BFH Beschluss v. - VI B 22/06, VI S 4/06 (PKH)

Instanzenzug:

Gründe

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine im Juni 1999 gegründete GmbH, betreibt ein Bauunternehmen. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist Herr X. Klägerin führte die Bauvorhaben der Fazlija Dudic GmbH (FD GmbH) fort. Die FD GmbH und sodann die Klägerin standen in Geschäftsbeziehungen zu der I-Bau GmbH, die als Subunternehmerin auftrat.

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung bei der I-Bau GmbH und der FD GmbH erklärte der Geschäftsführer der I-Bau GmbH, N, bei den Ausgangsrechnungen seines Unternehmens an die Klägerin habe es sich um Scheinrechnungen gehandelt. Er habe die Arbeitnehmer nur formell angestellt, tatsächlich habe es sich um Arbeitnehmer der Klägerin gehandelt. Eine Fahndungsprüfung bei der Klägerin über Umsatzsteuer und Lohnsteuer Juni bis Dezember 1999 ergab, dass die wirtschaftliche Betätigung der Klägerin in der Gestellung von Arbeitskräften bestanden habe; es seien dem Grunde nach reine Werklohnarbeiten durchgeführt worden. Da keine Aufzeichnungen für die auf den Baustellen beschäftigten Arbeitnehmer hätten vorgelegt werden können, sei die Lohnsteuer durch Schätzung zu ermitteln. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) schloss sich der Schätzung der Steuerfahndungsstelle an und nahm mit Bescheid vom die Klägerin wegen Lohnsteuer für Juni bis Dezember 1999 in Haftung.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren brachte die Klägerin mit der Klage vor, die Arbeitnehmer seien tatsächlich bei der I-Bau GmbH angestellt gewesen. Das Finanzgericht (FG) führte am eine mündliche Verhandlung durch und vertagte die Sache. Später verzichteten die Beteiligten auf Anregung des Berichterstatters des FG auf eine (weitere) mündliche Verhandlung. Mit Urteil vom wies das FG ohne mündliche Verhandlung die Klage ab, wobei neben denselben Berufsrichtern wie am zwei andere ehrenamtliche Richter mitwirkten. Das FG führte aus, die Klägerin habe nur vier Beschäftigte angemeldet, tatsächlich aber eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer beschäftigt. Dies sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellt, die der Senat in einem Parallelverfahren betreffend die Klage des Geschäftsführers X wegen Haftung für Umsatzsteuer und Lohnsteuer-Anmeldungen der Klägerin durchgeführt hatte.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem finanzgerichtlichen Urteil hat die Klägerin Beschwerde erhoben (Az. VI B 22/06). Sie beantragt ferner, ihr zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren (Az. VI S 4/06 (PKH)).

Mit der Beschwerde rügt die Klägerin eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts. Das FG habe zwei mündliche Verhandlungen durchgeführt. An der zweiten Verhandlung hätten andere ehrenamtliche Richter als an der ersten Verhandlung teilgenommen. Diese hätten sich kein persönliches Bild insbesondere von dem Hauptzeugen N machen können. Der persönliche Eindruck wäre jedoch wichtig gewesen. Außerdem bringt die Klägerin vor, die Entscheidungsgründe des FG würden nicht von festgestellten Tatsachen getragen. Das FG stütze sich auf die Aussage des Zeugen N, die objektiv falsch sei. Aus einer Reihe von —im Einzelnen aufgeführten— Beweismitteln und Aussagen ergebe sich, dass das FG eine den Denkgesetzen widersprechende Beweiswürdigung vorgenommen habe.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

I. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, das FG habe in nicht vorschriftsmäßiger Besetzung über die Klage entschieden, liegt der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vor. Zwar ist ein Urteil, das von einem nicht vorschriftsmäßig besetzten Gericht erlassen wird, mit einem Verfahrensfehler behaftet, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Tz. 4) und als absoluter Revisionsgrund (§ 119 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) im Falle der Revision zur Aufhebung des Urteils führt. Dass an der Sitzung des FG am andere Laienrichter mitwirkten als in der mündlichen Verhandlung vom , begründet jedoch keinen Verstoß gegen § 119 Nr. 1 FGO. Erkennendes Gericht im Sinne dieser Vorschrift ist allein das Gericht in der Besetzung, die das angefochtene Urteil gefällt hat; bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist dies die Besetzung, die das Urteil beraten hat (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 119 FGO Tz. 23, m.w.N.). Diese Besetzung musste im Streitfall nicht mit der Richterbank der vorangegangenen mündlichen Verhandlung identisch sein. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist nach der Vertagung einer mündlichen Verhandlung ein Wechsel auf der Richterbank zulässig (, BFH/NV 2004, 350, m.w.N.).

2. Das Vorbringen der Klägerin kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn es so zu verstehen sein sollte, dass ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gerügt wird. Die Beteiligten können nicht nur auf den Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens verzichten (§ 90 Abs. 2 FGO), sondern können dies auch in Bezug auf den in § 81 Abs. 1 FGO zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erklären (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 81 FGO Tz. 34, m.w.N.). Dies hat die Klägerin im Streitfall getan, indem sie sich (ebenso wie das FA) mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bereiterklärt hat, nachdem in dem Parallelverfahren wegen Haftung des Geschäftsführers X die auch für die Sachaufklärung des Streitfalles maßgebliche Beweisaufnahme zum Teil durchgeführt worden war. Dabei konnte über die prozessuale Situation kein Zweifel bestehen, da der Berichterstatter des FG in seinem Anschreiben vom darauf hingewiesen hatte, dass bei Verzicht auf mündliche Verhandlung die Beweisaufnahme wegen des gleichen Sachverhalts nur einmal durchgeführt werden müsse. Die Klägerin hatte sich mit diesem Verfahren einverstanden erklärt. Unter diesen Umständen kann sie sich infolge Rügeverzichts nicht darauf berufen, das FG hätte die Ergebnisse der Beweisaufnahme nicht verwerten dürfen.

3. Soweit die Klägerin vorträgt, das FG sei aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zur Abweisung der Klage gelangt, ist die Beschwerde unzulässig, da mit dieser Rüge keiner der Zulassungsgründe des § 115 FGO dargelegt wird. Auch eine, wie die Klägerin meint, völlig den Denkgesetzen widersprechende Beweiswürdigung wäre kein Verfahrensmangel, sondern ein materiell-rechtlicher Fehler. Ein solcher liegt auch dann vor, wenn die vom FG ausgesprochene Rechtsfolge nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt wird (vgl. nur Gräber/Ruban, a.a.O., 6. Aufl., § 115 FGO Rz 81 ff.). Mit dem Hinweis auf materiell-rechtliche Fehler des FG kann die Zulassung der Revision jedoch nicht erreicht werden.

II. Der Antrag auf PKH war nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung abzulehnen. Denn nach den obigen Ausführungen hat die von der Klägerin beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Fundstelle(n):
KÖSDI 2007 S. 15423 Nr. 2
CAAAC-35144