BGH Urteil v. - VI ZR 196/05

Leitsatz

[1] Für den Beginn der dreijährigen Verjährung gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. ist hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Kenntnis" bei Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf die positive Kenntnis des für die Vorbereitung und Verfolgung des Regressanspruchs zuständigen Bediensteten abzustellen.

Gesetze: BGB § 852 a.F.

Instanzenzug: LG Oldenburg 10 O 1529/04 vom OLG Oldenburg 4 U 39/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nimmt die Beklagten aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht ihres Mitglieds S. auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. S. befuhr am gegen 5.40 Uhr mit seinem Fahrrad ohne Licht die B.-Straße in Sch.. Als er innerhalb geschlossener Ortschaft eine bevorrechtigte Bundesstraße überquerte, wurde er von einem aus seiner Sicht von links herankommenden, bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW erfasst, dessen Halter und Fahrer der Beklagte zu 1 war. Die Geschwindigkeit des PKW betrug 68 km/h. Die Klägerin begehrt Ersatz von 40 % ihrer Aufwendungen und verlangt Zahlung von 118.260,74 € sowie die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich weiterer materieller Schäden. Die Beklagten haben u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und eine Haftungsquote von 25 % bejaht. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht meint, die Ansprüche der Klägerin seien zum Zeitpunkt der Klageeinreichung am verjährt gewesen. Zwar habe die Klägerin erst am Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen erhalten, doch müsse sie sich so behandeln lassen, als habe sie diese Kenntnis schon früher gehabt. Sie habe nämlich am mit dem Eingang des Unfallberichtes des Krankenhauses von dem Schadensfall, den schweren Verletzungen ihres Mitglieds und von dessen längerem Krankenhausaufenthalt erfahren. Bei dieser Sachlage habe es nicht ausgereicht, sich nur schriftlich an den Verletzten selbst zu wenden. Die Klägerin wäre vielmehr gehalten gewesen, sich zusätzlich auf andere Weise nach dem Namen des anderen Unfallbeteiligten zu erkundigen, etwa durch telefonische Nachfrage bei der Familie des Geschädigten, durch Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten, durch Nachfrage bei der gesetzlichen Krankenversicherung des Geschädigten oder durch eine Anfrage bei der Klinik. Hätte sie diese gleichsam auf der Hand liegenden Möglichkeiten wahrgenommen, hätte sie die Person des Ersatzpflichtigen spätestens Ende April 2001 in Erfahrung bringen können. Wenn ihre Regressabteilung damals noch nicht über den Schadensfall informiert gewesen sei, liege ein Organisationsmangel vor, auf den sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen könne.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen durfte das Berufungsgericht die Klage nicht mit der Begründung abweisen, die Ansprüche der Klägerin seien verjährt.

1. Für den Beginn der dreijährigen Verjährung gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. ist hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Kenntnis" bei Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung auf die positive Kenntnis des für die Vorbereitung und Verfolgung des Regressanspruchs zuständigen Bediensteten abzustellen (Senatsurteile BGHZ 133, 129, 139; 134, 343, 346; vom - VI ZR 72/72 - VersR 1974, 340, 342; vom - VI ZR 190/83 - VersR 1985, 735; vom - VI ZR 133/85 - VersR 1986, 917, 918; vom - VI ZR 133/91 - VersR 1992, 627, 628; vom - VI ZR 12/00 - VersR 2001, 863, 864 und vom - VI ZR 379/02 - VersR 2004, 123; - VersR 2000, 1277, 1278). Wie die Revision mit Recht geltend macht, liegt diese Zuständigkeit im Falle der Klägerin nach deren unwidersprochen gebliebenem Vortrag nicht bei ihrer Leistungsabteilung, der Bezirksverwaltung in H., sondern bei ihrer zentralen Regressabteilung in W.. Da diese nach den getroffenen Feststellungen den Namen des anderen Unfallbeteiligten erst am erfahren hat, waren die Ansprüche der Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht verjährt.

Die Klägerin muss sich auch nicht so behandeln lassen, als habe sie schon spätestens Ende April 2001 Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen gehabt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat sie sich nicht missbräuchlich einer sich aufdrängenden Kenntnis verschlossen. Dies wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn es die zuständige Regressabteilung der Klägerin, auf deren Kenntnis es für die Geltendmachung der Ersatzansprüche allein ankommt, versäumt hätte, eine gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen. Das ist nach den getroffenen Feststellungen indessen nicht der Fall. Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die betreffende Abteilung der Klägerin schon vor September 2003 mit der Sache befasst gewesen wäre. Anders als die Revisionserwiderung meint, kommt es insoweit nicht darauf an, ob die Bezirksverwaltung der Klägerin in H. Erkenntnismöglichkeiten gehabt hätte und ungenutzt gelassen hat, denn nach den getroffenen Feststellungen fehlte dieser Abteilung der Klägerin die Zuständigkeit für die Verfolgung von Regressansprüchen.

Das Berufungsgericht hält es für möglich, dass die zuständige Regressabteilung der Klägerin durch deren Bezirksverwaltung in H. zum damaligen Zeitpunkt nicht über den Schadensfall informiert wurde. Seine Auffassung, dass sich die Klägerin darauf nicht berufen könne, weil ihr insoweit ein Organisationsmangel anzulasten sei, trifft jedoch nicht zu. Die von der Rechtsprechung zu § 166 BGB entwickelten Grundsätze zur Wissenszurechnung im rechtsgeschäftlichen Verkehr sind im Rahmen von § 852 BGB a.F. nämlich nicht anwendbar (Senatsurteile BGHZ 133, 129, 139 und vom - VI ZR 12/00 - aaO, S. 865; - aaO). Die Beklagten können sich in einem solchen Fall auch nicht mit Erfolg auf Verwirkung berufen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 133/91 - aaO, S. 628 f.).

Soweit die Revision vorsorglich geltend macht, dass im Streitfall die strengen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, unter denen es wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Geschädigten ganz ausnahmsweise in Betracht kommen könne, vom Beginn der Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB auszugehen, wenn der Geschädigte den Schädiger zwar nicht positiv kennt, die Augen jedoch vor einer sich geradezu aufdrängenden Kenntnis verschließt (vgl. dazu - VersR 2000, 503, 504 und vom - VI ZR 30/00 - VersR 2001, 866, 867, jeweils m. w. N.), kommt es auch insoweit auf die zuständige Abteilung an. Im Übrigen musste sich die Klägerin auf fernmündliche Nachfragen bei Angehörigen oder Recherchen bei der Klinik oder der Krankenversicherung des Geschädigten schon deshalb nicht einlassen, weil hiervon keine Informationen zu erwarten waren, die die Erhebung einer Schadensersatzklage Erfolg versprechend ermöglicht hätten (vgl. - aaO, S. 124 und vom - VI ZR 182/01 - VersR 2003, 75, 76, jeweils m. w. N.). Auch kommt es nicht darauf an, ob ein etwaiger Antrag der Klägerin auf Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten schon zum damaligen Zeitpunkt Erfolg gehabt hätte.

2. Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist aufzuheben und zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 834 Nr. 12
BAAAC-36702

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja