BFH Beschluss v. - IX B 233/06

Instanzenzug: Kfz

Gründe

I. Auf die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ein Kraftfahrzeug der Marke Mercedes Benz (Modell G, Hubraum 2 717 ccm, Ottomotor, zwei Achsen, Erstzulassung , Schadstoffschlüssel „00”) zugelassen. Die Zulassung erfolgte als PKW Kombi mit einem Gesamtgewicht von 2 500 kg. Nach einer —ohne weitere technische Änderungen erfolgten— Auflastung auf 2 810 kg wurde unter Beibehaltung der Fahrzeugart in Ziffer 1 der Fahrzeugpapiere die Schlüsselnummer zu Kennziffer 1 mit „0102” und in Kennziffer 33 der Zusatz „Das Fahrzeug entspricht technisch einem Kombinationskraftwagen” eingetragen.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) stufte das Kraftfahrzeug nach der Auflastung als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) ein. Die gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG nach dem zulässigen Gesamtgewicht festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer betrug 172 € im Jahr. Durch Bescheid vom setzte das FA die Kraftfahrzeugsteuer neu (höher) fest; es vertrat unter Hinweis auf die —mit Wirkung zum erfolgte— Aufhebung der Sonderregelung für Kombinationskraftwagen in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) die Auffassung, dass das Fahrzeug der Antragstellerin ab diesem Zeitpunkt als PKW zu besteuern sei.

Gegen den Bescheid hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Sie hat ferner —nachdem das FA einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte— beim Finanzgericht (FG) beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheides insoweit auszusetzen als darin eine höhere Steuer als jährlich 172 € festgesetzt worden ist. Diesen Antrag lehnte das FG ab. Der im Kraftfahrzeugsteuergesetz nicht definierte Begriff des PKW bestimme sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG nach den geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften, die sowohl im nationalen Recht wie auch im europäischen Gemeinschaftsrecht verankert sein könnten. Nach der ersatzlosen Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO habe im Streitfall die Einstufung nach den Vorgaben der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) zu erfolgen. Danach sei das streitbefangene Fahrzeug in die Klasse M1(G) AC und damit als PKW (Kombilimousine) einzustufen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde. Sie beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung des Bescheides über Kraftfahrzeugsteuer vom ab dem auszusetzen, soweit die Steuer auf mehr als 172,31 € festgesetzt ist.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2006, 964, m.w.N.).

2. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht ausschließlich auf die Einordnung des Kraftfahrzeugs in die in der RL 2001/116/EG festgelegten Klassen und Kodierungen gestützt und weitere Umstände, wie z.B. die Ausstattung, mögliche Ein- bzw. Umbauten oder das äußere Erscheinungsbild von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.

a) Die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG enthält keine Bestimmung über die Einstufung von Kraftfahrzeugen in die Klasse der „Personenkraftwagen”. Maßgebend ist vielmehr das nationale Recht der einzelnen Mitgliedstaaten (s. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; vom VII B 69/06, n.v., jeweils m.w.N.).

b) Nach der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt auch für Kraftfahrzeuge mit —wie im Streitfall— einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder ein PKW vorliegt. Hierzu muss das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Merkmale die objektive Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs bewerten. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers. Kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs kann dabei als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden; dies schließt nicht aus, dass einzelne Merkmale ein besonderes Gewicht haben und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen können (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, und vom VII B 69/06 n.v., jeweils m.w.N.).

c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat kraftfahrzeugsteuerrechtlich keine Bindungswirkung (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, und vom VII B 69/06 n.v., jeweils m.w.N.).

3. Der auf einem anderen rechtlichen Ausgangspunkt beruhende Beschluss des FG wird aufgehoben. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an die Vorinstanz zurück. Ist die Beschwerde begründet, kann der BFH auch im AdV-Verfahren nach seinem Ermessen entweder durch eigene Sachentscheidung das Verfahren beenden oder die Sache an das FG zurückverweisen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 964, m.w.N.). Die Zurückverweisung erscheint zweckmäßig, um dem FG Gelegenheit zu geben, die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel und des festgestellten Sachverhalts anhand der unter 2. dargelegten Grundsätze vorzunehmen.

Fundstelle(n):
UVR 2007 S. 140 Nr. 5
DAAAC-39850