EuGH Urteil v. - C-13/06

Keine Umsatzsteuerpflicht für Pannenhilfe

Leitsatz

Die Hellenische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-RL verstoßen, dass sie Dienstleistungen der Pannenhilfe im Straßenverkehr der Mehrwertsteuer unterworfen hat.

Gesetze: EG Art. 226; Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. a

Gründe

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im Folgenden: Sechste Richtlinie) verstoßen hat, dass sie Dienstleistungen der Pannenhilfe im Straßenverkehr der Mehrwertsteuer unterworfen hat.

2 Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie lautet:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

a) die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden".

3 Artikel 15 Absatz 42 des griechischen Gesetzes Nr. 2166/1993 (FEK Teil I 137/) bestimmt:

"... Natürliche und juristische Personen, die Beistandsleistungen im Straßenverkehr erbringen, unterliegen in Bezug auf die Beträge, die sie in Form von Beiträgen oder ausnahmsweise als Gegenleistung für eine Beistandsleistung oder andere damit zusammenhängende individuelle Dienstleistungen einnehmen, der Mehrwertsteuer."

4 Nachdem die Kommission festgestellt hatte, dass die Beistandsleistungen, die die ELPA (Griechischer Automobil- und Touringklub) ihren Mitgliedern gegen Zahlung eines festen Jahresbeitrags bei Fahrzeugpannen oder -unfällen erbracht hatte, durch Erhebung von Mehrwertsteuer auf die genannten Beiträge gemäß dem genannten Artikel 15 Absatz 42 besteuert worden waren, und da diese Umsätze ihrer Ansicht nach gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie von der Steuer hätten befreit werden müssen, richtete sie am eine schriftliche Abmahnung an die Hellenische Republik.

5 Da sie die Antwort der Hellenischen Republik nicht zufriedenstellte, richtete sie am an diese eine mit Gründen versehene Stellungnahme, mit der sie sie dazu aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Abstellung der von ihr gerügten Vertragsverletzung erforderlich sind.

6 In ihrer Antwort vom auf die genannte mit Gründen versehene Stellungnahme machte die griechische Regierung geltend, dass die beanstandete Vertragsverletzung u. a. deshalb nicht vorliege, weil es sich bei den fraglichen Beistandsleistungen im Straßenverkehr, die weder von einem Versicherer noch von einem Versicherungsmakler oder -vertreter erbracht würden, nicht um Versicherungsumsätze im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie handele.

7 Die Kommission macht in ihrer Klageschrift geltend, die Beistandsleistungen, die spezialisierte Einrichtungen ihren Mitgliedern bei Fahrzeugpannen im Straßenverkehr erbringen, könnten unter den Begriff "Versicherung" fallen, weil das gedeckte Risiko das ungewisse Ereignis betreffe, dass das Fahrzeug infolge einer im durch den betreffenden Beitrag abgedeckten Zeitraum eingetretenen Panne an einem unbestimmten Ort liegen bleibe.

8 In ihrer Klagebeantwortung stellt die griechische Regierung die ihr vorgeworfene Vertragsverletzung nicht in Abrede. Sie macht lediglich geltend, dass das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen Artikel 15 Absatz 42 des Gesetzes Nr. 2166/1993 aufheben lassen wolle. Wegen ihrer wiederholt bekundeten Absicht, die fragliche Regelung ändern zu lassen, sei das vorliegende Verfahren gegenstandslos und müsse die Kommission daher ihre Klage zurücknehmen.

9 Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Steuerbefreiungen gemäß Artikel 13 der Sechsten Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe darstellen, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen (vgl. u. a. Urteile vom , CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr. 15, und vom 20. November 2003, Taksatorringen, C-8/01, Slg. 2003, I-13711, Randnr. 37 und die dort zitierte Rechtsprechung).

10 Zu dem in Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verwendeten, aber in der Sechsten Richtlinie nicht definierten Begriff "Versicherungsumsätze" im Besonderen hat der Gerichtshof wiederholt ausgeführt, dass es nach allgemeinem Verständnis das Wesen eines Versicherungsumsatzes ist, dass der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung zu erbringen (vgl. u. a. Urteil Taksatorringen, Randnr. 39 und die dort zitierte Rechtsprechung).

11 Die Leistung, zu deren Erbringung im Versicherungsfall der Versicherer sich verpflichtet, braucht nicht in der Zahlung eines Geldbetrags, sondern kann auch in Beistandsleistungen entweder durch Geldzahlung oder durch Sachleistungen bestehen, wie sie im Anhang der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (ABl. L 228, S. 3) in der Fassung der Richtlinie 84/641/EWG des Rates vom 10. Dezember 1984 (ABl. L 339, S. 21) (im Folgenden: Richtlinie 73/239) aufgeführt sind. Der Gerichtshof hat insbesondere ausgeführt, dass es keinen Grund gibt, den Begriff "Versicherung" in der Sechsten Richtlinie anders als in der Richtlinie 73/239 zu verstehen (Urteil CPP, Randnr. 18).

12 In diesem Zusammenhang sei insbesondere darauf hingewiesen, dass der Begriff "Direktversicherung" nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 73/239 die in deren Artikel 1 Absatz 2 bezeichnete Beistandstätigkeit einschließt. Diese Tätigkeit einer Beistandsleistung zugunsten von Personen, die auf Reisen oder während der Abwesenheit von ihrem Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in Schwierigkeiten geraten, besteht darin, dass gegen vorherige Zahlung einer Prämie die Verpflichtung eingegangen wird, dem Begünstigten des Beistandsvertrags unmittelbar eine Hilfe zukommen zu lassen, wenn er sich infolge eines zufälligen Ereignisses in Schwierigkeiten befindet. Eine solche Hilfe kann u. a. in Naturalleistungen bestehen, die gegebenenfalls auch durch Einsatz des eigenen Personals oder Materials des Erbringers der Leistung erbracht werden können. Wie sich aus Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie 73/239 ergibt, kann eine solche Beistandsleistung bei einer Panne oder einem Unfall eines Kraftfahrzeugs die Form einer Pannenhilfe vor Ort oder auch der Überführung des Fahrzeugs an einen anderen Ort annehmen, an dem die Reparatur vorgenommen werden kann.

13 Was schließlich den Umstand angeht, dass es sich bei der ELPA angeblich nicht um einen Versicherer handelt, so ist daran zu erinnern, dass zwar die in Artikel 13 der Sechsten Richtlinie aufgeführten Steuerbefreiungen eng auszulegen sind, dass der Gerichtshof aber schon entschieden hat, dass der in Artikel 13 Teil B Buchstabe a dieser Richtlinie enthaltene Ausdruck "Versicherungsumsätze" grundsätzlich weit genug ist, um die Gewährung von Versicherungsschutz durch einen Steuerpflichtigen zu umfassen, der nicht selbst der Versicherer ist, aber im Rahmen einer Gruppenversicherung seinen Kunden einen solchen Schutz durch Inanspruchnahme der Leistungen eines Versicherers verschafft, der das versicherte Risiko zu decken übernimmt (vgl. Urteil CPP, Randnr. 22).

14 Aus alledem ist abzuleiten, dass, wie die Kommission zutreffend vorgetragen hat, Beistandsleistungen im Straßenverkehr, zu deren Erbringung an ihre Mitglieder gegen Zahlung eines festen Jahresbeitrags durch diese sich eine Einrichtung wie die ELPA für den Fall verpflichtet, dass das von ihr gedeckte Risiko einer Panne oder eines Unfalls eintritt, unter den Begriff "Versicherungsumsätze" im Sinne von Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie fallen und daher von der Mehrwertsteuer zu befreien sind.

15 Demgemäß ist festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 13 Teil B Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verstoßen hat, dass sie Dienstleistungen der Pannenhilfe im Straßenverkehr der Mehrwertsteuer unterworfen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

16 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Hellenische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Fundstelle(n):
RAAAC-34582