BGH Beschluss v. - NotZ 13/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BNotO § 6 Abs. 2 Nr. 1; BNotO § 6 Abs. 2 Nr. 2; BNotO § 111 Abs. 4; BRAO § 27; BRAO § 42 Abs. 4

Instanzenzug: OLG Frankfurt/Main 2 Not 8/05 vom

Gründe

I. Der 1957 geborene Antragsteller und die weiteren Beteiligten - beide Rechtsanwälte in Lauterbach - bewarben sich um eine vom Antragsgegner am im Justiz-Ministerial-Blatt für Hessen (JMBl. S. 527) für den Amtsgerichtsbezirk L. ausgeschriebene Stelle. Der Antragsteller hat vom bis zum in Baden-Württemberg eine Ausbildung zum württembergischen Notar im Landesdienst (Bezirksnotar) durchlaufen und mit der Note "befriedigend" abgeschlossen. Nach dem sich anschließenden Studium der Rechtswissenschaften und dem Referendariat ist der Antragsteller seit dem Jahre 1991 als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht F. zugelassen. Anfang 1996 trat er als Sozius in eine in F. ansässige Kanzlei ein, für die er bis dahin als freier Mitarbeiter tätig war.

Der Antragsgegner führte das Auswahlverfahren gemäß Abschnitt A II seines Runderlasses zur Ausführung der Bundesnotarordnung vom (JMBl. S. 222) in der geänderten Fassung des Runderlasses vom (JMBl. S. 323) durch. Die höchste Punktzahl erzielte der Antragsteller mit 131,90, während die weiteren Beteiligten 124,10 Punkte bzw. 123,60 Punkte erreichten. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts schlug vor, die ausgeschriebene Notarstelle mit dem weiteren Beteiligten zu 1) zu besetzen. Der Antragsteller könne zwar auf eine höhere Punktzahl verweisen, erfülle aber nicht die örtliche Wartezeit nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO i.V. mit Abschnitt A II Nr. 1 Buchst. d des Runderlasses. Mit Schreiben vom wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass keine Veranlassung bestehe, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit eine Ausnahme zu machen.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung mit dem Inhalt, den Bescheid vom aufzuheben und den Antragsgegner zur Neubescheidung seiner Bewerbung um die am ausgeschriebene Notarstelle zu verpflichten, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine sofortige Beschwerde, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 111 Abs. 4 BNotO i.V. mit § 42 Abs. 4 BRAO zulässig, aber in der Sache unbegründet. Der Antragsgegner ist zu einer Neubescheidung nicht verpflichtet. Der darauf gerichtete Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO soll in der Regel als Anwaltsnotar nur bestellt werden, wer bei Ablauf der Bewerbungsfrist seit mindestens drei Jahren ohne Unterbrechung an dem in Aussicht genommenen Amtsbereich hauptberuflich als Anwalt tätig ist. Diese örtliche Wartezeit tritt neben die allgemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO. Sie setzt voraus, dass der Rechtsanwalt während einer bestimmten, der angestrebten Notarbestellung unmittelbar vorangehenden Zeit durchgängig bei dem Amtsgericht tätig war, das für den künftigen Amtsbereich zuständig ist. Der Amtsbereich entspricht dabei dem Bezirk des Amtsgerichts, in dem der Notar seinen Amtssitz hat (§ 10a BNotO). Das wäre für den Antragsteller das Amtsgericht L. . Dort ist er indes weder zugelassen, noch führt er seine Kanzleigeschäfte von L. aus. In seiner Bewerbung vom hat er angegeben, seine Kanzlei in F. zu betreiben; entsprechende Feststellungen hat das Oberlandesgericht getroffen. Der Antragsgegner ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass die örtliche Wartezeit nicht eingehalten ist.

2. Allerdings macht § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO die Erfüllung der örtlichen Wartezeit nur zur Regelvoraussetzung, von deren Einhaltung in Ausnahmefällen abgesehen werden kann. Dessen ist sich der Antragsgegner bewusst gewesen, wie aus seinem Bescheid vom hervorgeht. Er hat einen solchen Ausnahmefall indes verneint; seine Ausführungen hierzu erweisen sich als ermessensfehlerfrei.

a) Es ist schon fraglich, ob § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO die Möglichkeit eröffnet, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit vollständig abzusehen (offen gelassen in Senatsbeschlüssen vom - NotZ 17/01 - DNotZ 2002, 552; vom - NotZ 1/97 - BA S. 5), wie dies vom Antragsteller angestrebt wird. Die Vorschrift fordert nach ihrem Wortlaut eine ununterbrochene anwaltliche Berufsausübung an dem erstrebten Amtssitz seit mindestens drei Jahren. Das weist darauf hin, dass der Rechtsanwalt bei Ablauf der Bewerbungsfrist bereits in dem in Aussicht genommenen Amtsbereich tätig sein muss. Lediglich die Dauer dieser Tätigkeit, die regelmäßig wenigstens drei Jahre währen soll, kann in Ausnahmefällen kürzere Zeit betragen, etwa wenn dem Bewerber nur noch wenige Monate fehlen und ein Bestehen auf die Einhaltung der vollen Wartezeit als unzumutbare Härte erschiene. Eine Bestellung zum Notar kann dann erfolgen, obwohl der Bewerber die Mindestfrist von drei Jahren nicht erreicht hat. Beim Antragsteller verhält es sich jedoch anders. Er ist Sozius in einer Kanzlei, die ihren Sitz in F. hat, und beim dortigen Amtsgericht zugelassen. Dass er geltend macht, ein großer Teil seiner Mandanten stamme aus L. , vermag nichts daran zu ändern, dass er - anders als die weiteren Beteiligten - seinen Beruf nicht (örtlich) in L. ausübt (vgl. § 27 Abs. 1 BRAO)

b) Jedenfalls sind dem Antragsgegner bei Ausübung des ihm zustehenden Ermessens enge Grenzen gesetzt. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn er sich in solchen Fällen auf außergewöhnliche Sachverhalte beschränkt, die das (völlige) Absehen von der Einhaltung einer dreijährigen Wartezeit aus Gerechtigkeitsgründen oder Bedarfsgründen als zwingend erscheinen lassen. Anderenfalls wäre das vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und das diesem innewohnende Element der Chancengleichheit aller Bewerber (Art. 3 Abs. 1 GG; vgl. Senatsbeschluss vom aaO S. 554) verletzt. Die örtliche Wartezeit soll nicht nur verhindern, dass Bewerber, die die allgemeine Wartezeit zurückgelegt haben, sich für die Bestellung zum Notar den ihnen hierfür am günstigsten erscheinenden Ort ohne Rücksicht auf dort bereits ansässige Rechtsanwälte aussuchen. Sie soll vor allem eine gleichmäßige Behandlung aller Bewerber gewährleisten. Es dürfen diejenigen Bewerber nicht benachteiligt werden, die trotz an sich gegebener persönlicher und fachlicher Eignung für den Zweitberuf als Anwaltsnotar von einer Bewerbung mit Blick darauf absehen, dass die örtliche Wartezeit von ihnen noch nicht erfüllt ist. Auf das Erfordernis einer regelmäßigen örtlichen Wartezeit von mindestens drei Jahren können und dürfen sich alle Bewerber einstellen und ihre berufliche Planung sowie spätere Bewerbung entsprechend ausrichten. Ausnahmen sind deshalb umso strikter zu handhaben, je kürzer die Dauer der hauptberuflichen anwaltlichen Tätigkeit an dem in Aussicht genommenen Amtsbereich ist. Das gilt auch für den Antragsteller, der insbesondere nicht geltend machen kann, aufgrund des Senatsbeschlusses vom (NotZ 19/01 - NJW-RR 2002, 1142) darauf vertraut zu haben, auf die Erfüllung der örtlichen Wartezeit komme es in seinem Fall nicht an. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO waren nicht Gegenstand der damaligen Senatsentscheidung. Es ist lediglich im Sachverhalt mitgeteilt worden, der Antragsgegner habe Bedenken gegen die Wartezeit zurückgestellt. Dem lässt sich weder entnehmen, dass der Antragsgegner auf diese Bedenken nicht bei anderer Gelegenheit zurückkommen oder diese sogar ganz aufgeben wollte, noch dass der Senat ein Absehen von der Wartezeit bereits gebilligt hätte.

Soweit der Antragsteller darauf abstellt, dass der Runderlass in Abschnitt A II Nr. 1 Buchst. d in seiner ursprünglichen Fassung für den Fall, dass nicht mehr als drei örtliche Bewerberinnen oder Bewerber vorhanden sind, eine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Einhaltung der örtlichen Wartezeit vorsah, weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass diese Ausnahmeregelung vorliegend nicht anwendbar gewesen wäre, weil der Kanzleisitz des Antragstellers in einem anderen Amtsgerichtsbezirk (F. ) als der in Aussicht genommene Amtssitz (L. ) liegt.

c) Das Regelerfordernis der örtlichen Wartezeit ist der Auswahl unter den geeigneten Bewerbern (§ 6 Abs. 3 BNotO) vorgelagert. Würde schon die bessere Eignung als solche genügen, von dem Erfordernis abzusehen, verlöre es seine eigenständige Bedeutung. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die Bevorzugung des fachlich besser geeigneten, die Wartezeit aber nicht erfüllenden Bewerbers aufgrund eines außergewöhnlichen Sachverhalts zwingend erscheinen (vgl. Senatsbeschlüsse vom aaO). Davon ist vorliegend nicht auszugehen.

Für die Besetzung der ausgeschriebenen Notarstelle stehen mit den weiteren Beteiligten zwei fachlich und persönlich geeignete Bewerber zur Verfügung, wobei der Antragsgegner seine Auswahlentscheidung - angesichts der von diesem erzielten höheren Punktezahl - zugunsten des weiteren Beteiligten zu 1) getroffen hat. Dass der Antragsteller seinerseits eine höhere Punktezahl als der weitere Beteiligte zu 1) erreicht hat, steht dem nicht entgegen. Anders als der Antragsteller dies meint, weist er im Vergleich zu diesem keine deutlich höhere Qualifikation auf. Der Antragsteller macht dafür im Wesentlichen die Gründe geltend, auf die er sich auch in dem Verfahren NotZ 3/06 berufen hat, nämlich auf eine vor etwa 20 Jahren absolvierte Ausbildung zum Bezirksnotar, seine Promotion zu einem erbrechtlichen Thema und seine schwerpunktmäßige anwaltliche Tätigkeit im Erbrecht. Abgesehen davon, dass der Antragsgegner dies durch die Vergabe von insgesamt sechs Sonderpunkten berücksichtigt hat, kann dem Antragsteller insbesondere nicht darin gefolgt werden, dass seine Ausbildung zum Bezirksnotar als Fortbildungsveranstaltung im Sinne von Abschnitt A II Nr. 3 Buchst. c des Runderlasses zu behandeln und mit 360, mindestens aber 180 Fortbildungspunkten zu bewerten wäre. Der Senat verweist dazu auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom heutigen Tage in der Sache NotZ 3/06 unter II. 1. bis 3., denen nichts hinzuzufügen ist. Angesichts eines Abstandes von knapp acht Punkten lässt sich aber nicht von einer derart überragenden Qualifikation des Antragstellers sprechen, dass es unabweislich geboten erschiene, den Antragsteller - noch dazu unter gänzlichem Verzicht auf die örtliche Wartezeit - zum Notar zu bestellen.

d) Auch zwingende Gründe der Gerechtigkeit, die ein Absehen von der örtlichen Wartezeit erforderten, sind nicht erkennbar. Der Umstand, dass der Antragsteller in L. seit seiner Geburt seinen Lebensmittelpunkt hat und mit seiner Familie dort wohnt, genügt nicht, um eine persönliche Härte zu begründen. Unbeschadet seines familiären und sozialen Umfeldes - und in Kenntnis des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO - hat sich der Antragsteller dafür entschieden, sich beruflich als Rechtsanwalt in F. niederzulassen. Auch sein im Vergleich zu den weiteren Beteiligten höheres Lebensalter kann in diesem Zusammenhang kein Kriterium sein, um einen Ausnahmetatbestand zu rechtfertigen. Zwingende Gerechtigkeitsgründe folgen daraus nicht. Selbst eine Gesamtschau aller insoweit maßgeblichen Umstände ergibt nicht, dass sich der Antragsgegner - in Verdichtung des ihm eingeräumten Ermessens - veranlasst sehen musste, von der dreijährigen Wartezeit abzurücken und den Antragsteller in seine abschließende Auswahlentscheidung einzubeziehen.

e) Der Antragsteller vermag ferner den mit der örtlichen Wartezeit verfolgten Zweck auch nicht auf andere Weise zu erreichen (vgl. Senatsbeschlüsse vom aaO S. 555 f.; vom - NotZ 4/00 - ZNotP 2000, 439, 440; vom - NotZ 38/96 - DNotZ 1997, 905, 906). Es kann unterstellt werden, dass er mit den örtlichen Verhältnissen in L. vertraut ist, weil er dort in seinem privaten und außerberuflichen Umfeld fest verwurzelt ist und zudem im beruflichen Bereich vielfältige Mandantenkontakte nach L. pflegt. Der Antragsteller hat überdies dargelegt, fertig ausgestattete Büroräume im Souterrain des von ihm bewohnten Einfamilienhauses vorzuhalten. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass es ihm ohne weiteres möglich wäre, die organisatorischen Voraussetzungen für eine notarielle Geschäftsstelle zu schaffen, so dass er die Notariatsgeschäfte unverzüglich und in vollem Umfang aufnehmen könnte. Das allein vermag ein Absehen von der Wartezeit jedoch nicht zu rechtfertigen.

Denn der Bewerber muss bei Ablauf der Bewerbungsfrist auch die erforderlichen wirtschaftlichen Grundlagen für die angestrebte Notariatspraxis gelegt haben. Soll diese wirtschaftliche Grundlage des aufzubauenden Notariats in der Anwaltstätigkeit des Bewerbers liegen, ist es nicht zulässig, die laufenden Mittel, die den künftigen Notariatsbetrieb sicherstellen sollen, aus dem Gebührenaufkommen zu entnehmen, das außerhalb des Amtsbereiches erwirtschaftet wird. Dann wären die örtliche Wartezeit und die Leitlinien des Anwaltsnotariats, die zu ihr geführt haben, grundsätzlich berührt. Der Anwaltsnotar hat seine Geschäftsstelle als Notar an dem ihm zugewiesenen Amtssitz zu nehmen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Damit ist, unbeschadet der ihm als Anwalt nach § 27 BRAO weiter eröffneten Möglichkeiten, auch der Ort der Anwaltskanzlei festgelegt. Die wirtschaftliche Grundlage für die Ausübung beider Berufe ist mithin an dem für das Notariat bestimmten Amtssitz zu schaffen. Die örtliche Wartezeit verlagert die räumliche Verflechtung beider Berufe in die Zeit vor der Bestellung zum Amt. Für die Frage, ob die Zwecke der Wartezeit anderweit sichergestellt sind, muss dieser Zusammenhang gewahrt bleiben. Ein bisher anderweit zugelassene Rechtsanwalt muss mithin, wenn er sich nach Änderung der Zulassung im Bezirk des Amtsgerichts, in dem er nunmehr zugelassen ist, vorzeitig um eine Notariatsstelle bewirbt, aufgrund seiner dort ausgeübten Anwaltstätigkeit die wirtschaftlichen Grundlagen des angestrebten Notariats gelegt haben (Senatsbeschluss vom aaO S. 556).

Die wirtschaftliche Grundlage der Anwaltstätigkeit ist für den Antragsteller indes - ungeachtet seiner in L. wohnenden Mandanten - in seiner Kanzlei in F. zu finden. Diese Kanzlei müsste der Antragsteller nach L. verlegen. Es mag sein, dass dies angesichts der vorgehaltenen Büroräume und des vorhandenen Mandantenstammes ohne nennenswerte Anlaufschwierigkeiten möglich wäre. Das ändert nichts daran, dass der Antragsteller seine Kanzlei bislang nicht in L. betreibt. Es ist auch hier zu beachten, dass es nicht lediglich um eine Abkürzung der dreijährigen Wartezeit geht, die angesichts einer bereits vollzogenen wirtschaftlichen Etablierung vor Ort gerechtfertigt wäre, sondern um ein Absehen von jeglicher Wartezeit, ohne dass sich abschließend beurteilen ließe, wann und mit welcher zeitlichen Vorgabe die wirtschaftlichen Grundlagen in dem genannten Sinne geschaffen wären. Vor diesem Hintergrund erscheint der Standpunkt des Antragsgegners, den Antragsteller auf die Einhaltung der - vollständig fehlenden - Wartezeit zu verweisen, nicht als ein sinnloses Beharren auf Formalien (vgl. Senatsbeschluss vom - NotZ 24/96 - DNotZ 97, 900, 901 zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO).

Fundstelle(n):
DNotZ 2007 S. 75 Nr. 1
TAAAC-15973

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein