BVerwG Urteil v. - 5 C 9.06

Leitsatz

Die Angabe der Volkszugehörigkeit mit "deutsch" bei Volkszählungen im Heimatstaat kann als Bekenntnis zum deutschen Volkstum i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG in seiner durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom (BGBl I S. 2266) geänderten Fassung gewertet werden.

Gesetze: BVFG § 6 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug: VG Köln VG 27 K 3437/00 vom OVG Münster OVG 2 A 3876/03 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger, ein im Jahre 1944 in der ehemaligen Sowjetunion geborener Sohn einer Mutter mit deutscher Volkszugehörigkeit und eines Vaters mit russischer Volkszugehörigkeit, begehrt die Erteilung eines vertriebenenrechtlichen Aufnahmebescheides und die Einbeziehung seiner Ehefrau und seines Sohnes. Seinem Begehren ist im Ergebnis übereinstimmend von der Beklagten (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ), vom Verwaltungsgericht (Urteil vom ) und vom Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom ) der Erfolg versagt worden.

Die Beklagte und das Verwaltungsgericht haben hinsichtlich des im Jahre 1993 - unter Beifügung eines im Jahre 1992 ausgestellten Inlandspasses des Klägers, in dem dieser mit deutscher Nationalität eingetragen ist - verlautbarten Aufnahmeantrags entscheidungstragend darauf abgestellt, dass der Kläger in seinem ersten Pass im Jahre 1960 mit russischer Nationalität eingetragen war, was als Bekenntnis zur russischen Nationalität zu bewerten sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, für die Zeit nach 1970 ermangele es eines Bekenntnisses nur zum deutschen Volkstum i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG: Letztlich könne offen bleiben, ob der Kläger im Zusammenhang mit der 1960 erfolgten Eintragung der russischen Nationalität im ersten Inlandspass ein Bekenntnis gegen das deutsche Volkstum abgegeben habe, weil ihm zu dieser Zeit ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum womöglich nicht zumutbar gewesen sei. Denn jedenfalls für die Zeit nach Beendigung der Studien des Klägers, den Jahren 1970 bis 1986 - dem Jahr, in dem nach der Behauptung des Klägers der erste Versuch unternommen worden sei, die Nationalitätseintragung im Inlandspass zu ändern -, fehle es an einem Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum. Vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 6 BVFG rechtfertige das Vorbringen des Klägers nicht den geltend gemachten Anspruch. Es fülle nicht das Merkmal eines Bekenntnisses auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BVFG) aus. Zwar könne der Vortrag zum Sprechen der deutschen Sprache, Lesen deutscher Literatur, Pflegen deutscher Bräuche, Sitten und Traditionen, zum Feiern von christlichen Feiertagen und zu seinem Verhalten bei stattgefundenen Volkszählungen als wahr unterstellt werden, aber dies rechtfertige den geltend gemachten Anspruch nicht. Namentlich das Vorbringen des Klägers, sich bei Volkszählungen immer als Deutscher eingetragen zu haben, sei allein nicht ausreichend; zum einen sei es nicht genügend substantiiert, zum anderen handele es sich allenfalls um ein punktuelles Ereignis ohne weitergehende Außenwirkung.

Die Revision des Klägers behauptet inhaltliche Widersprüche des angegriffenen Beschlusses und leitet hieraus Verfahrensmängel sowie die Verletzung materiellen Rechts ab. Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Beschluss und hält hilfsweise eine Klärung der näheren Umstände des Verhaltens des Klägers bei Volkszählungen für erforderlich.

II

Die Revision des Klägers ist i.S.v. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Mit der hierfür gegebenen Begründung hätte das Oberverwaltungsgericht den auf § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 sowie § 6 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes - BVFG - (i.d.F. der Bekanntmachung vom , BGBl I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz vom , BGBl I S. 1950) gestützten Anspruch nicht ablehnen dürfen. Das klägerische Begehren muss auch nicht von vornherein aus den Gründen der angefochtenen Bescheide und des verwaltungsgerichtlichen Urteils versagt werden. Weil sich das vom Oberverwaltungsgericht gefundene Ergebnis auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen (insbesondere zur Bedeutung der Nationalitätenerklärung bei der Beantragung des ersten Passes) nicht i.S.v. § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig erweist, ist die Sache zurückzuverweisen. Im Einzelnen:

Die Berufung des Klägers durfte nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, das klägerische Vorbringen zum Verhalten bei Volkszählungen sei rechtlich unerheblich.

Der vom Oberverwaltungsgericht entscheidungstragend vertretene rechtliche Ansatz ist zwar als solcher nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wie sie im BVerwG 5 C 13.04 - (NVwZ-RR 2005, 210 <212>) zusammengefasst worden ist, wirkt nämlich bei einer beim Eintritt der Bekenntnisfähigkeit vorliegenden - und im Streitfall vom Oberverwaltungsgericht für möglich gehaltenen - Unzumutbarkeit eines positiven Bekenntnisses zum deutschen Volkstum (§ 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG) die Bekenntnisfiktion nur für die Dauer der Gefährdungslage. Der Aussiedlungsbewerber muss sich folglich nach dem Ende der Gefährdungslage zu dem ihm zumutbar frühestmöglichen Zeitpunkt, also bei erster sich ihm bietender Gelegenheit, durch ein nach außen hin erkennbares Verhalten, welches nach allgemeinen Grundsätzen von einem entsprechenden inneren Volkstumsbewusstsein getragen gewesen sein muss, nur zum deutschen Volkstum bekannt haben.

Aber die vom Oberverwaltungsgericht gegebene Begründung reicht nicht aus, um das von dem Kläger nachzuweisende Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum auszuschließen: Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen des Klägers, er habe sich regelmäßig als Deutscher zu erkennen gegeben, unter anderem habe er sich bei Volkszählungen immer als Deutscher eingetragen, unter Wahrunterstellung als zur alleinigen Feststellung eines Bekenntnissachverhalts ungenügend beurteilt; zum einen sei das Vorbringen insoweit unsubstantiiert, zum anderen handele es sich allenfalls um ein punktuelles Ereignis ohne weitergehende Außenwirkung. Wie bereits im Zulassungsbeschluss des Senats vom im Einzelnen dargelegt worden ist, konnte nach der Rechtsprechung des BVerwG 9 C 18.89 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 62, vom - BVerwG 9 C 25.92 - BVerwGE 92, 70 <73 f.> und vom - BVerwG 9 C 392.94 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 78; BVerwG 9 B 431.95 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 82) das Verhalten bei einer Volkszählung als Bekenntnis i.S.v. § 6 BVFG a.F. in Betracht kommen.

Soweit die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, die vorerwähnte Rechtsprechung des früher für das Vertriebenenrecht zuständigen 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zu einem Verhalten bei Volkszählungen und dessen Bewertung als Bekenntnissachverhalt sei vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Rechtsänderungen überholt, trifft dies nicht zu. Allerdings ist seit der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG ein positives Bekenntnis "nur" zum deutschen Volkstum erforderlich, was eine Prüfung unter Einbeziehung des gesamten Zeitraumes vom Eintritt der Bekenntnisfähigkeit bis zur Ausreise erfordert (vgl. BVerwG 5 C 40.03 - BVerwGE 119, 192 <194 ff.>). Gleichwohl kommt ein - wie womöglich im Streitfall wiederholtes - Verhalten bei Volkszählungen auch nach neuem Recht als rechtlich beachtliches Bekenntnis in Betracht. Zwar mag - wie das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat - eine Volkszählung ein "punktuelles Ereignis" sein, aber das innere Bewusstsein, das hinter einer entsprechenden äußeren Erklärung der Volkszugehörigkeit stehen muss, ist gerade kein solches punktuelles Ereignis ( BVerwG 9 C 8.96 - BVerwGE 102, 214 <218 f.>). Die Nationalitätenangabe "deutsch" bei einer Volkszählung kann nach Maßgabe der näheren Umstände der Volkszählung der Nationalitätenerklärung bei der Passbeantragung gleichwertig sein. Dies setzt voraus, dass das Bekenntnis zu einer bestimmten Volkszugehörigkeit den Behörden personenbezogen und -zugeordnet bekannt und wahrnehmbar wird, was nicht der Fall ist, wenn die Auswertung der Volkszählung anonym erfolgt.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren nach §§ 47, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO auf 9 000 € festgesetzt (Auffangwert 5 000 € für den Kläger und je 2 000 € für die Einbeziehung der Ehefrau und des Sohnes; vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, NVwZ 2004, 1327 ff., Nr. 49.2 und BVerwG 5 B 54.05 -).

Fundstelle(n):
ZAAAC-38340