BFH Beschluss v. - XI B 126/06

Feststellungsverfahren bei Veräußerung von Mitunternehmeranteilen; keine Erledigung der Hauptsache nach Ergehen des Grundlagenbescheids im Klageverfahren gegen Folgebescheid

Gesetze: AO § 180; EStG § 16; EStG § 34; FGO § 74; FGO § 138

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gründete zusammen mit Herrn…eine GbR, an die er ein in seinem Alleineigentum stehendes Grundstück veräußerte. Nachdem diese das Grundstück bebaut hatte, veräußerte der Kläger im Streitjahr 1993 seinen Gesellschaftsanteil an der GbR.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erfasste zunächst den Erlös aus der Veräußerung des Gesellschaftsanteils im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid und erließ einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1993. Im Einspruchsverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid machte er jedoch die Feststellung des Veräußerungsgewinns wieder rückgängig in der Annahme, der Anteil des Klägers an der GbR gehöre zu dessen Privatvermögen. Im Einkommensteuerbescheid 1993 erfasste er den Gewinn aus der Veräußerung des Gesellschaftsanteils als laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Der Kläger erhob gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 Klage. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien auf 0 DM herabzusetzen, zumindest wäre ein Veräußerungsgewinn nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) tarifbegünstigt.

Nachdem die Berichterstatterin des Finanzgerichts (FG) in einem Erörterungstermin die vorläufige Rechtsansicht vertreten hatte, der streitgegenständliche Veräußerungsgewinn hätte gesondert und einheitlich festgestellt werden müssen, stellte das FA einen Veräußerungsgewinn wiederum einheitlich und gesondert fest und erließ einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid.

Daraufhin vertrat der Kläger die Auffassung, das Verfahren in Sachen Einkommensteuerbescheid 1993 sei in der Hauptsache erledigt. Das FA habe dem Klagebegehren entsprochen. Das Verfahren sei auch wegen der Bindungswirkung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) nicht notwendigerweise auszusetzen.

Das FG hat gleichwohl das Klageverfahren in Sachen Einkommensteuer 1993 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Einspruch der GbR gegen den geänderten Feststellungsbescheid für 1993 ausgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei es regelmäßig geboten und zweckmäßig, den Streit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheides auszusetzen, solange noch unklar sei, ob und wie der angegriffene Grundlagenbescheid geändert werde. Unterbleibe die Aussetzung des Verfahrens, würde dies nach der Rechtsprechung des BFH gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen. Es liege auch kein Fall von geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Der Sachverhalt sei nicht leicht überschaubar; so habe das FA den Bescheid allein wegen der Höhe des Gewinns mehrfach geändert. Zudem sei ungeklärt, in welchem Verfahren über die Höhe des Veräußerungsgewinns sowie über die Steuerermäßigung nach § 34 EStG zu entscheiden sei.

Mit seiner Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss macht der Kläger geltend, das FG habe das Verfahren zu Unrecht nach § 74 FGO ausgesetzt, denn die Hauptsache sei erledigt. Es bestehe zwischen dem Beteiligten in der Frage, in welchem Bescheid ein Veräußerungsgewinn festzustellen sei, auch kein Streit mehr. Es bestehe mittlerweile Einigkeit darüber, den Veräußerungsgewinn —wenn überhaupt— im Grundlagenbescheid zu erfassen. Diese Auffassung habe er während des gesamten Klageverfahrens vertreten. Der Fortführung des Verfahrens in Sachen Einkommensteuerbescheid bedürfe es nicht mehr. Werde der Feststellungsbescheid geändert, sei der Einkommensteuerbescheid zwingend zu ändern. Bleibe der Feststellungsbescheid unverändert, so bleibe es auch der hier streitgegenständliche Einkommensteuerbescheid.

Der Kläger beantragt, den Aussetzungsbeschluss vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es handele sich hier um einen klassischen Anwendungsfall des § 74 FGO.

II. Die Beschwerde des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.

Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Nach mittlerweile ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Klageverfahren, das einen Folgebescheid betrifft, trotz der Formulierung des § 74 FGO („kann”) auszusetzen, wenn Besteuerungsgrundlagen streitig sind, deren abschließende Prüfung einem Grundlagenbescheid vorbehalten ist (vgl. z.B. , BFH/NV 2004, 774, m.w.N.; , BFH/NV 1996, 222). Das ist hier der Fall.

Über die Frage, ob bei Veräußerung eines Anteils an einer Mitunternehmerschaft ein Veräußerungsgewinn i.S. der §§ 16, 34 EStG entsteht, ist im Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu entscheiden (vgl. z.B. , BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544; vom IV R 124/92, BFHE 176, 15, BStBl II 1995, 253). Zu Recht weist zwar der Kläger darauf hin, dass aufgrund des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ein Folgebescheid nach Änderung des Grundlagenbescheides auch dann geändert werden kann, wenn er z.B. mangels eines gegen ihn eingeleiteten Klageverfahrens bestandskräftig geworden ist. Aus diesem Grund wird in der Literatur teilweise die Aussetzung des Verfahrens für entbehrlich gehalten. Dies ändert aber nichts daran, dass selbst die Kritiker der BFH-Rechtsprechung für den Fall, dass unklar ist, ob ein Posten in einem Gewinnfeststellungsbescheid zu erfassen ist oder nicht, die Aussetzung des Einkommensteuerverfahrens bis zur abschließenden Klärung dieser Frage im Feststellungsverfahren (vgl. z.B. , BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821) für erforderlich halten (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz 11). Wie das FG im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, liegt hier eine solche Konstellation vor.

Kläger und FA haben auch nicht übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 138 Rz 11, m.w.N.).

Eine andere Frage ist, ob einem Kläger die Kosten eines erfolglos gegen den Folgebescheid gerichteten Klageverfahrens aufzuerlegen sind, wenn das FA den gebotenen Feststellungsbescheid zunächst nicht erlässt, sondern dies erst auf richterlichen Hinweis im Verfahren über den Folgebescheid nachholt, oder ob in diesem Fall dem FA die Kosten des Klageverfahrens betreffend den Folgebescheid nach § 137 Satz 2 FGO aufzuerlegen sind. Über sie ist erst bei Beendigung des Klageverfahrens im Sinne der Einkommensteuer 1993, nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Aussetzungsbeschluss zu entscheiden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat gemäß § 135 Abs. 2 FGO der Kläger zu tragen (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 1109, m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1150 Nr. 6
PAAAC-42100