BFH Beschluss v. - VIII B 48/06

Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren

Gesetze: AO § 90

Instanzenzug:

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache besteht nicht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist geklärt, dass —jedenfalls, soweit es nicht um die Feststellung des Vorliegens einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren (§ 169 Abs. 2 Satz 2, § 378 der AbgabenordnungAO—) geht— ein parallel laufendes Steuerstrafverfahren nicht von der Erfüllung der Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, insbesondere auch nach § 90 Abs. 2 AO, entbindet (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschlüsse vom XI B 104/05, BFH/NV 2006, 1801; vom VIII B 7/04, BFH/NV 2006, 914; vom XI B 21/05, BFH/NV 2006, 496; vom X B 111/05, BFH/NV 2006, 484; vom X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; vom II B 9/04, BFH/NV 2006, 24; vom III B 83/04, BFH/NV 2005, 503). Höchstrichterlich geklärt ist auch, dass der im Strafprozess geltende Grundsatz, dass niemand gehalten ist, sich selbst zu beschuldigen („nemo-tenetur-Grundsatz”) nicht von gesetzlich normierten Mitwirkungspflichten im Übrigen befreit (, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328). Dies gilt auch für die Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren, deren Erfüllung nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO allerdings nicht erzwungen werden kann, wenn damit eine Selbstbezichtigung verbunden ist. Das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO steht dabei der Zulässigkeit der Schätzung gemäß § 162 AO nicht entgegen (, BFHE 196, 200, 204, BStBl II 2002, 4, 6).

Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 AO insbesondere dann zu schätzen, wenn —wie im Streitfall— der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Der strafrechtsprozessuale Grundsatz, dass niemand gehalten ist, sich selbst zu beschuldigen, findet hierbei keine Anwendung (BFH-Beschlüsse in BFHE 196, 200, BStBl II 2002, 4; in BFH/NV 2005, 503). Gemäß § 393 Abs. 1 Satz 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften, d.h. für das Besteuerungsverfahren allein nach der AO.

Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachten Einwände gegen eine Heranziehung dieser Grundsätze im Streitfall rechtfertigen die Revisionszulassung nicht.

Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage, ob allein die fehlende Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Aufklärung eines steuererheblichen Sachverhalts die Finanzbehörde zur Änderung eines formell bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt, ist in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Zwar hat das Finanzgericht (FG) seine Überzeugung, dass die Klägerin die streitigen Einkünfte aus Kapitalvermögen tatsächlich erzielt hat, vor allem damit begründet, dass diese ihre Mitwirkung bei der Aufklärung des streitigen Sachverhalts umfassend verweigert habe. Es hat eine zur Änderung der Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998 berechtigende „neue Tatsache” i.S. des § 173 Abs. 1 AO jedoch auch auf eine Reihe von Hilfstatsachen gestützt, die unter Berücksichtigung der mangelnden Mitwirkung der Klägerin nach der Überzeugung des FG einen hinreichend sicheren Schluss auf die Haupttatsache (Zufluss von nicht erklärten Einnahmen aus Kapitalvermögen zumindest in der vom Beklagten und Beschwerdegegner —Finanzamt (FA)— geschätzten Höhe) zuließen. Ob diese Schlussfolgerung berechtigt war, kann dahinstehen, da etwaige Fehler bei der Beweiswürdigung die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen können.

Die weitere von der Klägerin als grundsätzlich bedeutsam angesehene Rechtsfrage, ob die fehlende Mitwirkung eines Steuerpflichtigen bei der Aufklärung eines steuererhöhenden Sachverhalts auch während eines parallel zum Besteuerungsverfahren laufenden Steuerstrafverfahrens eine Schätzung nach § 162 AO rechtfertigen kann, ist nicht mehr klärungsbedürftig; sie ist durch die ständige Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Streitfall auch nicht mit Gestaltungen vergleichbar, in denen es um die Feststellung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung geht. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch im Streitfall die hinzugeschätzten Beträge aus einer Steuerhinterziehung stammen. Dies ist jedoch nur Folge der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit eines parallel zum Steuerstrafverfahren verlaufenden Besteuerungsverfahrens. Wenn die Klägerin meint, dass allein durch die Hinzuschätzung von Kapitalerträgen zugleich zum Ausdruck gebracht werde, dass diese Beträge Bestandteil einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung seien, was mit dem Grundsatz „in dubio pro reo” bzw. „nemo-tenetur-Grundsatz” nicht in Einklang zu bringen sei, so verkennt auch dies, dass ein parallel verlaufendes Steuerstrafverfahren die Schätzungsbefugnis im Besteuerungsverfahren grundsätzlich nicht tangiert.

Inwieweit im Steuerstrafverfahren eine Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung im Besteuerungsverfahren verwertbar ist, ist im Strafverfahren zu entscheiden. Die geltende Rechtslage (vgl. u.a. §§ 103, 393 AO) ermöglicht keine Einbindung der Frage des Verwertungsverbots im Strafverfahren in ein laufendes Besteuerungsverfahren. Die Gesetzeslage ist insoweit eindeutig und einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung mit dem Ziel einer Antizipation strafrechtlicher Wertungen im Besteuerungsverfahren nicht zugänglich.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 646 Nr. 4
SAAAC-37729