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BSG Urteil v. - B 11 AL 9/02 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: AFG § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

I

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom bis . Er macht geltend, er sei in dieser Zeit als Strafgefangener verfügbar gewesen.

Der 1952 geborene Kläger befand sich nach rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten vom bis in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in L Vor dem Strafantritt war er in der Zeit vom 1. Mai bis und vom bis beitragspflichtig beschäftigt; während der Strafhaft leistete er vom bis beitragspflichtige Außenarbeit.

Nachdem der Kläger im März 1996 in der JVA den Antrag gestellt hatte, als Freigänger bei seinem früheren Arbeitgeber (Firma W.) tätig werden zu dürfen, beschloss die "Freigänger-Konferenz" der JVA am , es werde vorgeschlagen, den Kläger zum Freigang in einem gut kontrollierbaren Betrieb zuzulassen. Gleichzeitig verfügte die JVA, der Kläger werde auf die "Warteliste der Freigänger im freien Beschäftigungsverhältnis" gesetzt und es werde endgültig entschieden, sobald ein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden könne und der Gefangene sich weiterhin bewähre. Im Anschluss daran erteilte die JVA dem Kläger einen Bescheid vom , in dem mitgeteilt wurde, er könne als Freigänger gemäß § 39 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) eingesetzt werden, die Tätigkeit müsse aber gut kontrollierbar sein und es müsse das notwendige Maß an Distanz zu den Entscheidungsträgern einer Firma vorliegen; eine Arbeit bei der Firma W. werde abgelehnt, da überwiegende Gründe des Vollzugs dem entgegenstünden. Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger erfolglos mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Beschluss der Strafvollstreckungskammer beim Landgericht O vom ).

Mit Antrag vom begehrte der Kläger von der Beklagten die Gewährung von Alg. Am wurde dem Kläger von der JVA ein Freigänger-Ausweis ausgestellt. Zum Antrag auf Alg nahm die JVA dem Arbeitsamt gegenüber mit Schreiben vom Stellung und verwies darauf, dass der Kläger auf die Warteliste für Freigänger gesetzt worden sei. Daraufhin lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit ab ab (Bescheid vom ). Für die Zeit ab bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg bzw ab Unterhaltsgeld wegen Teilnahme des Klägers an einer Bildungsmaßnahme.

Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom machte der Kläger geltend, die JVA habe in einem Schriftsatz an die Strafvollstreckungskammer des ausgeführt, er (der Kläger) habe die Erlaubnis erhalten, Freigänger gemäß § 39 StVollzG zu werden, und in den Vollzugsplanfortschreibungen vom und sei jeweils der Vermerk "Freigängerstatus erteilt, arbeitssuchend" enthalten. Die JVA teilte demgegenüber der Beklagten mit, die Vermerke in den Vollzugsplanfortschreibungen seien falsch; es sei gemeint gewesen, dass der Kläger in eine Warteliste eingetragen gewesen sei. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom ).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Der Kläger habe in der streitbefangenen Zeit bis auf das Merkmal "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen" alle Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg gemäß § 100 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erfüllt. Zwar habe er im streitigen Zeitraum eine beitragspflichtige Beschäftigung angestrebt; er habe sie allerdings nicht ausüben dürfen, weil ihm die JVA den dafür erforderlichen Freigängerstatus gemäß § 39 Abs 1 StVollzG, der ihm ein ungehindertes Verlassen der Strafanstalt ermöglicht hätte, nicht zuerkannt habe. Die JVA habe im Widerspruchsverfahren klar zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger in eine Warteliste für Freigänger aufgenommen worden sei, womit der uneingeschränkte Freigängerstatus nicht verbunden gewesen sei. Dies belege auch das für den Kläger erfolglose Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Zwar enthalte ein in diesem Verfahren eingereichter Schriftsatz der JVA den missverständlichen Hinweis, der Gefangene habe die Erlaubnis erhalten, Freigänger zu werden. Daraus könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dem Kläger sei der Freigängerstatus tatsächlich erteilt gewesen; denn die JVA habe in ihren späteren schriftlichen Äußerungen richtig gestellt, dass der Kläger nur in die Warteliste aufgenommen worden sei. Gegen die vom Kläger behauptete Erteilung des Freigängerstatus spreche auch, dass die JVA die Erteilung in der Weise handhabe, dass ein Freigängerausweis ausgestellt werde, wie dies hier erst am der Fall gewesen sei. Da für die vorhergehende Zeit ein entsprechendes Dokument nicht vorliege, stehe fest, dass der Kläger nicht die erforderliche Gestattung nach § 39 Abs 1 StVollzG besessen habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG. Er verweist insbesondere auf den der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts O zugeleiten Schriftsatz der JVA vom , in dem diese geäußert habe, er (der Kläger) habe mit Bescheid vom die Erlaubnis erhalten, Freigänger gemäß § 39 StVollzG zu werden. Die JVA habe auch ergänzend darauf hingewiesen, dass der Gefangene durchaus die Möglichkeit habe, eine geeignete Arbeit für sich zu finden. Die JVA sei also von Verfügbarkeit ausgegangen. Auf Grund der Entscheidung und der Äußerungen der JVA habe er sich als Freigänger gefühlt. Er habe auch tatsächlich iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Auch die Aufnahme in die Warteliste stelle bereits eine hinreichend gesicherte Rechtsposition dar, dass er Arbeit aufnehmen könne und dürfe. Der tatsächlichen Aufnahme einer Beschäftigung stehe nur noch die Prüfung der JVA entgegen, ob der jeweilige Freigänger tatsächlich für dieses Beschäftigungsverhältnis geeignet sei. Es stelle sich also nicht mehr die Frage, ob der Strafgefangene/Freigänger tatsächlich Erlaubnis zum Freigang habe, sondern einzig und allein, ob Freigänger- bzw Beschäftigungsverhältnis konkret geeignet seien. Selbst wenn also die zuständige JVA prüfe und abschlägig beurteile, dass das Beschäftigungsverhältnis und der Freigänger nicht zueinander passten, stehe als solches fest, dass ein Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich aufgenommen werden könne. Die Besonderheiten des Freigängerbeschäftigungsverhältnisses schlössen es auch nicht aus, den Freigänger in der Zeit zwischen Wirksamwerden der Erlaubnis (Aufnahme in die Warteliste) und der Aufnahme der Beschäftigung tatsächlich als arbeitslos iS der §§ 101 ff AFG anzusehen.

Der Kläger beantragt,

die und des sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Alg für die Zeit vom bis zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Die Entstehung des "Freigängerstatus" sei mit der Aufnahme des Klägers in die Warteliste noch offen gewesen. Aus missverständlich formulierten Schreiben der JVA könne der Kläger keine Rechtsposition herleiten.

II

Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht für die zu beurteilende Zeit vom bis kein Anspruch auf Alg zu.

Anspruch auf Alg hat nach den für die Zeit vor 1998 geltenden Vorschriften der §§ 100 ff AFG, wer arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat. Das LSG hat hierzu ausgeführt, alle vorgenannten Voraussetzungen seien mit Ausnahme der Verfügbarkeit erfüllt. Ob dies auch für die Arbeitslosmeldung beim Arbeitsamt gilt, wozu das Urteil des LSG nähere Feststellungen nicht enthält, kann dahinstehen. Denn es fehlt jedenfalls für die Zeit vom bis an der Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit; der Kläger stand in dieser Zeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Nach § 103 Abs 1 Satz 1 AFG (in der hier anzuwendenden Fassung durch Art 1 Nr 26 des Gesetzes zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom <BGBl I 2044>) steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare, die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr 1), ua zur Annahme einer zumutbaren Beschäftigung bereit ist (Nr 2) sowie das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist (Nr 3). Das LSG hat angenommen, der Kläger habe im fraglichen Zeitraum eine Beschäftigung nicht iS von § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG ausüben dürfen, weil ihm die JVA damals den Freigängerstatus (noch) nicht erteilt hatte. Dies ist nicht zu beanstanden.

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Beschäftigung iS von § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG nur ausüben, wer jederzeit in der Lage ist, eine angebotene Beschäftigung aufzunehmen; der Arbeitslose darf also durch nichts an der Beschäftigungsaufnahme gehindert sein und er muss sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamts aktuell zur Verfügung halten (ua BSGE 62, 166, 170 = SozR 4100 § 103 Nr 39, sowie Urteil des Senats vom , B 11 AL 35/98 R, DBlR 4502 zu § 103 AFG, jeweils mwN). Der Senat hat zu § 103 AFG entschieden, dass für einen Strafgefangenen, dem nach § 39 Abs 1 Satz 1 StVollzG gestattet worden ist, als Freigänger einer Arbeit auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, grundsätzlich eine Beschäftigungsaufnahme im vorbezeichneten Sinne in Betracht kommt und er nach dem Wirksamwerden der Erlaubnis bis zur Aufnahme dieser Beschäftigung arbeitslos sein kann (BSGE 67, 269, 271 f = SozR 3-4100 § 103 Nr 2). Dem lag die nach dem StVollzG zulässige Praxis zu Grunde, den in § 11 Abs 1 Nr 1 und § 39 Abs 1 StVollzG geregelten Freigang zur Ausübung einer Beschäftigung zunächst abstrakt zu gestatten, unabhängig von der späteren Entscheidung, ob eine bestimmte Beschäftigung aufgenommen werden dürfe (vgl dazu Vollz = NStZ 1993, 100). Diese Rechtsprechung kann jedoch im vorliegenden Fall nicht zu Gunsten des Klägers herangezogen werden; denn nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hatte die JVA dem Kläger - anders als in dem der vorbezeichneten Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zu Grunde liegenden Fall - vor dem eine solche abstrakte Gestattung, einer Arbeit als Freigänger auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, nicht erteilt.

Nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Freigängerausweis dem Kläger erst mit diesem Datum ausgestellt worden. Die JVA hatte mit dem Bescheid vom die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses abgelehnt. Eine abstrakte Erlaubnis zum Freigang zur Aufnahme einer Beschäftigung war damit nicht verbunden. Die JVA hatte vielmehr die mögliche Aufnahme einer solchen Beschäftigung als Freigänger von inhaltlichen Vorgaben in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis abhängig gemacht. Die Angabe im Schriftsatz vom bezieht sich auf den konkreten Rechtsstreit über die Erteilung der Genehmigung, eine bestimmte Beschäftigung ausüben zu dürfen. Die Angaben in den Vollzugsfortschreibungen ("Freigängerstatus erteilt") sind nicht dem Kläger gegenüber erfolgt und von der JVA als falsch bezeichnet worden.

War somit dem Kläger im fraglichen Zeitraum die Aufnahme einer Arbeit als Freigänger auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses nicht gestattet, ist dem LSG zuzustimmen, dass der Kläger in dieser Zeit nicht in der Lage war, eine beitragspflichtige Beschäftigung entsprechend den Anforderungen des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG auszuüben. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - nicht daraus, dass der Kläger nach den vom LSG als zutreffend angesehenen Ausführungen der JVA in eine "Warteliste für Freigänger" aufgenommen war. Bereits aus dem Begriff "Warteliste" ergibt sich, dass die Aufnahme des Klägers in diese Liste nicht mit der Erlaubnis zum Freigang - also eine Beschäftigung ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten, § 11 Abs 1 Nr 1 StVollzG - und damit auch nicht mit der in § 39 Abs 1 StVollzG vorgesehenen Möglichkeit der Gestattung gleichgesetzt werden kann, einer Arbeit als Freigänger auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses nachzugehen. Ob einem Gefangenen überhaupt der Freigang gestattet wird, liegt in der Entscheidung der JVA (vgl Schwind/Böhm, StVollzG, 2. Aufl 1991, § 11 RdNr 7; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl 2000, § 11 RdNr 6 ff). Hat der Gefangene die Erlaubnis zum Freigang nicht erhalten, sondern muss auf diese noch "warten", ist es ihm auch nicht möglich, als Freigänger ein freies Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Anstalt iS des § 39 Abs 1 StVollzG einzugehen.

Ob die Verweigerung der Erlaubnis zum Freigang bzw der Gestattung gemäß § 39 Abs 1 StVollzG dem Kläger gegenüber den gesetzlichen Voraussetzungen entsprochen hat und durch gewichtige Vollzugsbelange gerechtfertigt gewesen ist (vgl BVerfGE 98, 169, 210 = NJW 1998, 3337, 3340), hat der Senat nicht zu überprüfen. Die Entscheidung der JVA hat vielmehr bei der Beurteilung der Verfügbarkeit für die Arbeitsverwaltung Tatbestandswirkung; solange die JVA keine positive Entscheidung über den Freigängerstatus getroffen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, der betreffende Strafgefangene sei verfügbar.

Im Ergebnis hat somit das LSG zutreffend angenommen, dass der Kläger keine Beschäftigung iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG aufnehmen durfte. Es kann offen bleiben, ob eine etwa vom Kläger in der fraglichen Zeit angestrebte Beschäftigung den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprochen hat und ob die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Verfügbarkeit von Strafgefangenen (BSGE 67, 269, 271 ff = SozR 3-4100 § 103 Nr 2) auch unter Geltung der Bestimmungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) zu den Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Alg aufrechterhalten bleiben kann (vgl insbesondere § 119 SGB III).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Fundstelle(n):
OAAAC-14793