BFH Urteil v. - VI R 61/05

Revisionsantrag darf nicht über das Klagebegehren im erstinstanzlichen Verfahren hinausgehen;

Gesetze: FGO § 123 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 1999 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Darüber hinaus erzielte er negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Da der Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr zunächst nicht abgab, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheid vom unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Den Nachprüfungsvorbehalt hob das FA mit Bescheid vom auf.

Die Einkommensteuererklärung des Klägers ging beim FA am ein. Das FA behandelte die Einkommensteuererklärung zunächst als Antrag auf Änderung des Bescheids vom . Diesen Antrag lehnte es ab. Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Es handele sich bei der Einkommensteuererklärung nicht um einen Antrag auf Änderung eines Einkommensteuerbescheids, sondern um einen Antrag auf Durchführung der Veranlagung. Nachdem der Kläger dem FA mitgeteilt hatte, die Bescheide vom und vom nicht erhalten zu haben, sah das FA die Bescheide mangels Bekanntgabe als unwirksam an. Außerdem lehnte das FA den Antrag auf Veranlagung ab, da keine Pflichtveranlagung durchzuführen sei und der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verfristet sei. Den Einspruch verwarf das FA anschließend als unzulässig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 12 veröffentlichten Gründen ab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Nichtveranlagungsverfügung sowie der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer für 1999 auf 21 799 DM (11 135,43 €) festzusetzen, hilfsweise, das FA zu verpflichten, ihn für den Veranlagungszeitraum 1999 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist mit dem Hauptantrag unzulässig; sie ist aber hinsichtlich des Hilfsantrags begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verpflichtung des FA, den Kläger zur Einkommensteuer für 1999 zu veranlagen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Soweit der Kläger mit der Revision begehrt, die Einkommensteuer auf 21 799 DM (11 135,43 €) festzusetzen, fehlt es an einer formellen Beschwer als Voraussetzung für eine Sachentscheidung des Senats. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung zu verpflichten, die Einkommensteuer entsprechend der eingereichten Einkommensteuererklärung festzusetzen. Damit begehrte der Kläger sinngemäß, das FG möge das FA zur Durchführung der Veranlagung verpflichten. In welcher Höhe die Einkommensteuer aufgrund der vom Kläger erstrebten Veranlagung letztlich festzusetzen ist, war nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens. Der Antrag, die Einkommensteuer auf einen bestimmten Betrag festzusetzen, stellt demnach eine Klageerweiterung dar, die im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 123 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es dazu an einer Entscheidung des FG als dem Gegenstand der revisionsgerichtlichen Nachprüfung fehlt (, BFH/NV 1999, 788; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz. 56).

2. Im Hilfsantrag ist die Revision jedoch begründet. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung des Klägers gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG mehr als 800 DM beträgt.

Die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, ist für den Veranlagungszeitraum 1999 unter Beachtung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln (vgl. ).

Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Voraussetzungen für eine Veranlagung des Klägers nach § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative EStG zu Unrecht verneint. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Denn unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 3 EStG vorgeschriebenen Verhältnisrechnung übersteigt die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, jedenfalls den Betrag von 800 DM, wie sich auch aus der in der Steuerakte befindlichen Probeberechnung des FA ergibt.

Bei dieser Sachlage kommt es auf die vom Kläger erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gerügten Verfahrensverstöße nicht mehr an.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 45 Nr. 1
HFR 2007 S. 67 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 9/2008 S. 749
QAAAC-19162