BSG Urteil v. - B 7 AL 58/03 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB X § 48; SGB X § 45; AFG § 115; SGG § 62

Instanzenzug:

Gründe

I

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen für die Zeit vom bis und gegen die Forderung der Beklagten, insoweit überzahlte Leistungen in Höhe von 4.153,62 DM (bzw 2.123,71 €) zu erstatten.

Der 1947 geborene Kläger war von Oktober 1981 bis Ende Dezember 1993 als Triebwagenführer bei einer Verkehrsgesellschaft versicherungspflichtig beschäftigt. Die Beklagte bewilligte ihm im Februar 1994 ab März 1994 (nach Ablauf einer Sperrzeit) Alg für eine Anspruchsdauer von 500 Tagen in Höhe von zunächst 320,40 DM wöchentlich und (nach einer Änderung der Lohnsteuerklasse, einer Dynamisierung und Inkrafttreten einer neuen Leistungsverordnung) ab letztlich in Höhe von 251,40 DM wöchentlich (Bescheid vom ). Bei Antragstellung hatte der Kläger angegeben, seit 1985/1986 auch als Selbstständiger ein Transportunternehmen (Flugtransporte mit eigenem Flugzeug; Mietwagenverkehr) zu betreiben. Er habe jedoch keine geregelte wöchentliche Arbeitszeit und erziele keine Einkünfte.

Im Rahmen des Datenabgleichs zwischen Sozialversicherungsträgern erfuhr die Beklagte im Mai 1996, dass der Kläger seit eine geringfügige Beschäftigung bei Dipl.-Ing. Eberhard B. ausübe. Ermittlungen ergaben, dass der Kläger vom bis ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 560,00 DM und vom bis in Höhe von 580,00 DM bezogen hatte (Schreiben des Dipl.-Ing. B. vom ). In einem (nicht datierten) Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und Dipl.-Ing. B. heißt es, der Kläger arbeite seit auf "DM 520.-Basis". Seine Tätigkeiten erstreckten sich auf "Flugvorbereitungen, Pilot, Co/Pilot, Flugzeugpflege ect." Der "Aushilfslohn" betrage, "bei einer Arbeitszeit von ca wöchentlich 7 Std à DM 18,00 DM 520,00".

Wegen unterbliebener Anrechnung dieses Nebeneinkommens hob das Arbeitsamt (ArbA) daraufhin die Bewilligung von Alg für die Zeit vom bis in Höhe des Anrechnungsbetrags von 4.153,62 DM auf und verlangte die Erstattung dieses Betrags (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung, mit denen der Kläger geltend gemacht hatte, in den Jahren 1994 und 1995 insgesamt Verluste erlitten zu haben, blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> vom ; Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligungen sei nicht § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), sondern § 48 SGB X iVm § 330 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III). Die Minderung des Leistungsanspruchs erfolge nach § 115 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der Kläger habe in der fraglichen Zeit neben seiner selbstständigen Tätigkeit eine kurzzeitige (weniger als 18 Stunden wöchentlich) abhängige Beschäftigung ausgeübt; der Verdienst daraus müsse auf das Alg angerechnet werden. Die geltend gemachten Aufwendungen könnten nicht als Werbungskosten iS des § 115 Abs 1 AFG anerkannt werden. Es handele sich um Ausbildungskosten, die für die geringfügige Beschäftigung nicht erforderlich gewesen seien. Sie seien allenfalls bei der selbstständigen Tätigkeit zu berücksichtigen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 48 SGB X bzw des § 45 SGB X, jeweils iVm § 115 AFG, sowie die Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zwar werde die Auffassung des LSG, seine Tätigkeit bei Dipl.-Ing. B. sei eine abhängige Beschäftigung gewesen, nicht angegriffen. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 115 AFG sei jedoch eine Gesamtbewertung der Einkünfte erforderlich. Die positiven Einkünfte aus der abhängigen Beschäftigung würden durch Verluste aus der selbstständigen Tätigkeit vollständig kompensiert. Diese Gesamtbetrachtung sei insbesondere deshalb vorzunehmen, weil die abhängige Beschäftigung dazu gedient habe, die selbstständige gewerbliche Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Eine getrennte Betrachtung widerspreche steuerlichen Grundsätzen und verletze den Gleichheitssatz. Das LSG habe außerdem entscheidungserheblichen Vortrag unberücksichtigt gelassen. Er (der Kläger) habe vorgetragen, dem ArbA bereits vor Beginn seiner Arbeitslosigkeit umfassend die tatsächlichen Umstände seiner Tätigkeit bei Dipl.-Ing. B. geschildert und dabei auch erwähnt zu haben, dass "diese Tätigkeit auf 520-DM-Basis laufe". Bei dieser Gelegenheit hätte ihn das ArbA dahin beraten müssen, dass Verluste aus der selbstständigen Tätigkeit nicht mit den Einkünften aus der abhängigen Beschäftigung verrechnet werden könnten. Er hätte die abhängige Beschäftigung dann als selbstständige Tätigkeit gestaltet. Grobe Fahrlässigkeit iS des § 45 SGB X sei jedenfalls nicht gegeben.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des LSG und das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss im Ergebnis für zutreffend. Allerdings sei entgegen der Ansicht des LSG nicht § 48 SGB X, sondern § 45 SGB X anzuwenden, weil die Alg-Bewilligung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Der Kläger hätte Angaben zu seiner abhängigen Beschäftigung (zeitlicher Umfang, Entgelt) machen müssen. Eine Gesamtbetrachtung von Einkünften sehe § 115 AFG nicht vor. Letztlich fehle es sogar an Feststellungen des LSG, ob trotz der abhängigen Beschäftigung und der selbstständigen Tätigkeit noch Arbeitslosigkeit vorgelegen habe, also der Kläger insgesamt nur kurzzeitig (weniger als 18 Stunden wöchentlich) tätig gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) für eine endgültige Entscheidung des Senats.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte zum einen die Bewilligung von Alg für die Zeit vom bis als teilweise rechtswidrig insoweit zurückgenommen hat, als vom Kläger erzieltes Nebeneinkommen hätte berücksichtigt werden müssen, und mit dem die Beklagte zum anderen die Erstattung des überzahlten Betrags in Höhe von 4.153,62 DM (entspricht 2.123,71 €) verlangt hat. Betroffen durch den Rücknahmebescheid sind der Ausgangs-Bewilligungsbescheid vom Februar 1994 und der Bescheid vom , mit dem die Beklagte die Leistungshöhe mit Rücksicht auf die neue Lohnsteuerklasse des Klägers rückwirkend ab geändert hat. Dieser Bescheid korrespondiert mit dem Bescheid vom , durch den die Beklagte die zuvor für die Zeit ab ergangenen Bescheide (vom 13. und ) über die Anpassung der Leistungshöhe auf Grund einer neuen Leistungsverordnung für das Jahr 1995 und die Dynamisierung des Bemessungsentgelts teilweise aufgehoben hat. Der bestandskräftige Bescheid vom hat die Bescheide vom 13. und ersetzt.

Die Beklagte hat für die streitgegenständliche Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom Februar 1999 zu Recht die Vorschrift des § 45 SGB X als einschlägig angesehen. Zu Unrecht beruft sich das LSG demgegenüber zur Anwendung des § 48 SGB X auf eine Entscheidung des (BSGE 82, 198, 209 ff = SozR 3-4100 § 242v Nr 1). Darin hat der erkennende Senat für den Fall eines unregelmäßigen Nebenverdienstes zum Alg entschieden, es dürfe wegen der Anrechnung des Nebenverdienstes gemäß § 115 AFG regelmäßig nur ein vorläufiger Bescheid ergehen (§ 147 AFG; ab § 328 SGB III); ein endgültiger Bescheid könne erst nach der Erzielung des Nebeneinkommens erstellt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in den Fällen, in denen ein regelmäßiges Nebeneinkommen anzurechnen ist, nicht bereits im Voraus für einen längeren Zeitraum eine Bewilligung auszusprechen ist. Bei der Bewilligung von Alg, also einer auf Dauer angelegten Leistung, steht zum Zeitpunkt der Entscheidung nie sicher fest, dass der Anspruch überhaupt oder in der Form fortbesteht, in der er sich zum Zeitpunkt der Bewilligung ergibt. Gleichwohl wäre es unzulässig, noch nicht endgültig zu entscheiden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung keine konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Änderung vorliegen (s zu dieser Problematik unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Bedingung: Heitsch, DÖV 2003, 367, 370). Selbst unter Berücksichtigung des vom Kläger geltend gemachten und im Voraus unter Umständen nicht genau ermittelbaren "Verlustausgleichs" ist die Aufhebung des jeweiligen Bewilligungsbescheides vorliegend an § 45 SGB X zu messen. Denn die Verwaltung ist grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines endgültigen Bescheids die Sachlage vollständig zu klären (BSGE 67, 104, 113 ff = SozR 3-1300 § 32 Nr 2; BSG SozR 3-4100 § 71 Nr 2 mwN; Eicher in Hennig, SGB III, § 328 RdNr 1, Stand Februar 2004). Der Erlass eines endgültigen Bescheides trotz erst künftig ermittelbarer, allenfalls prospektiv schätzbarer Umstände ohne rechtliche Schätzungsbefugnis (s ab § 329 SGB III) statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig. § 48 SGB X wäre nur anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergeben hätte (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 47 S 105).

Auch die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom , mit dem die Beklagte wegen des Steuerklassenwechsels eine Neuberechnung der Alg-Leistung vorgenommen hat, misst sich an § 45 SGB X. Mit diesem Bescheid und dem Aufhebungsbescheid vom haben sich die zuvor ergangenen Bescheide (wegen Dynamisierung und neuer Leistungsverordnung) erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Nur diese hatten nach der Rechtsprechung des Senats einen beschränkten Regelungsgehalt (BSGE 82, 198, 201 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 42 S 138; SozR 3-4100 § 249e Nr 9 S 64; SozR 3-4800 § 63 Nr 1 S 3 f) und beinhalten nicht automatisch den Fehler des ursprünglichen Bewilligungsbescheides, auf dem sie aufbauen (BSG SozR 1300 § 45 Nr 37: Ablehnung einer Theorie der konstitutiven Fehlerwiederholung); erst wenn der Ausgangs-Bewilligungsbescheid aufgehoben ist, sind Dynamisierungsbescheide und Bescheide anlässlich einer neuen Leistungsverordnung wegen Änderung der Sach- und Rechtslage gemäß § 48 SGB X aufzuheben, soweit der Fehler nicht in der Dynamisierung selbst bzw in der Anwendung der neuen Leistungsverordnung liegt. Vorliegend hat die Beklagte demgegenüber mit dem Bescheid vom iVm dem Bescheid vom eine völlig neue Berechnung des Alg vorgenommen und musste dies auch tun.

§ 45 SGB X wird für das Arbeitsförderungsrecht allerdings durch § 330 Abs 2 SGB III modifiziert; danach hat die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensausübung in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X zu unterbleiben. Bei "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers ist also eine Aufhebung - auch mit Wirkung für die Vergangenheit - zwingend. Zwar ist § 330 SGB III erst am , nach Erlass des Rücknahmebescheids (vom ), in Kraft getreten; der Widerspruchsbescheid datiert jedoch auf den . Zu diesem Zeitpunkt galt bereits das SGB III, sodass § 152 Abs 2 AFG, der ohnehin mit § 330 Abs 2 SGB III inhaltlich identisch ist, nicht mehr zur Anwendung kommt (vgl zum Geltungszeitraumprinzip des SGB III: BSG SozR 4-4100 § 119 Nr 1 mwN; ferner: Gitter, SGb 2003, 479; Eicher in Hennig, SGB III, Vor § 422 ff, RdNr 2 ff mwN, Stand Februar 2004; ders im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 1 RdNr 12 ff mwN). Auch nach den Regeln des allgemeinen intertemporalen Verfahrensrechts ist grundsätzlich auf das zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids geltende Recht abzustellen (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 8 S 24 mwN).

Vorliegend kann bereits nicht abschließend beurteilt werden, ob der angefochtene Bescheid der Beklagten wegen Verstoßes gegen § 24 Abs 1 SGB X aufzuheben ist. Danach war, da die Voraussetzungen für das Absehen von einer Anhörung gemäß § 24 Abs 2 SGB X nicht vorliegen, dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach dem Inhalt der Akten ist dem Kläger vor Erlass des Bescheids vom eine derartige Gelegenheit nicht geboten worden. Allerdings wäre eine Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs 1 und 2 SGB X denkbar. Unklar, weil vom LSG weder festgestellt noch sonst ersichtlich, ist vor allem, ob der dem Kläger übermittelte Bescheid die Anlagen zur Teilaufhebung und Berechnung des Erstattungsbetrags enthielt. Bei seiner Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass nach §§ 41 Abs 1 und 2, 42 SGB X iVm § 114 Abs 2 Satz 2 SGG eine fehlende Anhörung unter bestimmten Voraussetzungen bis zur letzten Tatsacheninstanz des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann (zu dieser Problematik: BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 22; SozR 3-2600 § 243 Nr 9 S 37 f; SozR 3-8850 § 5 Nr 5 S 79 ff).

Darüber hinaus wird das LSG zu prüfen haben, ob der Rücknahmebescheid der Beklagten dem Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs 1 SGB X entspricht. Denn diesem würde nicht die Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Wochen genügen (BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 15 S 32 f). Hierzu wird das LSG den Inhalt des Rücknahmebescheids unter Berücksichtigung der dem Senat nicht bekannten Anlage und des Widerspruchsbescheids auszulegen haben (vgl zur Auslegung grundlegend BSGE 67, 104, 110 mwN = SozR 3-1300 § 32 Nr 2).

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG in Übereinstimmung mit diesem davon auszugehen, dass der Kläger bei Dipl.-Ing. B. eine Tätigkeit ausgeübt hat, die nach den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (s: BSGE 72, 105, 107 = SozR 3-4100 § 169b Nr 1; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 4, 13 und 19; SozR 3-4100 § 104 Nr 8; ; Schlegel in Hennig, SGB III, § 25 RdNr 49 ff, Stand Dezember 2002) als abhängige Beschäftigung anzusehen ist. Für den Senat bindend hat das LSG auch festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers eine sog Kurzzeittätigkeit iS des § 102 AFG (hier idF, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom - BGBl I 2343 - erhalten hat) war, weil sie auf weniger als 18 Stunden wöchentlich beschränkt war, und dass sich die Höhe der Einkünfte auf 560,00 DM netto monatlich für das Jahr 1994 und 580,00 DM netto monatlich für das Jahr 1995 belief. Die genaue Anzahl der Wochenstunden ist indes nicht festgestellt. Ausgehend von seiner Rechtsansicht, die vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten seien bei der abhängigen Beschäftigung nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen, hat das LSG zu diesen Werbungskosten selbst ebenfalls keine Feststellungen getroffen. Feststellungen fehlen schließlich, weil das LSG in der Sache davon ausging, dass ein Verlustausgleich zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung nicht möglich sei, auch dazu, ob der Kläger überhaupt eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hat, bzw welchen zeitlichen Umfang diese selbstständige Tätigkeit wöchentlich umfasste. Auf diese Feststellungen kommt es jedoch an, weil der Senat der Rechtsansicht des LSG zur Berücksichtigung von Werbungskosten im Rahmen des § 115 AFG und zum Ausschluss eines Verlustausgleichs nicht folgt.

Nach § 115 AFG (hier idF, die die Vorschrift durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vom - BGBl I 1792 - erhalten hat) mindert sich das Alg während einer Zeit, in der der Arbeitslose eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt, um die Hälfte des um die Steuern, die Sozialversicherungsbeiträge und die Werbungskosten verminderten Arbeitsentgelts aus dieser Beschäftigung (Nettoarbeitsentgelt), soweit dieses Nettoarbeitsentgelt 30,00 DM übersteigt (Abs 1 Satz 1). Das Nettoarbeitsentgelt wird jedoch voll berücksichtigt, soweit es zusammen mit dem nach Satz 1 verbleibenden Alg 80 vH des für das Alg maßgebenden Arbeitsentgelts übersteigt (Abs 1 Satz 2). Hat der Arbeitslose während des Bemessungszeitraums eine kurzzeitige Beschäftigung ständig ausgeübt, so bleiben abweichend davon Arbeitsentgelte außer Betracht, soweit sie auf Arbeitszeiten entfallen, die

1. die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der kurzzeitigen Beschäftigung im Bemessungszeitraum und

2. zusammen mit der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit der beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum die für diese Beschäftigungsverhältnisse nach § 112 Abs 3 und 4 Nr 1 und 2 maßgebende tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht übersteigen (Abs 2 Satz 1). Für selbstständige Tätigkeiten gelten die Abs 1 und 2 entsprechend (Abs 3).

Übt der Arbeitslose mehrere Tätigkeiten iS des § 115 AFG aus, so darf die Kurzzeitigkeitsgrenze insgesamt nicht überschritten werden. Denn § 115 AFG steht in engem Zusammenhang mit § 101 AFG, bei dem eine Zusammenrechnung mehrerer Tätigkeiten vorzunehmen ist (§ 101 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AFG). Hat mithin der Kläger die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten, wäre nicht nur eine Einkommensanrechnung vorzunehmen gewesen, sondern ihm stand dann mangels Arbeitslosigkeit überhaupt kein Alg zu. Auch hierzu hat das LSG jedoch keine Feststellungen getroffen. Ohne Bedeutung wäre dies, wenn die von der Beklagten vorgenommene und vom LSG akzeptierte Berechnung als solche nicht zu beanstanden wäre. Der angefochtene Bescheid wäre dann jedenfalls nicht rechtswidrig. Allerdings fehlen ausreichende Feststellungen des LSG zur richtigen Höhe des Alg ohne Anrechnung von Nebenverdiensten, und die Berechnungsmethode der Beklagten im Rahmen des § 115 AFG ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Zwar dürften die Voraussetzungen des § 115 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 AFG nicht vorliegen. Jedoch lassen die Feststellungen des LSG auch hierzu keine abschließende Entscheidung zu.

Für die Anrechnung von zugeflossenem (zu dieser Voraussetzung: Henke in Hennig, SGB III, § 141 RdNr 51, Stand Juni 2004; Voelzke im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 11 f) Arbeitsentgelt (aus abhängiger Beschäftigung) und zugeflossenem Arbeitseinkommen (aus selbstständiger Tätigkeit) im Rahmen des § 115 AFG ist entscheidend, wann das Einkommen erarbeitet (BR-Drucks 445/85 S 83 zu Nr 22; BSGE 82, 198, 209 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 3 S 9 f), nicht, wann es zugeflossen ist (so noch BSG SozR 4100 § 115 Nr 1 zu einer früheren Fassung des § 115 Abs 1 AFG). Da die Minderung des Alg wochenweise vorzunehmen ist, muss aus einem monatlichen jeweils ein wöchentliches Arbeitsentgelt/Arbeitseinkommen errechnet werden (BSGE 82, 198, 209 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1; BSG SozR 4100 § 115 Nr 2). Das Gesetz selbst gibt hierzu in § 115 AFG keine Berechnungsmethode vor. Auch ein Rückgriff auf § 112 Abs 3 Satz 2 AFG (Formel: Monatseinkommen x 3 : 13), ist insoweit nicht möglich, weil auf diese Weise ein Durchschnittswert des wöchentlich erzielten Arbeitsentgelts/Arbeitseinkommens entsprechend der ausdrücklichen Formulierung in § 112 Abs 3 Satz 1 AFG ermittelt würde, während § 115 AFG nicht die Ermittlung eines solchen Durchschnittswerts, sondern eines konkreten wochenweisen Verdienstes verlangt. Selbst wenn dies unpraktikabel erscheint, kann der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung nur dadurch entsprochen werden, dass das Monatseinkommen durch die Zahl der Tage des jeweiligen Monats dividiert und das Ergebnis mit sieben multipliziert wird, um den Wochenanrechnungsbetrag zu erhalten (so auch: Radüge in Gagel, AFG, § 115 RdNr 89 f; anders § 141 SGB III seit : monatsweise Anrechnung). Dies gilt nicht nur für Arbeitsentgelte aus einer abhängigen Beschäftigung, sondern in gleicher Weise für Arbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit. Auch Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Werbungskosten sind wochenweise zu ermitteln (BSG SozR 4100 § 115 Nr 2 S 13). § 339 SGB III mit seiner Berechnungsregel (Monat mit 30 Tagen, Woche mit sieben Tagen), kommt vorliegend nicht zur Anwendung, weil die Vorschrift für die Zeiträume, für die eine Anrechnung vorzunehmen gewesen wäre, noch nicht galt. Auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids kommt es dabei nicht an.

Ob zu Gunsten des Klägers bei dem Nebenverdienst aus der abhängigen Beschäftigung Werbungskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, kann auf der Grundlage der Feststellungen des LSG vom Senat nicht entschieden werden. Der Begriff der Werbungskosten wird in § 115 AFG nicht näher erläutert. Er ist nach der Rechtsprechung des BSG unter Berücksichtigung der Zwecke des § 115 AFG anhand der Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu bestimmen (BSG SozR 3-4100 § 115 Nr 7 S 23 f). Dabei ist die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu beachten, wonach zu den Werbungskosten (§ 9 EStG) alle Aufwendungen zählen, die durch die Erwerbung, Sicherung und Erzielung von steuerpflichtigen Einnahmen - wenn auch nur mittelbar - veranlasst sind (BSG aaO). Gegenüber dem Steuerrecht ist allerdings die Einschränkung vorzunehmen, dass es nicht genügt, wenn ein objektiver Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Beruf des Arbeitslosen besteht; vielmehr ist ein objektiver Zusammenhang zu der Nebentätigkeit erforderlich, in der das Einkommen erzielt wird (BSG SozR 3-4100 § 115 Nr 7 S 24 f). Das LSG wird die vom Kläger geltend gemachten Positionen unter diesen Gesichtspunkten im Einzelnen zu überprüfen haben. Einige von ihnen könnten durchaus als Werbungskosten anzusehen sein.

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob bzw inwieweit im Hinblick auf eine selbstständige Tätigkeit zwischen verschiedenen Einkommensarten ein (horizontaler) Verlustausgleich (§ 2 Abs 3 EStG) im Rahmen des § 115 AFG zulässig ist; dies ist nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Hierzu macht der Kläger geltend, im Jahre 1994 einen Verlust in Höhe von 21.053,02 DM und im Jahre 1995 einen solchen von 16.724,59 DM im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit erlitten zu haben. Vorliegend fehlt es aber bereits an Feststellungen des LSG dazu, ob der Kläger überhaupt neben seiner abhängigen Beschäftigung bei Dipl.-Ing. B. eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hat; die Anmeldung eines Gewerbebetriebs oder aus Liebhaberei verrichtete Tätigkeiten genügen dafür nicht. Das LSG wird deshalb zu ermitteln haben, ob der Kläger irgendeine auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit neben seiner abhängigen Beschäftigung bei Dipl.-Ing. B. verrichtet hat (vgl zu § 141 SGB III: Henke in Hennig, SGB III, § 141 RdNr 57 und 92 ff, Stand Juni 2004; Voelzke im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 13). War dies der Fall und war zusammen mit der abhängigen Beschäftigung die Kurzzeitigkeitsgrenze des § 102 AFG nicht überschritten, ist ein Verlustausgleich zwischen diesen beiden Tätigkeiten grundsätzlich zulässig.

Dies entspricht Sinn und Zweck der Regelung des § 115 AFG. Durch die Zulassung von Nebenbeschäftigungen soll dem Arbeitslosen der Zugang zum Arbeitsmarkt offen gehalten und ihm der weitere Kontakt zur Arbeitswelt ermöglicht werden; dabei soll die Freistellung eines Teilbetrags des Netto-Nebeneinkommens einen Anreiz bieten, die Arbeitskraft neben dem Bezug von Leistungen einzusetzen, um auf diese Weise die Wiedereingliederung zu erleichtern (BSG SozR 3-4100 § 115 Nr 7 S 24; ; vgl auch Voelzke, aaO RdNr 7 f). Ein solcher Anreiz ergibt sich aber nur, wenn und soweit der Arbeitslose auch tatsächlich über Einkommen aus der Verwertung seiner Arbeitskraft verfügen kann. Ein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Nebeneinkommen aus Tätigkeiten, die zusammen die Kurzzeitigkeitsgrenze nicht überschreiten, ist deshalb grundsätzlich zulässig (vgl zum gleichen Problem beim ab geltenden § 141 SGB III: Keller im Praxis-Kommentar SGB III, 2004, § 141 RdNr 16; Hünecke in Gagel, SGB III, § 141 RdNr 67 f, Stand Juni 2003; Brand in Niesel, SGB III, 2. Aufl 2002, § 141 RdNr 16). Dem entspricht auch, dass der Senat vor einer gesetzlichen Änderung des § 138 AFG, mit der sich der Gesetzgeber ausdrücklich von den Regelungen des Steuerrechts lösen wollte, im Rahmen der Berücksichtigung von Einkommen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) einen Verlustausgleich zugelassen hat (BSGE 45, 60 ff = SozR 4100 § 138 Nr 2; BSG SozR 4100 § 138 Nr 15 und 26; SozR 3-4100 § 138 Nr 7 und 10). Allerdings erlaubt § 115 AFG nur einen Verlustausgleich zwischen den von der Vorschrift selbst privilegierten Tätigkeiten, also keinen solchen unter Einbeziehung von Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung (sog "müheloses Einkommen") außerhalb der privilegierten Tätigkeiten. Ebenso wenig ist ein Verlustausgleich unter Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen möglich (so auch die Durchführungsanweisungen der Beklagten im Sammelerlass Alg/Alhi, § 115 RdNr 16, Stand März 1997). Das LSG wird hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Ggf wird es die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alg im streitigen Zeitraum zu überprüfen haben (§ 100 AFG): Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung, Verfügbarkeit und Antragstellung. Der Kläger war, wie bereits angedeutet, im streitigen Zeitraum möglicherweise von Anfang an wegen Überschreitung der Kurzzeitigkeitsgrenze im Rahmen zweier Nebentätigkeiten nicht arbeitslos (vgl zu der insoweit erforderlichen vorausschauenden Bewertung, abgestellt auf den Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit bzw eine maßgebliche Änderung, nur - mwN, DBlR Nr 4591a zu § 102 AFG), oder im Verlaufe des Bewilligungszeitraums sind die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit entfallen (vgl dazu: BSGE 77, 175, 179 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; BSGE 79, 66, 68 = SozR 3-4100 § 105 Nr 4); es könnte insoweit auch an einer Arbeitslosmeldung (BSG aaO) oder an einer Antragstellung (dazu BSGE 77, 175, 181 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; BSGE 79, 66, 68 = SozR 3-4100 § 105 Nr 4) fehlen. Die Verfügbarkeit (§ 103 AFG) des Klägers könnte zweifelhaft sein, soweit der Kläger sich als Pilot oder Co-Pilot nicht an seinem Wohnort aufgehalten hat (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 9; SozR 4-4300 § 119 Nr 1) oder wegen des Besuchs von Lehrgängen nicht erreichbar war (dazu nur - mwN, DBlR Nr 4521 zu § 103 AFG).

Falls das LSG bei seiner erneuten Entscheidung den angefochtenen Bescheid der Beklagten auf eine andere Rechtsgrundlage (§ 48 SGB X statt § 45 SGB X) stützen bzw die Begründung auswechseln muss (etwa fehlende Arbeitslosigkeit - § 102 AFG - statt § 115 AFG), dürften dem keine Hinderungsgründe entgegenstehen, wenn die Entscheidung auf denselben Lebenssachverhalt gestützt ist (vgl nur -, mwN auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; Eicher im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr 13 mwN). Sollten die Alg-Bewilligungen rechtswidrig gewesen oder geworden sein, wird das LSG die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB X bzw des § 48 SGB X, insbesondere die Einhaltung von Fristen und ggf die "Bösgläubigkeit" des Klägers bezogen auf den maßgeblichen Fehler bei der Bewilligung der Leistung zu prüfen haben (Verletzung von Mitteilungspflichten, Kenntnis, grobe Fahrlässigkeit). Dabei wird es uU darüber Beweis zu erheben haben, ob der Kläger, wie er behauptet, die Beklagte bereits vor und im Zusammenhang mit der Alg-Antragstellung über seine Tätigkeit bei Dipl.-Ing. B. informiert hat. Dass die Ausführungen des LSG, der Kläger habe grob fahrlässig die Beklagte hierüber nicht informiert, für den Senat möglicherweise bindend sind (vgl zur eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der groben Fahrlässigkeit in der Revisionsinstanz: BSGE 47, 180, 181 f mwN = SozR 2200 § 1301 Nr 8; BGHZ 14, 17; BAGE 7, 290, 231), ist dabei ohne Bedeutung, weil die Sache ohnedies an das LSG zurückverwiesen ist. Soweit der Kläger allerdings - unterstellt, er habe die Beklagte ausreichend informiert - rügt, diese hätte ihn beraten müssen, dass er die Tätigkeit bei Dipl.-Ing. B. nicht als abhängige, sondern als selbstständige hätte gestalten müssen, kann sich hieraus kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ergeben, so gestellt zu werden, als wenn er ordnungsgemäß beraten worden wäre. Wie bereits ausgeführt, ist ohnedies grundsätzlich ein Verlustausgleich zwischen der selbstständigen und der abhängigen Beschäftigung möglich. Bereits hieran scheitert dieses Begehren des Klägers.

Das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2005 S. 3313
IAAAC-14273