BAG Urteil v. - 6 AZR 219/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BetrVG § 102; KSchG § 17

Instanzenzug: ArbG Pforzheim 4 Ca 115/04 vom LAG Baden-Württemberg 4 Sa 55/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der dem Kläger gegenüber mit Schreiben vom zum erklärten ordentlichen Kündigung auf Grund Interessenausgleichs nebst Namensliste.

Die Schuldnerin betrieb im Rahmen eines gemeinsamen Betriebes mit der G GmbH eine Baumschule. Am wurde hinsichtlich beider Unternehmen Insolvenzantrag gestellt. Am wählten die Beschäftigten beider Unternehmen einen Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb. Am wurde über das Vermögen der G GmbH und über dasjenige der Schuldnerin das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts Tübingen eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der am geborene verheiratete Kläger war seit 1973 bei der Schuldnerin als "Kulturarbeiter" beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen des Klägers belief sich zuletzt auf 1.885,74 Euro. Bei der Schuldnerin waren zuletzt mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt.

Der Beklagte entschloss sich, den - faktisch bereits stillgelegten - Betrieb der Schuldnerin unverzüglich endgültig stillzulegen. Er unterrichtete nach seinem bestrittenen Vorbringen den Betriebsrat am 7. und über die beabsichtigten Kündigungen sämtlicher Arbeitsverhältnisse unter Beifügung einer Personalliste, in der die maßgeblichen Sozialdaten verzeichnet waren. Am schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich/Sozialplan. Im Interessenausgleich war unter Ziff. 4 festgehalten, dass das Anhörungsverfahren für die Kündigung gem. § 102 BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und der Betriebsrat zu den Kündigungen keine Stellungnahme abgegeben habe. Dem Interessenausgleich/Sozialplan waren zwei Namenslisten beigefügt, in denen die Arbeitnehmer der Schuldnerin sowie der G GmbH aufgeführt waren. Die Namenslisten waren mit dem Interessenausgleich/Sozialplan mittels Heftklammer verbunden.

Der Beklagte erstattete bei der Agentur für Arbeit in N eine Massenentlassungsanzeige, die dort am einging. Mit Schreiben vom teilte die Agentur für Arbeit in N mit, dass die Entlassungssperre für 18 Arbeitnehmer zum ablaufe und die Frist nach § 18 Abs. 4 KSchG den Zeitraum vom 24. August bis umfasse.

Mit Schreiben vom , dem Kläger nach seinem zweitinstanzlichen Vorbringen in zweifacher Ausfertigung am 26. und zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum .

Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat - wiederholt - die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats in Abrede gestellt. Außerdem sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam.

Eine weitere Kündigung des Beklagten vom zum ist Gegenstand des beim Arbeitsgericht Pforzheim anhängigen Rechtsstreits 4 Ca 217/04. Dieses Verfahren ist ausgesetzt. Eine Kündigung des Beklagten vom zum hat der Kläger nach seinem eigenen Vortrag nicht rechtzeitig angegriffen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom aufgelöst wurde, sondern über den hinaus fortbesteht.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Kulturarbeiter bis zum Ablauf des weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Kündigung sei nicht gem. § 102 BetrVG unwirksam. Er habe im Einzelnen vortragen, welche konkreten Informationen dem Betriebsrat gegeben worden seien. Das Bestreiten des Klägers mit Nichtwissen sei unzulässig. Schließlich sei die Kündigung nicht wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unter Berücksichtigung der RL/98/59/EG unwirksam. Selbst wenn unter Entlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG der Ausspruch der Kündigung zu verstehen sei, habe er bis zur Veröffentlichung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertrauen dürfen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, und zwar ohne die zeitliche Beschränkung des Weiterbeschäftigungsanspruchs bis laut Protokoll vom . Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Feststellungsklage im Wesentlichen deswegen als unbegründet angesehen, weil die Kündigung vom nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und auch nicht wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam sei; dem Beklagten sei, obwohl er die Massenentlassung nicht rechtzeitig angezeigt habe, Vertrauensschutz einzuräumen.

II. Das hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, dass die Kündigung nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam ist.

a) Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben zutreffend angenommen, wenn der Arbeitgeber die betriebsverfassungsrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung des § 102 Abs. 1 BetrVG hinreichend dargelegt habe, müsse sich der Arbeitnehmer zu dem Tatsachenvortrag des Arbeitgebers erklären (§ 138 Abs. 2 ZPO; - AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12). Der Arbeitnehmer muss nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast deutlich machen, welche detaillierten Angaben des Arbeitgebers er aus welchem Grunde weiterhin bestreiten will.

Fallbezogen hat das Landesarbeitsgericht im Anschluss an das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe die Fehlerhaftigkeit der Betriebsratsanhörung nicht konkret aufgezeigt. Einer Beweisaufnahme über die nach dem Vorbringen des Beklagten mündlich durchgeführte Betriebsratsanhörung habe es daher nicht bedurft. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat sich auf den Schriftsatz des Beklagten vom Seite 2 oben bezogen und darauf abgestellt, der Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, er habe die Anhörung des Betriebsrats mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich/Sozialplan verknüpft. Dieses Verfahren sei schon vom Zeitablauf her plausibel, da sich der Beklagte sogleich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am zur Stillegung des Betriebes entschlossen habe und die Kündigung bereits nach kurzer Zeit am ausgesprochen worden sei. Im Interessenausgleich vom sei demnach festgehalten, dass der - am faktisch nicht mehr in Funktion befindliche - Betrieb mit sofortiger Wirkung stillgelegt werde. Der Betriebsrat sei hierüber informiert worden und habe die Stillegungsabsicht nach Beratung zur Kenntnis genommen. Unter Ziff. 4 des Interessenausgleichs heiße es weiter, das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG sei ordnungsgemäß durchgeführt worden; der Betriebsrat habe zu den Kündigungen keine Stellungnahme abgegeben.

bb) Wenn das Berufungsgericht sodann ausführt, dem Schriftsatz des Klägers vom sei nicht zu entnehmen, auf welche Gesichtspunkte sich das Bestreiten des Klägers beziehe, so ist das zutreffend. Für den Betriebsrat war klar, dass mit den unbestrittenen Beratungen über den Interessenausgleich zugleich das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG eingeleitet werden soll. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Interessenausgleichs und gilt auch für den der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalt. Der Sachverhalt ist in dem Interessenausgleich vom dahingehend beschrieben, dass der Betrieb mit Wirkung ab wegen fehlender Sanierungsmöglichkeiten stillgelegt wird.

Auf den in der Revision in Bezug genommenen Schriftsatz des Klägers vom konnte es nicht mehr ankommen, nachdem das für das Landesarbeitsgericht entscheidende Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom enthalten war. Auf dieses Vorbringen hätte der Kläger eingehen müssen.

Der Kläger verweist auf seine Berufungsbegründung vom , mit der er die "Durchführung einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung ... wiederholt" bestritten habe. Auf Blatt 2 ist bestritten, dass "eine Personalliste übergeben wurde, ergänzend Besonderheiten im Einzelfall, wie z.B. Betriebsratseigenschaft, Mutterschutz mündlich vorgetragen wurden neben der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens und des Kündigungsgrundes sowie der Mitteilung, dass beabsichtigt sei, den Betrieb stillgelegt zu lassen, etwa vorhandene Verträge zu kündigen und das gesamte Inventar und Vorräte durch Dritte zu versteigern und die Stillegung des Betriebes spätestens am abgeschlossen sein sollte und anderweitige Einsatzmöglichkeiten auf freien oder demnächst frei werdenden Arbeitsplätzen nicht zur Verfügung stehen". Ein konkreter Bezug zu der in Aussicht genommenen Kündigung gegenüber dem Kläger und dem Vortrag des Beklagten zur Betriebsratsanhörung wird jedoch nicht hergestellt.

cc) Die Revision verkennt, dass der Arbeitnehmer sich zwar gem. § 138 Abs. 4 ZPO auf Nichtwissen berufen kann, soweit es um Tatsachen außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung geht, dass aber ein pauschales Bestreiten des Arbeitnehmers ohne jede Begründung nicht genügt ( - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179). Denn gegenüber der prozessualen Mitwirkungspflicht des § 138 Abs. 2 ZPO stellt § 138 Abs. 4 ZPO eine Ausnahmeregelung dar, die in ihren Voraussetzungen eng auszulegen ist. Der Arbeitnehmer muss daher im Einzelnen bezeichnen, in welchen Punkten er die tatsächlichen Erklärungen des Arbeitgebers über die Betriebsratsanhörung für falsch oder die dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen für unvollständig hält ( - AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12, insoweit zustimmend Mühlhausen NZA 2006, 967, 969). Dem ist der Kläger nicht gerecht geworden.

b) Davon abgesehen ist dem Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall auch darin beizupflichten, die Mitteilung der vollständigen Sozialdaten des Klägers sei ausnahmsweise entbehrlich gewesen, weshalb es nicht darauf ankomme, ob dem Betriebsrat eine Personalliste mit allen maßgeblichen Sozialdaten übergeben worden sei. Für den Fall der Betriebsstillegung könne die Mitteilung der Sozialdaten "Unterhaltspflichten" und "Familienstand" mangels einer Sozialauswahl keinem denkbaren rechtlichen Zweck dienen. Jedenfalls hinsichtlich der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers seien auch die Sozialdaten "Lebensalter" und "Eintrittsalter" entbehrlich gewesen, denn die Kündigung sei unter Beachtung der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO erfolgt. Dies habe für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger bedeutet, dass sich die maximale Kündigungsfrist auf drei Monate verkürzt habe. Auf die mehr als dreißigjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit und auf das Alter des Klägers sei es nicht mehr angekommen. Auf die Geltung der Insolvenzkündigungsfristen habe der Beklagten den Betriebsrat unter Ziff. 2 des Interessenausgleichs vom auch hingewiesen.

Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist jedenfalls unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zur Kenntnis genommen, dass der Kläger bestritten hat, der Beklagte habe den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen unter Beifügung einer Personalliste, in der die maßgeblichen Sozialdaten verzeichnet waren, angehört. Das ergibt sich aus dem Tatbestand (Abs. 4) und aus den Entscheidungsgründen, wo dargestellt ist, warum es nach Auffassung des Berufungsgerichts auf das Bestreiten nicht ankam. Wenn der Kläger diese Auffassung nicht teilt, sondern meint, eine Beweisaufnahme hätte durchgeführt werden müssen, so ist das keine Frage der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag der Beteiligten in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst ( (F) - NJW 2006, 2346, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die am zum erklärte ordentliche Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG unwirksam.

a) Der Beklagte war als Insolvenzverwalter nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG verpflichtet, vor Erklärung der Kündigung vom der Agentur für Arbeit eine Massenentlassung anzuzeigen. Die Kündigung war Teil einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach den gesetzlichen Bestimmungen, denn der Beklagte hat am sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt und damit den Schwellenwert iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG überschritten.

Mit Urteil vom hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache "Junk" (-C-188/03- [Junk/Kühnel] EuGHE I 2005, 903) die Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL), die durch die §§ 17 ff. KSchG in das Deutsche Arbeitsrecht umgesetzt worden ist, dahin ausgelegt, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers als "Entlassung" iSd. MERL anzusehen ist. Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Zweite Senat des - 2 AZR 343/05 - NJW 2006, 3161, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG richtlinienkonform ausgelegt und entschieden, dass die Anzeige bei der Agentur für Arbeit rechtzeitig vor Erklärung der Kündigungen erfolgen muss.

b) Ob der Beklagte die Massenentlassungsanzeige danach rechtzeitig vor Erklärung der Kündigung erstattet hat, kann dahinstehen. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, weil dem Beklagten entgegen der Ansicht der Revision Vertrauensschutz zu gewähren ist. Wie der Zweite Senat in dem Urteil vom (aaO) entschieden hat, durften die Arbeitgeber zumindest bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, wonach die Anzeige auch noch nach Erklärung der Kündigungen erfolgen konnte. Dem hat sich der Sechste Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 198/06 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) angeschlossen und zur zeitlichen Grenze des zu gewährenden Vertrauensschutzes entschieden, das schutzwürdige Vertrauen sei angesichts der noch im Urteil des Zweiten Senats des - 2 AZR 79/02 - BAGE 107, 318) vertretenen Auffassung, § 17 KSchG könne nicht richtlinienkonform ausgelegt werden, nicht bereits mit Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH entfallen. Allerdings sei das Vertrauen des Arbeitgebers ab dem Zeitpunkt nicht mehr schutzwürdig, ab dem dem Arbeitgeber habe bekannt sein müssen, dass die für die Anwendung und Ausführung der §§ 17 ff. KSchG zuständige Arbeitsverwaltung ihre frühere Rechtsauffassung geändert habe.

III. Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht gegeben, nachdem sich die Kündigung vom als das Arbeitsverhältnis der Parteien beendend erwiesen hat.

IV. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Revisionsverfahrens gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
WAAAC-37223

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein