlich geworden, wenn die Gläubigerin die Forderung "nach Wegfall des Hindernisses" innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist (vgl. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) angemeldet hätte. Es komme deshalb darauf an, ob die Verspätung unverschuldet sei. Dies bestimme sich in entsprechender Anwendung der §§ 233, 234 ZPO. Danach könne eine verspätete Anmeldung nur dann als unverschuldet gewertet werden, wenn sie innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses erfolge. Maßgeblicher Zeitpunkt sei vorliegend die Zustellung der für die Gläubigerin negativen Berufungsentscheidung. Selbst wenn auf die Nichtannahmeentscheidung des Bundesgerichtshofs abzustellen sei, habe die Gläubigerin die Zweiwochenfrist nicht gewahrt.

2. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sowie im Schrifttum ist streitig, ob die Vorschriften der §§ 233, 234 ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend anzuwenden sind, wenn der Gläubiger die Frist zur Anmeldung zur Tabelle versäumt hat (wie das Beschwerdegericht: LG Berlin ZIP 1996, 1713 f; LG Frankfurt/Oder ZIP 1996, 1225; LG Halle ZInsO 1998, 42; LG Meiningen, ZIP 1999, 1055, 1056; dagegen: OLG Dresden ZIP 1993, 1826, 1828; Hess/Binz/Wienberg, GesO 4. Aufl. § 14 Rn. 32 ff, 41; Pape ZIP 1992, 1289, 1291 f). Der Bundesgerichtshof hat die Frage bisher nicht entschieden (vgl. BGHZ 124, 247, 248 f).

b) Auszugehen ist von der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervorgehobenen Grundrechtsrelevanz des § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO, der den Insolvenzgläubiger, mag seine Forderung auch zunächst bestehen bleiben, daran hindert, wenigstens die Quote des Gesamtvollstreckungsverfahrens durchzusetzen (vgl. BVerfG WM 1995, 1078, 1080 f). Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausschluss verspätet angemeldeter Forderungen mit der Eigentumsgarantie als vereinbar angesehen, weil er das Gesamtvollstreckungsverfahren straffe und beschleunige und damit erreiche, dass die materielle Berechtigung der angemeldeten Forderungen möglichst zeitnah zur Eröffnung in nur einem Termin geprüft werde. Seien nur die innerhalb der Anmeldefrist angemeldeten Forderungen zu berücksichtigen, so führe jede danach eingehende Anmeldung zu einer neuerlichen Tätigkeit des Verwalters. Die starre Frist zwinge den Gläubiger, seinerseits zur Straffung des Verfahrens beizutragen. Müsste stets geprüft werden, ob eine verspätete Anmeldung das Verfahren tatsächlich verzögert habe, so ergäbe sich schon hieraus und aus dem möglichen Streit darüber eine längere Verfahrensdauer (BVerfG aaO S. 1080 f).

aa) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aus diesen Erwägungen für eine entsprechende Anwendbarkeit der §§ 233, 234 ZPO nichts hergeleitet werden. Die Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen den Fall, dass der Insolvenzgläubiger die ursprünglich gesetzte Frist schuldhaft versäumt. Dies verdeutlichen auch dessen weitere Ausführungen, die den Ausschlusscharakter für zumutbar erklären, weil der Gläubiger die verspätete Anmeldung entschuldigen könne. Hierbei seien die Gerichte gehalten, der Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie Rechnung zu tragen (BVerfG aaO S. 1081).

bb) Mit einem solchen Verständnis ist es nicht zu vereinbaren, einem Insolvenzgläubiger, der - wie hier - die gesetzte Frist für die Anmeldung der Forderung schuldlos versäumt hat, den Weg zur nachträglichen Anmeldung der Forderung nur deshalb abzuschneiden, weil er eine im Wiedereinsetzungsrecht der Zivilprozessordnung vorgesehene Frist nicht eingehalten hat. Wie das Beschwerdegericht selbst sieht, ist hierdurch keine Verzögerung des Verfahrens eingetreten. Das Insolvenzverfahren ist vielmehr aus Gründen, die mit der nachträglichen Forderungsanmeldung der Gläubigerin nicht im Zusammenhang stehen, noch nicht abgeschlossen.

Für die entsprechende Anwendung der Wiedereinsetzungsfrist bietet die Gesamtvollstreckungsordnung keine Grundlage. Sie ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Verweisungsnorm des § 1 Abs. 3 GesO, wonach die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden sind. Diese Verweisung führt allenfalls zur Anwendung des § 234 ZPO gegenüber einem an dem Gesamtvollstreckungsverfahren bereits Beteiligten. Vor seiner Forderungsanmeldung erlangt der Gläubiger diese verfahrensrechtliche Stellung indes nicht.

Gegen die entsprechende Anwendung des § 234 ZPO spricht des Weiteren die mangelnde Vergleichbarkeit der prozessualen Lagen. Das Wiedereinsetzungsrecht betrifft insbesondere Fristen, die einen neuen Verfahrensabschnitt eröffnen. Der Lauf dieser Fristen berührt stets auch die Interessen der gegnerischen Partei. Sie soll sich auf ihren Ablauf einstellen können. Darum geht es bei der Anmeldefrist des § 5 Nr. 3 GesO indes nicht. Diese Frist soll die "Stoffsammlung" im Gesamtvollstreckungsverfahren beschleunigen, nämlich die Ermittlung der Forderungen, auf welche die Masse verteilt werden soll. Das Ergebnis dieser "Stoffsammlung" erfahren die Beteiligten regelmäßig erst im Schlusstermin. Vor diesem Zeitpunkt können sie in ihrem rechtlich geschützten Anspruch, Rechtssicherheit im Verfahren zu genießen, nicht beeinträchtigt sein. Der mit den Vorschriften der § 5 Nr. 3, § 14 Abs. 1 GesO verfolgte Beschleunigungszweck rückt die Regelung in die Nähe der ebenfalls die Stoffsammlung betreffenden Vorschrift des § 296 ZPO. Danach ist der Gläubiger grundsätzlich gehalten, die Forderungsanmeldung unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses vorzunehmen. Im Streitfall hat die Anmeldung erst mit Schreiben vom keine Verzögerung nach sich gezogen. Deshalb besteht keine Veranlassung, die Obliegenheiten des nachträglich anmeldenden Gläubigers in zeitlicher Hinsicht zu konkretisieren. Jedenfalls gibt es keinen sachlich überzeugenden Grund, eine Forderungsanmeldung unberücksichtigt zu lassen, deren Verspätung der Anmeldende nicht zu vertreten hat und deren Berücksichtigung das Gesamtvollstreckungsverfahren nicht verzögert.

Fundstelle(n):
WM 2007 S. 979 Nr. 21
ZIP 2007 S. 974 Nr. 20
JAAAC-44500

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja