BAG Urteil v. - 1 AZR 322/05

Leitsatz

[1] Ein Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan kann nur vererbt werden, wenn er zum Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers bereits entstanden war. Haben die Betriebsparteien den Zeitpunkt der Entstehung des Abfindungsanspruchs nicht ausdrücklich geregelt, ist er durch Auslegung des Sozialplans zu ermitteln. Dabei ist im Falle einer Betriebsstilllegung insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer regelmäßig keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen, wenn er vor der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses stirbt.

Gesetze: BetrVG § 112 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: ArbG Stralsund 4 Ca 211/04 vom LAG Mecklenburg-Vorpommern 3 Sa 463/04 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

Die Kläger sind die Erben des vormals bei der Beklagten beschäftigten K A. Am beschloss die Beklagte die vollständige Stilllegung ihres Betriebs zum . Am vereinbarte sie mit dem für diesen Betrieb gewählten Betriebsrat einen Sozialplan. Dieser dient nach seiner Präambel "dem Ausgleich bzw. der Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsschließung entstehen". Er enthält ua. folgende Regelungen:

"§ 1 Geltungsbereich

1. Der Sozialplan gilt für 12 Arbeitnehmer und drei Auszubildende ..., die am in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen und die aus Anlass der geplanten Betriebsschließung entlassen werden.

2. Als betriebsbedingte Entlassungen gelten:

- betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers,

- betriebsbedingte, arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsvereinbarung,

- arbeitgeberseitig veranlasste, betriebsbedingte Eigenkündigung.

...

§ 3 Abfindung

1. ...

Stichtag für die Berechnung von Alter und Betriebszugehörigkeit ist der Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. ...

2. Die Sozialplanabfindung ist jeweils mit dem Austritt des Arbeitnehmers zur Zahlung fällig.

...

5. Eine Abfindung aus dem Sozialplan entsteht nicht, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil die Voraussetzung für eine personenbedingte/verhaltensbedingte Kündigung vorliegt."

Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers A auf Grund der Betriebsstilllegung zum und bezifferte die ihm aus dem Sozialplan voraussichtlich zustehenden Abfindungsansprüche mit 11.160,97 Euro. Am verstarb Herr A. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung haben die Kläger die Sozialplanabfindung in der dem Erblasser mitgeteilten, unstreitigen Höhe eingeklagt. Sie haben die Auffassung vertreten, der Abfindungsanspruch sei spätestens mit Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung entstanden und habe daher vererbt werden können.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie gesamthänderisch 11.160,97 Euro zuzüglich Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers sei der Anspruch auf die Sozialplanabfindung noch nicht entstanden gewesen. Das Arbeitsverhältnis des Erblassers habe nicht auf Grund der Betriebsschließung, sondern auf Grund seines Todes geendet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Klage weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers war ein Anspruch aus dem Sozialplan noch nicht entstanden und deshalb nicht Bestandteil des nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Kläger übergegangenen Vermögens. Selbst wenn mit dem Abschluss des Sozialplans und dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung bereits ein aufschiebend bedingter Anspruch entstanden sein sollte, erstarkte dieser mangels Eintritts der Bedingung nicht zum Vollrecht.

I. Ansprüche auf Sozialplanabfindungen können vererbt werden. Sie sind nicht höchstpersönlicher Natur, sondern vermögensrechtlicher Art und können daher im Wege der Erbfolge auf Dritte übergehen (Oetker GK-BetrVG 8. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 137; Richardi/Annuß BetrVG 10. Aufl. § 112 Rn. 199; Fitting 23. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 181).

II. Die Kläger haben keinen Abfindungsanspruch erworben, weil ein solcher zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht entstanden war. Nach dem Sozialplan war Voraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs die auf der Betriebsstilllegung beruhende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu dieser ist es nicht gekommen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge auszulegen. Auszugehen ist deshalb zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung ist ferner der Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, sofern er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. - 1 AZR 632/01 - BAGE 103, 312, zu A II 1 der Gründe; - 1 AZR 335/02 - EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 5, zu I 1 der Gründe; - 1 AZR 3/04 - EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 13, zu 1 der Gründe).

2. Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung des Sozialplans vom ergibt, dass ein Arbeitnehmer den Anspruch auf eine Abfindung nur erwirbt, wenn er das betriebsbedingte Ausscheiden aus dem Betrieb erlebt.

a) Aus dem Wortlaut des Sozialplans ergibt sich nicht eindeutig, wann der Abfindungsanspruch entsteht. Die Verwendung des Begriffs "Entlassung" spricht zwar dafür, dass Anspruchsvoraussetzung die arbeitgeberseitig veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein soll. Da nach § 1 Nr. 2 des Sozialplans aber auch die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers, die betriebsbedingte, arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsvereinbarung und die arbeitgeberseitig veranlasste, betriebsbedingte Eigenkündigung als betriebsbedingte Entlassung gelten, könnte nach dem Wortlaut des Sozialplans auch bereits mit dem Vorliegen einer dieser Tatbestände der Abfindungsanspruch entstanden sein.

b) Der systematische Zusammenhang der Sozialplanbestimmungen spricht maßgeblich dafür, dass der Abfindungsanspruch erst mit dem auf der Betriebsstilllegung beruhenden Ausscheiden aus dem Betrieb entstehen soll. Das folgt insbesondere aus § 3 Nr. 5 des Sozialplans. Danach "entsteht" eine Abfindung aus dem Sozialplan nicht, "wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil die Voraussetzung für eine personenbedingte/verhaltensbedingte Kündigung vorliegt". Von dieser Bestimmung sollen erkennbar nicht nur die Fälle erfasst werden, in denen statt einer betriebsbedingten Kündigung eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen wird, sondern auch diejenigen, in denen die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung die betriebsbedingte Kündigung "überholt", also nach ihr ausgesprochen wird. Da die Betriebsparteien bestimmt haben, dass in einem solchen Fall der Anspruch auf die Abfindung nicht "entsteht", kann er zuvor allein durch den Abschluss des Sozialplans oder den Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung noch nicht entstanden sein. Andernfalls hätten die Betriebsparteien die Regelung dahin gehend treffen müssen, dass der bereits entstandene Anspruch erlischt.

c) Vor allem jedoch ergibt sich aus Sinn und Zweck des Sozialplans, dass ein Abfindungsanspruch nur dann entstehen soll, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund der Betriebsstilllegung endet. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient ein Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Die Betriebsparteien haben diesen Regelungszweck in der Präambel des Sozialplans ausdrücklich übernommen. Dabei stellt eine Sozialplanabfindung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keine nachträgliche Vergütung für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste dar; vielmehr hat sie in erster Linie eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion im Hinblick auf die infolge einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer eintretenden wirtschaftlichen Nachteile ( - 1 AZR 760/00 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 142 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 108, zu III 1 a der Gründe; - 1 AZR 407/02 - BAGE 108, 147, zu I 1 der Gründe; - 1 AZR 254/04 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 175, zu II 1 b bb der Gründe). Dem entspricht es, den Entstehungszeitpunkt des Abfindungsanspruchs auf den Zeitpunkt der betriebsbedingten Vertragsbeendigung zu legen. Erst ab diesem Zeitpunkt treten die Nachteile ein, die der Sozialplan ausgleichen oder abmildern soll. Stirbt der Arbeitnehmer vorher, kann der Sozialplan seine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion nicht erfüllen. Arbeitnehmern, die nicht infolge der Betriebsstilllegung ihren Arbeitsplatz verlieren, sondern schon vorher aus anderen Gründen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, entstehen keine nach dem Sinn des Sozialplans auszugleichenden oder abzumildernden Nachteile. Dies gilt auch im Falle des Todes. Eine ausschließlich die Erben begünstigende Abfindung würde dem Zweck des Sozialplans nicht gerecht (vgl. auch - BAGE 84, 158, zu 2 der Gründe). Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vererblichkeit vertraglicher und tarifvertraglicher Abfindungsansprüche. Darin wurde regelmäßig entscheidend auf den vereinbarten oder erkennbaren Leistungszweck abgestellt (vgl. - 10 AZR 907/95 - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 13 = EzA TVG § 4 Abfindung Nr. 1, zu II 3 a der Gründe; - 9 AZR 227/96 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 8 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 29, zu 3 der Gründe; - 9 AZR 277/99 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 20 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 36, zu 2 der Gründe; - 2 AZR 250/02 - AP ZPO § 767 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 1, zu II 4 b der Gründe; wohl auch - AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 6).

3. Hiernach war beim Tod des Erblassers noch kein unbedingter Abfindungsanspruch entstanden, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Kläger hätte übergehen können. Da der Erblasser am starb, führte die mit Schreiben vom von der Beklagten zum ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung nicht zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses.

III. Selbst wenn mit dem Abschluss des Sozialplans und dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung bereits ein aufschiebend bedingter Anspruch oder eine "Anwartschaft" des Erblassers auf die Sozialplanabfindung entstanden sein sollte, so erstarkte diese Rechtsposition nicht etwa nach seinem Tode mit dem Ablauf der Kündigungsfrist und der Stilllegung des Betriebs am zu einem Vollrecht. Die dazu erforderliche Bedingung trat nicht ein und kann nicht mehr eintreten. Sie bestand darin, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der betriebsbedingten Kündigung endet. Daher ist sie mit dem Tod des Erblassers endgültig ausgefallen. Ein aufschiebend bedingter Abfindungsanspruch oder eine hierauf gerichtete anwartschaftliche Rechtsposition sind wirkungslos geworden.

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2027 Nr. 37
DB 2006 S. 2131 Nr. 39
NWB-Eilnachricht Nr. 47/2006 S. 3968
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2007 S. 4291
ZIP 2006 S. 1836 Nr. 39
HAAAC-15630

1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein