BGH Beschluss v. - VI ZB 7/06

Leitsatz

[1] Wird eine per Telefax übertragene Berufungsbegründungsschrift vor Fristablauf nur unvollständig übermittelt, hat das Berufungsgericht zu prüfen, ob der vom Telefaxgerät des Gerichts empfangene Teil den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung genügt.

Gesetze: ZPO § 520

Instanzenzug: LG Hamburg 323 O 43/05 vom OLG Hamburg 1 U 117/05 vom

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Am hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert, zuletzt bis zum . An diesem Tag sind beim Oberlandesgericht zwei Telefaxe des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingegangen. Der Ausdruck des ersten, um 22.43 Uhr eingegangenen Faxschreibens enthält - in etwas verkleinerter Darstellung - die erste Seite sowie den Anfang der zweiten Seite der Berufungsbegründung. Das zweite, um 22.46 Uhr eingegangene Telefax entspricht der vierten (und letzten) Seite der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterzeichneten Berufungsbegründungsschrift. Das vierseitige Original dieses Schriftsatzes ist am beim Oberlandesgericht eingegangen. Auf Hinweis des Gerichts, dass die Berufung nicht fristgerecht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden sei, hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und geltend gemacht, bei der Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift sei ein älteres Faxgerät verwendet worden, welches mehrere nahtlos nacheinander eingegebene Seiten zu einer Seite zusammenfasse. Sie hat unter Vorlage des Tätigkeitsberichts des Sendegeräts, des Statusberichts des Empfangsgeräts sowie einer Einzelverbindungsübersicht der Deutschen Telekom AG vorgetragen, die erste Übermittlung habe zwei Minuten und 19 bzw. 23 Sekunden gedauert, die zweite 48 bzw. 50 Sekunden. Das erkläre sich dadurch, dass mit dem ersten Übermittlungsvorgang die ersten drei Seiten des Schriftsatzes und nach erneuter Anwahl der Telefax-Nummer des Oberlandesgerichts mit der zweiten Übermittlung die vierte Seite der Berufungsbegründung gesendet worden seien. Mithin sei die Berufungsbegründung innerhalb der Frist vollständig übermittelt worden. Dafür spreche auch, dass beide Übermittlungsvorgänge ausweislich des Tätigkeitsberichts des Sendegeräts ("I.O.") und des Statusberichts des Empfangsgeräts ("OK") erfolgreich gewesen seien. Dass das Empfangsgerät beim ersten Sendevorgang 11/4 Seiten des Originalschriftsatzes auf einem Blatt ausgedruckt und den Empfang nur einer Seite protokolliert habe, könne auf einem Papierstau bei diesem Gerät beruhen. Es sei auch nicht auszuschließen, dass aufgrund des schnellen Einzugs beim Sendegerät, bei dem drei Seiten als eine behandelt worden seien, bei dem Empfangsgerät ein Datenstau aufgetreten sei, der zur Folge gehabt habe, dass dieses Gerät nicht mehr in der Lage gewesen sei, die als Seiten 2 und 3 empfangenen Datenmengen ordnungsgemäß auszudrucken. Dies könne auch der Grund dafür sein, dass bezüglich des ersten Sendevorgangs im Protokoll nur eine Seite als empfangen ausgewiesen worden sei. Zum Beweis hat die Klägerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt und sich hilfsweise auf das Zeugnis des Geschäftsführers des Herstellers des Sendegeräts berufen.

Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die per Telefax eingegangenen zusammenhanglosen Seiten enthielten keine ordnungsgemäße Begründung des Rechtsmittels. Die darin enthaltenen Ausführungen seien lückenhaft, ergäben keinen Sinnzusammenhang und ließen die Berufungsgründe, auf die das Rechtsmittel gestützt werden solle, nicht hinreichend erkennen. Insbesondere fehle der tragende Berufungsgrund, wie er auf Seite 2 der nach Fristablauf eingereichten Berufungsbegründung zu finden sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unbegründet. Die Klägerin habe nicht dargetan, ohne Verschulden an der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sein. Ihr Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen müsse, hätte bei Wahrnehmung der gebotenen Sorgfalt bemerken müssen, dass nur zwei und nicht vier Seiten seines Schriftsatzes übermittelt worden seien. Für fristgebundene Schriftsätze habe bei ihm eine wirksame Ausgangskontrolle gefehlt. Aus dem Tätigkeitsbericht des Sendegeräts und dem Statusbericht des Empfangsgeräts gehe hervor, dass bei beiden Übermittlungsvorgängen jeweils nur eine Seite übertragen worden sei. Dies hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bemerken und überwachen müssen, zumal er nach eigenen Angaben ein - in seiner Privatwohnung stehendes - veraltetes und zu Defekten neigendes Faxgerät benutzt habe. Dies hätte eine sofortige Ausgangskontrolle zwingend erforderlich gemacht, die jedoch unterblieben sei. Nach den vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass der Fehler bereits beim Sendevorgang aufgetreten sei. Für einen Papierstau im Empfangsgerät sei nichts ersichtlich.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen, die Berufungsbegründung sei verspätet eingegangen. Ersichtlich geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt sei, weil der Schriftsatz mit der vollständigen Berufungsbegründung vorliegend erst am und damit nach Fristablauf eingereicht worden ist. Dabei lässt es verfahrensfehlerhaft den unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin außer Acht, dass die Berufungsbegründung am vorab vollständig per Telefax übermittelt worden sei. Träfe dies zu, wäre es unschädlich, dass der auf diese Weise übersandte Schriftsatz nicht vollständig ausgedruckt worden ist. Wird der Inhalt einer Berufungsbegründungsschrift mittels Telefax nämlich vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät des Prozessbevollmächtigten zum Empfangsgerät des Rechtsmittelgerichts übermittelt, dort aber infolge technischer Störungen (etwa eines Papierstaus) nicht vollständig und fehlerfrei ausgedruckt, so ist dennoch von einem im Zeitpunkt der Telefaxübermittlung erfolgten Eingang des Schriftsatzes auszugehen, wenn sein der Übertragung zugrunde liegender Inhalt anderweitig einwandfrei erkennbar ist (Senatsbeschluss vom - VI ZB 3/94 - VersR 1994, 745). Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob die übermittelten Daten vom Empfangsgerät vor Fristablauf vollständig ausgedruckt worden sind; vielmehr genügt es, dass die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen (gespeichert) worden sind ( - NJW 2006, 2263, 2265 f.). Ob dies vorliegend der Fall gewesen ist, kann indessen dahinstehen, weil die Berufungsbegründungsfrist hier aus anderen Gründen gewahrt ist.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt der aufgrund der Telefaxübertragung vom ausgedruckte und zur Akte gelangte Teil der Berufungsbegründung den Anforderungen gemäß § 520 Abs. 3 ZPO. Der Schriftsatz enthält neben der nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Erklärung, inwieweit das landgerichtliche Urteil angefochten und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge), auch die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO). So hat die Klägerin u.a. einen Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht gemäß § 139 ZPO gerügt und geltend gemacht, das Landgericht habe ihr nach dem im frühen ersten Termin erteilten Hinweis, dass es die Klage für unschlüssig halte, verfahrensfehlerhaft keine Gelegenheit gegeben, ihr Vorbringen zu ergänzen. Darüber hinaus hat die Klägerin die Ausführungen des Erstgerichts beanstandet, dass ausreichender Sachvortrag zu dem behaupteten Behandlungsfehler des Beklagten und zur Kausalität eines etwaigen Fehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden fehle. Dazu hat sie unter Beweisantritt vorgetragen, der Beklagte hätte schon im Herbst 2000 oder im Frühjahr 2001 eine Kontroll-Mammographie veranlassen müssen. Wäre diese erfolgt, hätte ihre Brust vollständig oder doch teilweise erhalten werden können. Dieses Vorbringen genügt den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung. Zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ist nämlich lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil aus der Sicht des Berufungsklägers in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen werden dafür nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind ( - NJW-RR 2003, 1580).

c) Da die Berufung hiernach fristgerecht begründet worden ist, ist der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts insgesamt aufzuheben. Das Wiedereinsetzungsverfahren ist gegenstandslos. Das Berufungsgericht hat nunmehr sachlich über die Berufung zu entscheiden (vgl. - NJW 1995, 2112, 2113).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2664 Nr. 49
NJW 2006 S. 3500 Nr. 48
EAAAC-18719

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja