Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 211 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft in erster Linie die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, ebenfalls gegen die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags. Sie vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte des Mordes aus niedrigen Beweggründen, hilfsweise tateinheitlich zum Totschlag des versuchten Verdeckungsmordes, begangen durch Unterlassen, hätte schuldig gesprochen werden müssen. Sämtliche Revisionen erweisen sich als unbegründet.
II.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte war mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, der am geborene Steffen Lars und das spätere am geborene Tatopfer Mike Steven. Nach der Geburt des zweiten Kindes verschlechterte sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und sich zuspitzender finanzieller Probleme das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau. Auch im Verhältnis zu seinen Kindern reagierte der Angeklagte zusehends gereizter und aggressiver. Bei den ihm häufig von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflege von Mike übertragenen Aufgaben, etwa beim Ankleiden oder Windelwechseln, ging er sehr ungeduldig und grob, in zwei Fällen sogar mit derartiger körperlicher Kraft vor, dass das Kind erheblich verletzt wurde. In einem Fall, hatte er, als der Säugling beim Ankleiden strampelte, dessen linken Arm so fest gepackt und durch den Ärmel des Kleidungsstücks gezogen, dass das Kind einen Bruch des Oberarms erlitt. Bei einem weiteren Vorfall trug das strampelnde Kind durch einen heftigen Griff des Angeklagten beim Wickeln eine Spiralfraktur des rechten Oberschenkelknochens davon. Diese Vorfälle sind nicht Verfahrensgegenstand.
Am Tattag, den , verließ die Nebenklägerin gegen 9 Uhr morgens die eheliche Wohnung zu einem Einkaufsbummel. Die Bitte des Angeklagten, Mike oder wenigstens den älteren Sohn Lars mitzunehmen, hatte sie zuvor abgelehnt. Hierüber war der Angeklagte verärgert, da er bereits am Vortag sowie bei mehreren Gelegenheiten zuvor allein die Pflege und Aufsicht über die Kinder wahrgenommen hatte, während seine Ehefrau Freizeitaktivitäten nachgegangen war. Im Verlauf des Morgens begann Mike zu quengeln und zu schreien. Der Angeklagte war "genervt"; er versuchte zunächst das Kind durch Herumtragen und Schaukeln in seinem Kindersitz zu beruhigen. Weder durch anschließendes Füttern noch Wickeln gelang es ihm jedoch, das Kind vollständig ruhig zu stellen. Durch das fortwährende Schreien seines Sohnes wurde der Angeklagte immer ungeduldiger und gereizter. Hinzu kam, dass er auch den älteren Sohn Steffen zu beaufsichtigen hatte. Schließlich war der Angeklagte bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um Mike zum Schweigen zu bringen. Zunächst schüttelte er den Säugling so heftig, dass hierdurch Einblutungen in dessen Augen hervorgerufen wurden. Als das Kind daraufhin weiter schrie, schlug ihm der Angeklagte mit der Hand mehrfach mit derart roher Gewalt auf das mit einer Windel bedeckte Gesäß, dass ein großflächiges Hämatom entstand. Da Mike heftig weiter schrie, geriet der Angeklagte in eine derart aggressive, gereizte und ungeduldige Stimmung, dass ihm jedes Mittel recht war, um endlich Ruhe zu bekommen. Er führte - wovon das Landgericht zu seinen Gunsten ausgegangen ist - den Kindersitz, in dem das Kind unangeschnallt saß, mit einem wuchtigen Schlag gegen einen Heizkörper, so dass Mike aus dem Sitz heraus mit dem Kopf gegen den Heizkörper geschleudert wurde. Dem Angeklagten war hierbei bewusst, dass eine solche massive Gewalteinwirkung auch tödliche Verletzungen des erst zehn Wochen alten Kindes zur Folge haben konnte. Er nahm dies jedoch in Kauf, um den Säugling endlich zur Ruhe zu bringen. Mike erlitt infolge des Aufpralls eine Fraktur des linken Scheitelbeins und verlor das Bewusstsein. Gegenüber seiner unmittelbar danach zurückkehrenden Ehefrau versuchte der Angeklagte den Zustand des Kindes zu verheimlichen. Diese bemerkte jedoch eine Beule am Kopf des Kindes und brachte es umgehend in eine Kinderklinik. Noch in der folgenden Nacht verstarb Mike an den schweren Hirnverletzungen, die er durch den Aufprall auf den Heizkörper erlitten hatte.
Zu den Beweggründen der Tat hat das Landgericht ausgeführt, mitursächlich für die Tat sei die Verärgerung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau gewesen, die ihn zum Tatzeitpunkt nahezu zwei Tage mit den Kindern allein gelassen hatte, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Diese Verärgerung sei zum Zeitpunkt der Tathandlung jedoch bereits in den Hintergrund gerückt. Bestimmendes und unmittelbar tatauslösendes Motiv sei die Verärgerung und Gereiztheit des Angeklagten über das ständige Schreien des Kindes gewesen. Der ohnehin gegenüber seinen Kindern ungeduldige und leicht reizbare Angeklagte habe nur noch das Ziel gehabt, Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben. Diese Annahme werde durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, der von einem ständigen "Plärren" des Kindes sowie seiner sich dadurch immer weiter steigender Gereiztheit berichtet habe. Auch der den Angeklagten noch am Tattag vernehmende Polizeibeamte habe bekundet, nach seinem Eindruck habe der Angeklagte aufgrund des ständigen Schreiens des Kindes die Nerven verloren und nur noch gewollt, dass dieses ruhig sei.
III.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Beweggründen der Tat und zur Annahme eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe stellen weitgehend den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint.
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache kommen dabei in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36, 45 und 46 jew. m.w.N.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2006, 338, 340 m.w.N.).
b) Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung diese Grundsätze im Blick gehabt. Es hat sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der maßgebliche Beweggrund des Angeklagten für die Tatbegehung, nämlich seine Verärgerung über das ständige Weinen des Kindes verbunden mit dem Bestreben "Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben", Ausdruck einer niedrigen, besonders verachtenswerten Gesinnung des Angeklagten war. Hierbei war für das Landgericht leitend, dass der Angeklagte nahezu zwei Tage mit der Aufsicht und Pflege beider Kinder befasst gewesen war, er vor der Tat mehrfach versucht hatte, Mike mit angemessenen Mitteln, etwa durch Wickeln und Füttern, ruhig zu stellen und das Kind gleichwohl immer wieder, zuletzt unaufhörlich weiter geschrieen hatte. Ersichtlich hat es damit darauf abgestellt, dass der ohnehin leicht reizbare Angeklagte in dieser Situation nervlich überfordert war und es deshalb - und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, verwerflichen Gesinnung heraus - zu einem Aggressionsdurchbruch und der Gewaltanwendung gegen das Kind kam (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1, 31). Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340) und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
3. Vergebens rügt die Nebenklage, das Landgericht habe es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, den Angeklagten im Hinblick auf sein Nachtatverhalten wegen eines tateinheitlich durch Unterlassen begangenen versuchten Verdeckungsmordes zu verurteilen. Hat der Täter das Tatopfer - wie hier - mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt (vgl. Senat, NStZ 2003, 312). Dies gilt selbst dann, wenn - wovon hier nach den getroffenen Feststellungen nicht auszugehen ist - zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (Senat aaO).
Die Revision des Angeklagten:
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
PAAAC-34522
1Nachschlagewerk: nein