BAG Urteil v. - 3 AZR 372/05

Leitsatz

[1] Hat der Versorgungsempfänger die Anpassungsentscheidung nach § 16 BetrAVG rechtzeitig gerügt, so muss er grundsätzlich bis zum Ablauf des nächsten auf die Rügefrist folgenden Anpassungszeitraums Klage erheben. Andernfalls ist das Klagerecht verwirkt.

Gesetze: BetrAVG § 16; BGB § 242

Instanzenzug: ArbG Essen 7 Ca 6776/03 vom LAG Düsseldorf 7 (1) Sa 1502/04 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger auf Grund einer seiner Meinung nach ungenügenden Betriebsrentenanpassung zum für die Zeit vom bis zum eine höhere Betriebsrente zusteht.

Der Beklagte ist ein nichtrechtsfähiger Verein, der die wirtschaftlichen Interessen der Deutschen Steinkohlenbergbau-Unternehmen vertritt, die seine Mitglieder sind. Der Kläger ist Mitglied des Verbandes der Führungskräfte e.V. (VDF). Er war beim Beklagten angestellt und bezieht seit dem vereinbarungsgemäß eine betriebliche Altersversorgung nach der jeweils geltenden Leistungsordnung des Bochumer Verbandes, dessen Mitglied der Beklagte ist. § 20 der seit maßgeblichen Leistungsordnung (LO 1985) bestimmt zur Anpassung der laufenden Ruhegelder:

"Anpassung der laufenden Leistungen

Die laufenden Leistungen werden vom Verband unter Berücksichtigung der Belange der Leistungsempfänger und der wirtschaftlichen Lage der Mitglieder überprüft und ggf. nach billigem Ermessen angepaßt."

Der Bochumer Verband bündelt die Anpassungsprüfung dreijährig. Zum wurden die Betriebsrenten in allen Mitgliedsfirmen einheitlich um 4 %, zum einheitlich um 7,8 % angepasst. Zum kam es im Bochumer Verband erstmals zu einer unterschiedlichen Anpassungsentscheidung: Während die Betriebsrenten in den Mitgliedsunternehmen des Bergbaus um 8 % erhöht wurden, erhielten die Rentner der "übrigen Mitgliedsunternehmen" eine Anpassung iHv. 11,7 %, was der Preissteigerungsrate von Dezember 1990 bis Dezember 1993 entspricht. Diese Anpassungsentscheidung rügte der VDF Anfang 1994, nicht aber der Kläger persönlich. Der Beklagte passte die laufenden Leistungen an den Kläger zum um 8 % an.

Dagegen wurden die Anpassungsentscheidungen des Bochumer Verbandes von anderen Betriebsrentnern mehrfach angegriffen. Ein Betriebsrentner der RAG Aktiengesellschaft (RAG, als Unternehmen des Steinkohlenbergbaus ebenfalls Mitglied des Bochumer Verbandes und des Beklagten) klagte, vertreten vom Prozessbevollmächtigten des Klägers, gegen die Anpassungsentscheidung zum . Er vertrat die Auffassung, die Änderung der Leistungsordnung vom sei ihm gegenüber unwirksam. Ein weiterer Betriebsrentner der RAG klagte, um die Anpassung seiner Betriebrente ab dem um 11,7 % zu erreichen. Am kam es zu einem Gespräch zwischen Vertretern des VDF und der RAG. Sinngemäß wurde vereinbart, die bisher rechtshängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Anpassungsentscheidung 1994 terminlos zu stellen und von weiteren diesbezüglichen Klagen abzuraten, um zunächst im Verfahren zur Anpassungsentscheidung 1991 die Grundsatzfrage der gültigen Leistungsordnung des Bochumer Verbandes zu klären. Im Gegenzug verzichtete die RAG auf die Einreden der Verjährung oder Verwirkung gegenüber klagenden Mitgliedern des VDF.

Am entschied das Bundesarbeitsgericht zur Anpassung 1991, dass sich diese nach der LO 1985 richtet (- 3 AZR 467/95 -). Durch weiteres Urteil vom gleichen Tag (- 3 AZR 466/95 - BAGE 84, 38) entschied das Bundesarbeitsgericht zur Anpassungsentscheidung 1994, dass weder die Satzung noch die LO 1985 eine für alle Mitgliedsunternehmen einheitliche Anpassung der laufenden Ruhegelder vorschreiben.

In der Folgezeit setzte der Kläger gerichtlich Anpassungen seiner Betriebsrente um 5,6 % zum und um 3,44 % zum durch, beide auf der Basis der achtprozentigen Anpassung zum ( 14 (3) Sa 809/02 -; ArbG Essen - 7 Ca 5045/02 -). Die Anpassung zum in Höhe des Teuerungsausgleichs von 5,5 % geriet dagegen nicht in Streit.

Mit Eingang am hat der Kläger die vorliegende Klage er- hoben, mit der er - nach Klageerweiterung - eine Betriebsrentennachzahlung für die Zeit vom bis verlangt. Dazu hat er die Auffassung vertreten, dass die Anpassung zum 11,7 % (und nicht nur 8 %) hätte betragen müssen und dass infolge davon auch die nachfolgenden Anpassungen 1997, 2000 und 2003 zu niedrig ausgefallen seien. Denn vom Bochumer Verband sei zur Anpassungsentscheidung 1994 kein ordnungsgemäßer Beschluss, die Bergbauunternehmen betreffend, gefasst worden. Erst im Laufe der nachfolgenden Prozesse, letztlich erst mit der Senatsentscheidung vom (- 3 AZR 179/02 - AP BetrAVG § 1 Auslegung Nr. 1) sei klar geworden, dass für die 8 %-Anpassungsentscheidung 1994 im Bergbaubereich eine sachlich hinreichende Grundlage gefehlt habe. Zum Beispiel seien diesem Bereich auch Chemieunternehmen zugeordnet gewesen. Auch beim Beklagten selbst handele es sich nicht um ein Bergbau betreibendes Unternehmen. Der Bochumer Verband wie auch im Musterprozess die RAG hätten durch unvollständigen Vortrag die Erhebung rechtzeitiger Rügen in Bezug auf die Anpassung 1994 verhindert. Ihm, dem Kläger, müsse zugute kommen, dass der VDF vor dem Anpassungsstichtag die Anpassungsentscheidung zum gerügt habe. Zum einen hätten zwei VDF-Mitglieder in ihren Klagen gegen das Bergbauunternehmen "E B" vor dem Arbeitsgericht Aachen (- 3 Ca 130/95 - und - 7 Ca 101/95 -) entsprechende Rügen erhoben. Zum anderen habe der VDF sowohl in seiner Verbandszeitschrift Ausgabe November/Dezember 1994 als auch in der Ausgabe Juli/August 1997 Gegenvorstellungen zu den Anpassungsentscheidungen erhoben. Die Grundsatzfrage der sachlichen Zuordnung zu den Bergbauunternehmen einerseits und den übrigen Unternehmen andererseits bei der geteilten Anpassungsentscheidung im Bochumer Verband ("Listenstreit") sei in allen Rechtsstreitigkeiten zu den späteren Anpassungsentscheidungen angesprochen worden.

Der Kläger hat zuletzt beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn als zusätzliches Ruhegeld für die Zeit vom bis brutto 2.804,44 Euro zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung hat er die Auffassung vertreten, mit der erst am bei Gericht eingegangenen Klage könne der Kläger die Anpassungsentscheidung 1994 nicht mehr rügen. Weder der Kläger noch der VDF hätten in den nachfolgenden Rechtsstreitigkeiten die Anpassungsentscheidung 1994 iHv. 8 % hinsichtlich der reallohnbezogenen Obergrenze weiter in Frage gestellt. Die anderen Grundsatzfragen zu dieser Anpassungsentscheidung seien mit den Senatsurteilen vom geklärt worden. Ihm, dem Beklagten, sei es weder möglich noch zuzumuten, nach mehr als zehn Jahren eine damalige reallohnbezogene Obergrenze für die Anpassungsentscheidung 1994 zu belegen. In der "Listenfrage" sei schon 1994 klar gewesen, dass nach der Beschlusslage im Bochumer Verband er, der Beklagte, zum Bereich der Bergbauunternehmen zu zählen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Gründe

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg, weil die auf eine unzureichende Anpassungsentscheidung zum gestützte Klage unbegründet ist. Einen etwaigen Anspruch auf Korrektur dieser Anpassungsentscheidung kann der Kläger nicht mehr durchsetzen.

I. Dies folgt nicht bereits daraus, dass mit dem Urteil des Senats vom (- 3 AZR 466/95 - BAGE 84, 38) die Abweisung der Klage eines Betriebsrentners gegen die RAG, mit der dieser eine Erhöhung seiner Betriebsrente zum auf 11,7 % begehrte, rechtskräftig wurde.

Nach § 325 Abs. 1 ZPO wirken rechtskräftige Urteile für und gegen die Partei- en sowie deren Rechtsnachfolger nach Eintritt der Rechtshängigkeit. Eine Bindungswirkung gegenüber Dritten bedarf einer gesetzlichen Anordnung, an der es vorliegend fehlt ( - AP BetrAVG § 1 Auslegung Nr. 1, zu I 1 der Gründe). Auch auf Grund der Besonderheiten des Bochumer Verbandes als Konditionenkartell hat das Senatsurteil aus dem Jahre 1996 keine präjudizielle Wirkung. Die Anpassungspflichten der Mitgliedsunternehmen bestimmen sich nach dem Inhalt der vom Vorstand des Bochumer Verbandes gefassten Beschlüsse. Über die Höhe der Anpassung laufender Leistungen entscheidet der Vorstand des Bochumer Verbandes. Dagegen können die Arbeitsvertragsparteien nur ihre eigenen Rechtsbeziehungen gestalten. Die Parteien, die in einem Zivilprozess zuerst ein Urteil erwirken, können kein von allen übrigen Versorgungsberechtigten und Unternehmen zu beachtendes Präjudiz schaffen. Eine solche Bindungswirkung gegenüber diesen am Prozess nicht beteiligten Personen wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren.

II. Das Recht des Klägers, gegen die Anpassungsentscheidung zum zu klagen, ist verwirkt. Ihm kommt zwar die vom VDF Anfang 1994 erhobene Rüge zugute. Er hätte dann aber vor dem Klage erheben müssen. Mit dem ist sein Klagerecht verwirkt.

1. a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats wird die Verpflichtung zur nachträglichen Anpassung begrenzt durch die streitbeendende Wirkung einer früheren, nicht gerügten Anpassungsentscheidung. Wenn der Versorgungsempfänger die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers für unrichtig hält, muss er dies grundsätzlich vor dem nächsten Anpassungsstichtag dem Arbeitgeber gegenüber wenigstens außergerichtlich geltend machen. Mit dem nächsten Anpassungsstichtag entsteht ein neuer Anspruch auf Anpassungsentscheidung. Ohne Rüge erlischt der Anspruch auf nachträgliche Anpassung, also auf Korrektur einer früheren Anpassungsentscheidung. Damit wird sämtlichen Streitigkeiten über die Richtigkeit früherer Anpassungsentscheidungen die Grundlage entzogen. Die streitbeendende Wirkung ist umfassend ( - AP BetrAVG § 16 Nr. 55, zu II 1 der Gründe; - 3 AZR 172/02 - BAGE 107, 72, zu A I 2 der Gründe; - 3 AZR 56/95 - BAGE 83, 1, zu II 1 b der Gründe). Etwas anderes gilt, wenn der Versorgungsschuldner keine ausdrückliche Anpassungsentscheidung getroffen hat. Das Schweigen des Versorgungsschuldners enthält die Erklärung, nicht anpassen zu wollen. Diese Erklärung gilt nach Ablauf von drei Jahren als abgegeben. Deshalb kann der Arbeitnehmer diese nachträgliche Entscheidung bis zum übernächsten Anpassungstermin rügen ( - aaO, zu II 1 b bb der Gründe). Da § 20 LO 1985 sich nach Wortlaut und Inhalt an § 16 Abs. 1 BetrAVG anlehnt, sind die zur gesetzlichen Anpassungspflicht entwickelten Grundsätze der Senatsrechtsprechung auf Anpassungen im Konditionenkartell des Bochumer Verbandes anwendbar.

Dies gilt auch für die streitbeendende Wirkung früherer, nicht gerügter Anpassungsentscheidungen ( - aaO, zu II 2 b der Gründe).

Es entspricht dem Vereinheitlichungsziel des Bochumer Verbandes und den sich daraus ergebenden Besonderheiten dieses Versorgungssystems, dass nicht nur die Arbeitgeber gebündelt durch den Bochumer Verband handeln, sondern auch die Arbeitnehmer durch eine Interessenvertretung unternehmens- und personenübergreifend gegenüber dem Bochumer Verband auftreten können ( - AP BetrAVG § 16 Nr. 55, zu II 2 b der Gründe).

b) Der Bochumer Verband hat als Konditionenkartell zum eine gespaltene Anpassungsentscheidung getroffen, der zufolge die Bergbauunternehmen iHv. 8 %, die anderen Mitglieder in Höhe der Teuerungsrate von 11,7 % die Betriebsrenten anpassen sollten. Der Beklagte wurde den Bergbauunternehmen zugeordnet. Dementsprechend wurde die Betriebsrente des Klägers zum um 8 % angepasst. Damit liegt eine ausdrückliche Anpassungsentscheidung zu diesem Termin vor. Der VDF hat die Anpassungsentscheidung Anfang 1994 gerügt. Das kommt dem Kläger zugute.

c) Die in dem Gespräch vom zwischen Vertretern des VDF und der RAG getroffene Vereinbarung zu den Musterverfahren betrifft den Kläger nicht. Er ist zwar Mitglied des VDF, war jedoch nicht Beschäftigter oder Betriebsrentner der RAG, sondern des beklagten Verbandes.

2. Nach der erfolgten Rüge hätte der Kläger vor dem Klage er- heben müssen. Da er das nicht getan hat, ist sein Klagerecht verwirkt.

a) Das Recht, eine Klage zu erheben, kann verwirkt werden ( - BAGE 11, 353). Dies setzt voraus, dass der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebt (Zeitmoment). Weiter müssen Umstände vorliegen, auf Grund derer der Anspruchsgegner annehmen durfte, er werde nicht mehr gerichtlich belangt (Umstandsmoment); das Erfordernis des Vertrauensschutzes muss das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist (Zumutbarkeitsmoment) ( - AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 45 = EzA BGB § 242 Prozessverwirkung Nr. 2, zu II 3 b der Gründe; - 3 AZR 30/02 - AP BetrAVG § 3 Nr. 13 = EzA BetrAVG § 3 Nr. 9, zu IV der Gründe).

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Das Zeitmoment liegt auch bei rechtzeitiger Rüge vor, wenn nicht bis zum Ablauf des nächsten auf die Rügefrist folgenden Anpassungszeitraumes Klage erhoben wird. In diesem Fall sind in der Regel auch Umstands- und Zumutbarkeitsmoment gegeben. Der Arbeitgeber kann erwarten, dass nach einer ausdrücklichen Anpassungsentscheidung der Versorgungsberechtigte nicht nur rechtzeitig rügt, sondern im Anschluss an den Rügezeitraum binnen dreier Jahre gerichtlich vorgeht. Während Interessen des Versorgungsberechtigten in der Regel nicht entgegenstehen, hat der Versorgungspflichtige ein erhebliches Interesse an der Klärung seiner Anpassungspflichten, zumal die weiteren Rentenerhöhungen auf den früheren Anpassungen aufbauen und eine zuverlässige Grundlage für die Kalkulation des Versorgungsaufwands sowie für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens benötigt wird. Ein Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Im Gegenteil: Der Kläger hat nachfolgende Anpassungsentscheidungen gerichtlich angegriffen, ohne die Anpassungsentscheidung zum noch in Zweifel zu ziehen.

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2645 Nr. 48
DB 2006 S. 2527 Nr. 46
EAAAC-27321

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein