BVerwG Beschluss v. - 20 F 9.06

Leitsatz

Der Bundesrechnungshof kann die Vorlage seiner Akten verweigern, soweit darin Äußerungen von Mitgliedern des Bundesrechnungshofs niedergelegt sind, die den Meinungsbildungsprozess zwischen den Mitgliedern in einem Prüfungsverfahren erkennen lassen.

Gesetze: GG Art. 97 Abs. 1; GG Art. 114 Abs. 2; VwGO § 99; BRHG § 3; BRHG § 4; BRHG §§ 8 ff.; BRHG § 20; DRiG § 43; BVerfGG § 30 Abs. 2

Gründe

Der Antrag des Klägers ist begründet. Die Weigerung der Beklagten vom , die vom Verwaltungsgericht Köln angeforderten Akten des Bundesrechnungshofs im Rechtsstreit 25 K 3808/06 vorzulegen, ist rechtswidrig.

§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO berechtigte den Bundesrechnungshof nicht zu der Sperrerklärung vom . Nach dieser Vorschrift kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde oder, falls es sich - wie hier - bei den vom Gericht erbetenen Urkunden oder Akten um solche einer obersten Bundesbehörde handelt, diese Behörde die Vorlage von Urkunden oder Akten verweigern, wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Keine dieser Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung ist erfüllt.

Allerdings vermag der vom Bundesgerichtshof genannte Grund für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, nämlich die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Willens- und Meinungsbildung seiner Mitglieder, eine Zurückhaltung von Akten nach § 99 Abs. 2 Satz 2 VwGO grundsätzlich zu rechtfertigen. Nach Art. 114 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über den Bundesrechnungshof (Bundesrechnungshofgesetz - BRHG) vom (BGBl I S. 1445), zuletzt geändert durch das Gesetz vom (BGBl I S. 1510), besitzen die Mitglieder des Bundesrechnungshofs richterliche Unabhängigkeit. Auf sie sind die für die Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes geltenden Vorschriften über Unabhängigkeit und Disziplinarmaßnahmen entsprechend anzuwenden (§ 3 Abs. 4 Satz 2 BRHG). Mitglieder des Bundesrechnungshofs sind nach § 3 Abs. 1 BRHG der Präsident, der Vizepräsident, die Leiter der Prüfungsabteilungen und die Prüfungsgebietsleiter. Keine Mitglieder des Bundesrechnungshofs und deshalb auch nicht im Besitz der richterlichen Unabhängigkeit sind die Prüfungsbeamten des höheren oder gehobenen Dienstes und die weiteren Bediensteten (§ 4 BRHG). Die Mitglieder des Bundesrechnungshofs treffen ihre Entscheidungen als Kollegialorgane. Dies wiederum sind die Zweier- und Dreierkollegien (§ 9 BRHG), § 14 der Geschäftsordnung für den Bundesrechnungshof - GO-BRH), die Abteilungssenate (§ 11 BRHG, § 17 GO-BRH) und der Große Senat (§ 13 BRHG, § 19 GO-BRH). In geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten entscheidet, wenn dies im Haushaltsplan bestimmt ist, allein der Präsident (§ 19 Satz 1 Nr. 2 BRHG, § 13 Abs. 1 GO-BRH).

Entscheidungen, die von den genannten Kollegien oder - in den besonderen Fällen - vom Präsidenten in richterlicher Unabhängigkeit getroffen werden, sind nach § 13 Abs. 2 GO-BRH alle Regelungen und Äußerungen, die dazu bestimmt sind, die gesetzlich vorgesehenen Befugnisse und Pflichten des Bundesrechnungshofs im konkreten Fall auszuüben und das Verfahren festzulegen. Zu dieser Konkretisierung und Festlegung des von der Verfassung und vom Bundesrechnungshofgesetz vorgegebenen Betätigungsbereichs, in dem der Bundesrechnungshof in richterlicher Unabhängigkeit handelt, durch die eigene Geschäftsordnung war der Bundesrechnungshof durch § 20 BRHG ermächtigt. Um eine Entscheidung im Sinne des § 8 BRHG handelt es sich unter anderem jeweils dann, wenn der Bundesrechnungshof Arbeitspläne aufstellt, die Durchführung seiner Prüfung regelt (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 GO-BRH) oder wenn er Sachverhalte feststellt und bewertet (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 GO-BRH).

Auf Grund der Anordnung in § 3 Abs. 4 Satz 1 BRHG, dass die "Vorschriften über Unabhängigkeit" der Richter für die Mitglieder des Bundesrechnungshofs gelten, ist auch § 43 des Deutschen Richtergesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl I S. 713), zuletzt geändert durch das Gesetz vom (BGBl I S. 866) - DRiG - entsprechend anzuwenden. § 43 DRiG verpflichtet den Richter, über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung zu schweigen. Das Beratungsgeheimnis ist nach der deutschen Rechtstradition Bestandteil der richterlichen Unabhängigkeit (RGSt 26, 202, <204>; Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 193 Rn. 4; Silberkuhl, in: GKöD § 43 DRiG Rn. 3). Es gewährleistet, dass die Diskussion innerhalb des Spruchkörpers und damit auch die Äußerung jedes einzelnen Mitglieds keinem Außenstehenden bekannt wird. Diese Absicherung nach Außen verschafft der Arbeitsweise des Kollegialgerichts eine große Offenheit nach innen. Jeder Richter kann, da er keine Bekanntgabe von Beratungsinterna durch einen Kollegen zu befürchten hat, sich frei, unbefangen, deutlich oder auch überpointiert, wie es seinem Naturell entspricht, äußern (Silberkuhl, a.a.O.).

Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Unabhängigkeit der Richter in Art. 97 Abs. 1 GG ist durch §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG, § 30 Abs. 2 BVerfGG einfachgesetzlich konkretisiert und ausgestaltet. Damit ist Gegenstand der den Richtern gebotenen Verschwiegenheit der Hergang der Beratung; für das Bundesverfassungsgericht gilt die Besonderheit, dass der in der Minderheit gebliebene Richter berechtigt ist, seine abweichende Rechtsauffassung bekanntzugeben.

Da nach Art. 114 Abs. 2 GG die Mitglieder des Bundesrechnungshofs ebenfalls richterliche Unabhängigkeit besitzen, ist die Verpflichtung zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses, wie in § 10 der Prüfungsordnung des Bundesrechnungshofes - PO-BRH - im Einklang mit höherrangigem Recht ausgesprochen, Teil auch der dienstlichen Rechtsstellung der Mitglieder des Bundesrechnungshofs. Sie haben deshalb das Recht und die Pflicht, mündliche und schriftliche Äußerungen, die sich mit den von ihnen gewonnenen Erkenntnissen zum Sachverhalt befassen, oder diesen einer Bewertung und Beurteilung unterziehen oder die Aufstellung von Arbeitsplänen oder die Regelung eines Prüfungsablaufs zum Gegenstand haben, nicht an außenstehende Dritte gelangen zu lassen. Der Verschwiegenheit unterliegen hingegen nicht Äußerungen dieses Inhalts, die nicht von Mitgliedern, sondern von Prüfungsbeamten des Bundesrechnungshofs abgegeben werden. Prüfungsbeamte sind eine von den Mitgliedern deutlich abgegrenzte Gruppe von Bediensteten; insbesondere genießen sie keine richterliche Unabhängigkeit. Ihre Äußerungen unterliegen auch nicht deshalb der Verschwiegenheit, weil sie die Entscheidungen der Mitglieder fördern und vorbereiten und ihre Vorschläge nicht selten von den Mitgliedern als eigene Entscheidung übernommen werden. Nach dem BVerwG 7 B 42.86 - (Buchholz 310 § 100 VwGO Nr. 4) erfasst das richterrechtliche Beratungsgeheimnis nicht den Sachbericht und das Votum des als Berichterstatter fungierenden Richters. Ob dieser Entscheidung zu folgen ist oder die gegenteilige Auffassung in der Literatur (vgl. Sendler, Anspruch auf Gehör und Effizienz richterlicher Tätigkeit, in: Festschrift für Lerche zum 65. Geburtstag, S. 833 <847>; Silberkuhl, a.a.O. Rn. 10) Zustimmung verdient, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls vorbereitende Arbeiten, Entwürfe und Stellungnahmen im finanzrechtlichen Prüfungsverfahren, die nicht von einem Mitglied des Bundesrechnungshofs, sondern von einem Prüfungsbeamten verfasst worden sind, liegen außerhalb des Rahmens, der durch die Begriffe "Entscheidung des Bundesrechnungshofs" (§ 13 GO-BRH), "Beratung einer Angelegenheit in den Entscheidungsgremien des Bundesrechnungshofs" (§ 10 Satz 1 PO-BRH) sowie "gesamter Vorgang der Entscheidungsfindung" (§ 10 Satz 2 PO-BRH) gekennzeichnet ist. Wesentlich für die so umschriebene gegenständliche Reichweite des Beratungsgeheimnisses ist die unmittelbare Zuordnung der Äußerung zu einem Mitglied des Bundesrechnungshofs. Gerade diese fehlt aber bei Äußerungen der Prüfungsbeamten, die lediglich die Grundlage für die vertrauliche Meinungs- und Willensbildung innerhalb des Kollegiums bilden (für die Erstreckung des Beratungsgeheimnisses auf Äußerungen der Prüfungsbeamten wohl Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom - VfGBbg 12/97 - DÖV 1998, 200).

In Anwendung dieses normativen Regelungssystems erweist es sich, dass der Inhalt der Akte IX 2 - 2004 - 0332 insgesamt nicht dem Beratungsgeheimnis unterliegt. Die Akte enthält den Schriftwechsel, der zwischen dem Untersuchungsführer im förmlichen Disziplinarverfahren gegen den Leiter des Ausgleichsamts Saarbrücken und dem Bundesrechnungshof wegen der erbetenen Vorlage der Prüfungsakten in diesem Disziplinarverfahren entstanden ist. Auch die weiteren von der Sperrerklärung des Bundesrechnungshofs erfassten Akten sind zu erheblichen Teilen nicht geheim. Die Akte IX 2 - 2004 - 1313 enthält neben Äußerungen zum Prüfungsablauf und Zwischenwertungen, die von einem Mitglied des Bundesrechnungshofs stammen und daher dem Beratungsgeheimnis unterliegen, die abschließende Mitteilung über die durchgeführte Prüfung, Schreiben von Bundes- und Landesbehörden und der Stadt Saarbrücken sowie die Ablichtung mehrerer gerichtlicher Entscheidungen. Auch in der Akte IX 2 - 2004 - 0332 Ablege Nr. 2 finden sich neben geheimhaltungsbedürftigen Stellungnahmen von Mitgliedern des Bundesrechnungshofs Schreiben von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden, ferner wiederum Ablichtungen von Zeitungsartikeln. Die Akte IX 2 - 2004 -0332 Ablege Nr. 1 enthält demgegenüber neben Ablichtungen weiterer Zeitungsartikel und einem Schreiben des Präsidenten des Bundesausgleichsamts zahlreiche Entscheidungen des Bundesrechnungshofs im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GO-BRH, die insoweit dem Beratungsgeheimnis unterliegen, als es sich um den Prozess der Meinungs- und Willensbildung zwischen den Mitgliedern des Bundesrechnungshofs handelt. In der Akte finden sich auch schriftliche Äußerungen der bei der Prüfung eingesetzten Prüfungsbeamten. Diese grundsätzlich nicht der Verschwiegenheit unterliegenden Schriftstücke werden indessen insoweit vom Beratungsgeheimnis erfasst, als das zuständige Mitglied des Bundesrechnungshofs sie genutzt hat, um durch Randvermerke und Ähnliches seine zustimmende oder abweichende Meinung zu ihnen auszudrücken. Dies könnte bei einigen der schriftlichen Äußerungen von Prüfbeamten in der Akte IX 2 - 2004 -0332 Ablege Nr. 1 geschehen sein. In diesem Umfang sind die Schriftstücke ebenfalls vertraulich.

Die Sperrerklärung des Bundesrechnungshofs vom leidet demnach an dem Rechtsfehler, dass der Bundesrechnungshof den Inhalt der Verwaltungsakten ausnahmslos als dem Beratungsgeheimnis unterliegend angesehen und deshalb auch die Vorlage einzelner Bestandteile dieser Akten verweigert hat. So hätte er die Schreiben der anderen Bundes- und Landesbehörden sowie der Stadt Saarbrücken, die Ablichtungen der Zeitungsartikel und Gerichtsentscheidungen sowie schließlich die vorbereitenden Äußerungen der Prüfungsbeamten offenbaren müssen, nicht hingegen die Beiträge der Mitglieder des Rechnungshofs zur Entscheidungsfindung.

Der danach gebotenen differenzierenden Entscheidung war der Bundesrechnungshof auch nicht deshalb enthoben, weil die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung einen "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" anerkennt, der die Zurückhaltung behördlicher Akten ohne Rücksicht auf den Gesichtspunkt des Beratungsgeheimnisses und seine Reichweite zu rechtfertigen vermag ( - BVerfGE 67, 100 <139>; - BVerfGE 110, 199 <214 ff.>; VerfG Bbg, Urteil vom - VfGBbg 3/96 - LVerfGE 4, 179 <182>). Der Kernbestand exekutiver Eigenverantwortung sichert, um die Gewaltenteilung zu wahren, einen nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Regierung gegenüber dem Parlament, wirkt aber nicht im Verhältnis des Bundesrechnungshofs gegenüber der dritten Gewalt.

Diese gerichtliche Feststellung, dass die Sperrerklärung vom rechtswidrig ist, hindert den Bundesrechnungshof nicht, eine neue Sperrerklärung abzugeben und in ihr bei der Einstufung als geheimhaltungsbedürftig nach den - durch die Paginierung der Behördenakten hinreichend gekennzeichneten - Blättern der Akten oder Teilen dieser Blätter zu differenzieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 1705 Nr. 23
NAAAC-41655