BFH Urteil v. - II R 51/05

Feststellung des Einheitswerts für ein Mietwohngrundstück im Beitrittsgebiet

Leitsatz

Die Feststellung des Einheitswerts für ein Mietwohngrundstück im Beitrittsgebiet ist grundsätzlich immer dann erforderlich i. S. des § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG, wenn ein für die Festsetzung einer anderen Steuer zuständiges Finanzamt um die Feststellung des Einheitswerts nachsucht (hier: zur Berechnung des Kürzungsbetrags nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Anforderung der Einheitswertfeststellung "völlig aus der Luft gegriffen und damit willkürlich" ist.

Gesetze: BewG § 132 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Wohnungsbaugenossenschaft, ist u.a. Eigentümerin eines Grundstücks im ehemaligen Ostberlin, das seit 1981 mit einem Wohngebäude bebaut ist. Sie meldete die Grundsteuer für dieses Grundstück nach § 44 des Grundsteuergesetzes (GrStG) nach der in § 42 Abs. 1 GrStG bestimmten Ersatzbemessungsgrundlage an.

Das für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags gegenüber der Klägerin zuständige Finanzamt bat den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) mit Schreiben vom , u.a. einen Einheitswert für dieses Grundstück festzustellen, um den Kürzungsbetrag nach § 9 Nr. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ermitteln zu können. Das FA stellte daraufhin für das Grundstück mit Bescheid vom auf den als Grundstücksart „Mietwohngrundstück” und als Einheitswert einen Betrag von ... DM fest und führte in den Erläuterungen aus, der Bescheid sei nach Ablauf der „Festsetzungsfrist” ergangen. Nach § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) könne er deshalb nur solchen Steuerfestsetzungen zu Grunde gelegt werden, deren Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Feststellung erfolge gemäß § 132 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den Einheitswertbescheid durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 18 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Feststellung des Einheitswerts sei i.S. des § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG für die Festsetzung einer anderen Steuer, nämlich der Gewerbesteuer, erforderlich gewesen. Der festgestellte Einheitswert sei der Berechnung des in § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG vorgesehenen Kürzungsbetrags für die Erhebungszeiträume 1997 und 1999 zugrunde gelegt worden und auch für die Erhebungszeiträume ab 2000 maßgebend. Er sei der Höhe nach ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Klage gegen den Bescheid über den Grundsteuermessbetrag auf den und gegen den Grundsteuerbescheid 2002 wies das FG wegen des Fehlens eines abgeschlossenen Vorverfahrens als unzulässig ab.

Mit der auf den Rechtsstreit über den Einheitswertbescheid beschränkten Revision macht die Klägerin geltend, die Voraussetzungen für die Feststellung des Einheitswerts hätten nicht vorgelegen. Da sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in Anspruch nehmen könne, sei die vom Einheitswert ausgehende Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG nicht einschlägig. Auch wenn man demgegenüber entsprechend der Auffassung der Finanzverwaltung in Verlustjahren die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG heranziehe, hätte der Einheitswert aus Gründen der Gleichbehandlung nicht festgestellt werden dürfen; denn die auf der Grundlage des Einheitswerts berechnete Grundsteuer sei höher als die auf der Ersatzbemessungsgrundlage des § 42 Abs. 1 GrStG beruhende Steuer.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung, soweit das FG die Klage gegen den Einheitswertbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom abgewiesen hat, sowie diese Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend angenommen, dass der angefochtene Einheitswertbescheid rechtmäßig ist.

1. Das FA war berechtigt und verpflichtet, den Einheitswert festzustellen.

a) Nach § 132 Abs. 2 Satz 1 BewG unterbleibt u.a. für im Beitrittsgebiet belegene Mietwohngrundstücke i.S. des § 32 der insoweit weiter anzuwendenden Durchführungsverordnung zum Reichsbewertungsgesetz eine Feststellung des Einheitswerts auf den , wenn eine ab diesem Zeitpunkt wirksame Feststellung des Einheitswerts für die wirtschaftliche Einheit nicht vorliegt und der Einheitswert nur für die Festsetzung der Grundsteuer erforderlich wäre. Der Einheitswert wird u.a. für solche Mietwohngrundstücke nach § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG nachträglich auf einen späteren Feststellungszeitpunkt festgestellt, zu dem der Einheitswert erstmals für die Festsetzung anderer Steuern als der Grundsteuer erforderlich ist.

Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn ein für die Festsetzung einer anderen Steuer zuständiges Finanzamt um die Feststellung des Einheitswerts nachsucht. Dieses Finanzamt und nicht das Lagefinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) entscheidet, ob die Feststellung des Einheitswerts als Grundlage für die Steuerfestsetzung erforderlich ist, und zwar nicht durch einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt, sondern durch den verwaltungsinternen Vorgang der Anforderung der Einheitswertfeststellung beim Lagefinanzamt. Wird das Lagefinanzamt zur Einheitswertfeststellung aufgefordert, kann und muss es regelmäßig ohne weitere Prüfung davon ausgehen, dass die Feststellung des Einheitswerts i.S. des § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG erforderlich ist. Anders kann es sich allenfalls dann verhalten, wenn die Anforderung der Einheitswertfeststellung „völlig aus der Luft gegriffen und damit willkürlich” ist.

b) Die Feststellung des Einheitswerts für das Grundstück der Klägerin war demnach aufgrund der Anforderung durch das für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zuständige Finanzamt erforderlich i.S. des § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG. Das ergibt sich schon daraus, dass der festgestellte Einheitswert der Berechnung des Kürzungsbetrags nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG für die Erhebungszeiträume 1997 und 1999 zugrunde gelegt wurde. Die Prüfung der von der Klägerin angesprochenen gewerbesteuerrechtlichen Fragen obliegt weder dem beklagten Lagefinanzamt noch den Gerichten in dem gegen den Einheitswertbescheid gerichteten Anfechtungsverfahren.

Aus den von der Klägerin angeführten Urteilen des (BFHE 206, 361, BStBl II 2004, 701) und II R 65/00 (BFH/NV 2004, 1376) ergibt sich nichts anderes. Der BFH hat in diesen Urteilen zwar entschieden, dass für die jeweils streitgegenständlichen Mietwohngrundstücke nach § 132 Abs. 2 BewG kein Einheitswert festzustellen sei. Diesen Urteilen lässt sich aber nicht entnehmen, dass die Grundstückseigentümer gewerbesteuerpflichtige Unternehmen gewesen seien und die für die Feststellung des Gewerbesteuermessbetrags zuständigen Finanzämter die Einheitswertfeststellung für gewerbesteuerrechtliche Zwecke erbeten hätten.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vom (BStBl I, 827). Nach Abschn. 3.1.2 Abs. 3 dieser Erlasse sind zwar für Mietwohngrundstücke und Einfamilienhäuser von Wohnungsunternehmen trotz der Zurechnung zum Betriebsvermögen —von wenigen Ausnahmen abgesehen— keine Einheitswerte nachträglich festzustellen. In den Erlassen wird dazu u.a. darauf hingewiesen, dass bei der Gewerbeertragsteuer statt der Kürzung um 1,2 v.H. des Einheitswerts der Betriebsgrundstücke auf Antrag der Teil des Gewerbeertrags von der Steuerpflicht ausgenommen wird, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (§ 9 Nr. 1 Satz 2 f. GewStG). Die Erlasse gehen aber nicht auf den Fall ein, dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften nicht erfüllt sind oder der Steuerpflichtige den darin vorgeschriebenen Antrag nicht stellt, daher die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG vorzunehmen ist und das für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zuständige Finanzamt deshalb das Lagefinanzamt zur Feststellung des Einheitswerts auffordert. Die Finanzverwaltung hat dazu später bestimmt, dass die Bemessungsgrundlage für die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG nur im Vorgriff auf die Ermittlung des Einheitswerts geschätzt werden darf (Erlass des Finanzministeriums Brandenburg vom , Der Betrieb 1994, 1494), dass mit anderen Worten also der Einheitswert als Grundlage für die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG festgestellt werden muss. Im Übrigen sind die Gerichte an bloße norminterpretierende Verwaltungsvorschriften ohnehin nicht gebunden (, BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472, unter II. 4.; Klein/Gersch, AO, 9. Aufl., § 4 Rz 10; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 84; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rz 89).

2. Der angefochtene Bescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig.

a) Gegen die Höhe des festgestellten Einheitswerts erhebt die Klägerin keine Einwendungen. Fehler sind insoweit nicht ersichtlich.

b) Das FA hat dem Bescheid den bei Ablauf der Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 5 AO 1977 vorgeschriebenen Hinweis beigefügt.

c) Der Rechtmäßigkeit der Feststellung des Einheitswerts steht auch nicht entgegen, dass die Grundsteuer nach § 132 Abs. 3 BewG ab dem Jahr 2002 nach dem Einheitswert und nicht mehr nach der in § 42 GrStG vorgesehenen Ersatzbemessungsgrundlage bemessen wird. Es gibt auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass der Bemessung der Grundsteuer auf Dauer die Ersatzbemessungsgrundlage und nicht dem Regelfall entsprechend (§§ 13, 41 GrStG) der Einheitswert zugrunde gelegt wird.

3. Im vorliegenden Verfahren braucht nicht entschieden zu werden, ob ein nach § 132 Abs. 2 Satz 2 BewG ergangener Einheitswertbescheid nach den Änderungsvorschriften der AO 1977 aufzuheben ist, wenn sich ggf. aufgrund eines die Gewerbesteuer betreffenden Rechtsbehelfsverfahrens nachträglich ergibt, dass der festgestellte Einheitswert weder in dem Erhebungszeitraum, auf dessen Beginn er festgestellt wurde, noch in einem späteren Erhebungszeitraum als Grundlage für die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG heranzuziehen ist; ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 652 Nr. 4
DStRE 2007 S. 699 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2007 S. 4
GAAAC-38796