BAG Beschluss v. - 9 AZN 792/06

Leitsatz

[1] Der Beschwerdeführer hat die nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG von ihm darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig so konkret zu formulieren, dass sie mit "Ja" oder mit "Nein" beantwortet werden kann; das schließt im Einzelfall eine differenzierte Formulierung nicht aus. Unzulässig ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit auf die Antwort "Kann sein" hinausläuft.

Gesetze: ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1; ArbGG § 72a Abs. 1; ArbGG § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1; BAT § 13; TVöD § 3

Instanzenzug: ArbG Magdeburg 11 (8) Ca 2710/04 vom LAG Sachsen-Anhalt 10 Sa 665/05 vom

Gründe

I. Die Parteien streiten, soweit im Beschwerdeverfahren von Interesse, über einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Paginierung der über ihn geführten Personalakte.

Der 1954 geborene Kläger ist seit November 1991 bei der beklagten Sparkasse beschäftigt. Im März 2004 stellte er bei Einsicht in seine Personalakte fest, dass sich zwischen zwei Zwischenzeugnissen vom 8. und ein persönlicher Vermerk des Personalleiters befand. Die Beklagte hatte den Kläger vor Aufnahme dieses Vermerks in die Personalakte nicht angehört. Außerdem stellte der Kläger fest, dass die in der Personalakte befindlichen Unterlagen nicht mit Seitenzahlen versehen waren. Mit seiner Klage hat er geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet, die Personalakte zu paginieren.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Nach § 72a Abs. 1 ArbGG, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hat, obwohl dessen Urteil eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Das ist dann der Fall, wenn die Klärung der Rechtsfrage entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt ( - BAGE 95, 372, zu II 2 der Gründe). Eine Rechtsfrage ist eine Frage, welche die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat (vgl. - BAGE 114, 200).

In der nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG zu begründenden Beschwerde ist die aus Sicht des Beschwerdeführers entscheidungserhebliche Rechtsfrage zu konkretisieren, es sei denn, dass deren Inhalt nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zweifelhaft ist. Dabei ist regelmäßig erforderlich, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder mit "Nein" beantwortet werden kann. Das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit auf die Antwort "Kann sein" hinausläuft. Außerdem sind in der Beschwerdebegründung die weiteren Voraussetzungen darzulegen, insbesondere auch die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage.

2. Gemessen daran, hätte das Landesarbeitsgericht die Revision zulassen müssen.

a) Der Kläger hat dargelegt, dass der Rechtsstreit die Rechtsfrage aufwirft, ob der Anspruch des Arbeitnehmers auf Einsicht in seine vollständige Personalakte (§ 13 BAT, § 3 Abs. 5 TVöD) das Recht einschließt, vom Arbeitgeber die Paginierung der Personalakte verlangen zu können.

Diese Rechtsfrage ist klärungsbedürftig. Sie ist höchstrichterlich nicht entschieden. Die Zulassung der Revision ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Rechtsfrage so einfach zu beantworten wäre, dass divergierende Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte nicht zu erwarten sind (vgl. dazu Senat - 9 AZN 982/04 - BAGE 113, 321). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Fehlen einer Anspruchsgrundlage nicht offensichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Paginierung im Organisationsermessen des Arbeitgebers liege, das auch durch das Einsichtsrecht des Arbeitnehmers in seine vollständigen Personalakten nicht eingeschränkt werde. "Vollständig" heiße nur, dass in die Personalakte sämtliche den Arbeitnehmer betreffende Vorgänge aufzunehmen seien, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stünden. Das verlange nicht, dass der Arbeitgeber die Personalakten mit Seitenzahlen versehe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass andere Landesarbeitsgerichte zu einem anderen Ergebnis gelangen, zumal das Berufungsgericht selbst die Paginierung von Akten als "sinnvoll und sicherlich üblich" bezeichnet hat.

b) Die Rechtsfrage ist in der Revision auch klärungsfähig. Die Behauptung der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe festgestellt, dass es dem Kläger nicht ausschließlich um die Paginierung gehe, trifft nicht zu. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, soweit der Klageantrag "ordnungsgemäß zu paginieren" so auszulegen sei, dass der Kläger auch eine Neuordnung der Personalakte erstrebe, bestehe ein solcher Anspruch nicht. Das Landesarbeitsgericht hat mithin seine Entscheidung nicht "doppelt" begründet, sondern eine Fallvariante behandelt.

c) Die Bedeutung der Rechtsfrage für einen größeren Teil der Allgemeinheit ergibt sich schon aus dem bundesweiten Geltungsbereich der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes.

Das Beschwerdeverfahren wird nunmehr als Revisionsverfahren fortgesetzt.

Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Revisionsbegründungsfrist von zwei Monaten (§ 72a Abs. 6 iVm. § 74 Abs. 1 ArbGG).

Fundstelle(n):
HFR 2007 S. 904 Nr. 9
NJW 2007 S. 1165 Nr. 16
KAAAC-38319

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein