BVerwG Beschluss v. - 6 B 11.03

Leitsatz

Die das sog. eingehendere Prüfungsverfahren des Verwaltungsgerichts entsprechend §§ 9 ff. KDVG auslösenden Zweifel sind Gegenstand der Prüfung in diesem Verfahren und nicht durch den Umstand der Einleitung des genannten Verfahrensschrittes als "verbraucht" anzusehen.

Gesetze: GG Art. 4 Abs. 3 Satz 1; KDVG § 5; KDVG § 6; KDVG § 9; KDVG § 14; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: VG Hannover VG 10 A 267/02 vom

Gründe

1. Die auf die Grundsatz- (a), Abweichungs- (b) und Verfahrensrüge (c) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

a) Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist unbegründet. Es wird nämlich keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts mit allgemeiner, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung vorgebracht ( BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F> VwGO Nr. 26).

Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage, ob es mit Art. 4 Abs. 3 GG und § 14 Abs. 1 KDVG vereinbar ist, wenn das Verwaltungsgericht bei der "eingehenderen Prüfung" gemäß §§ 9 ff. KDVG den Umstand der verspäteten Beibringung der Verweigerungsunterlagen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 KDVG) dahingehend bewertet, dass diese verspätete Beibringung nur die Zweifel daran, "dass der Kläger sich seine Entscheidung nicht sehr schwer gemacht hat", verstärkt. Der Umstand der verspäteten Beibringung der Unterlagen sei überhaupt der Grund für eine Prüfung im "eingehenderen Verfahren" und somit dafür ursächlich gewesen, dass überhaupt "Zweifel an der Wahrheit seiner Angaben" (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 KDVG) angenommen worden seien. Damit sei dieser Grund "verbraucht" und könne nicht auch noch zur Verstärkung von Zweifeln an der Wahrheit von Aussagen des Klägers herangezogen werden.

Das Verwaltungsgericht war nicht durch einen "Verbrauch" von Zweifelsgründen gehindert, sich im Rahmen der eingehenderen Prüfung mit der Bedeutung einer verspäteten Beibringung von Unterlagen für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung des Klägers auseinanderzusetzen. Eine solche Auffassung würde mit der ausdrücklichen Funktion dieser Prüfungsweise in Widerspruch stehen, welche in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt worden ist. Das Kriegsdienstverweigerungsgesetz sieht nämlich danach für Fälle, in denen der Wehrpflichtige durch eigenes, gegensätzliches Verhalten Zweifel an der von ihm geltend gemachten Gewissensentscheidung begründet hat, zusätzlich zum tragenden Indiz der Bereitschaft zur Inkaufnahme der lästigen Alternative eines verlängerten und erschwerten zivilen Ersatzdienstes ein besonderes, in den §§ 9 ff. des dritten Abschnitts des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes geregeltes "eingehenderes" Prüfungsverfahren vor, das in sinngemäßer Anwendung der genannten Vorschriften auch dem Verwaltungsgericht obliegt und zunächst nur dazu dient, die vom Wehrpflichtigen selbst begründeten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der von ihm geltend gemachten Gewissensentscheidung auszuräumen ( BVerwG 6 C 25.90 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 5). Danach sind die das sog. eingehendere Prüfungsverfahren nach §§ 9 ff. KDVG auslösenden Zweifel Gegenstand der Prüfung in diesem Verfahren und nicht durch den Umstand der Einleitung des genannten Verfahrensschrittes als "verbraucht" anzusehen. Ebenfalls unbedenklich ist, dass eine nicht überzeugende Begründung für die verspätete Vorlage der Unterlagen gemäß § 2 Abs. 2 KDVG solche Zweifel zu verstärken vermag, welche sich aus dem sonstigen Vorbringen des Wehrpflichtigen im Rahmen der eingehenderen Prüfung, insbesondere der "Vollprüfung", ergeben.

b) Die Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist ebenfalls unbegründet. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz verlangt die Darlegung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt hingegen weder den Anforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge ( BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.).

Die Beschwerde bringt vor, im erstinstanzlichen Urteil werde zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Gewissensentscheidung durch den Kläger ausgeführt, das Verwaltungsgericht erwarte die Darstellung des normierenden Bezugssystems, sei es - psychoanalytisch - des Über-Ichs als Repräsentanten des Gewissens oder - theologisch - als objektive Richtschnur für das Handeln von Menschen und seiner subjektiven Entscheidung. Damit stehe das Urteil im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge es sich beim Gewissen nicht um eine Kategorie des Verstehens, sondern des Sollens handele ( - BVerfGE 12, 45). Die Abweichung sei auch für das Urteil maßgeblich, denn das Verwaltungsgericht habe sich philosophischen Erklärungsansätzen verschlossen; der Kläger habe sich bei der Begründung seiner Gewissensentscheidung aber ausdrücklich auf die Lehre Kants bezogen.

Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde legt das verwaltungsgerichtliche Urteil (dort S. 3) nämlich in seinem abstrakten Obersatz dieselbe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde (Urteil vom - a.a.O.), von der es abgewichen sein soll. Schon dies spricht dafür, dass das Verwaltungsgericht die zitierte Passage auf Seite 6 seines Urteils nicht anders verstanden wissen wollte als diejenigen Rechtssätze, mit denen die höchstrichterliche Rechtsprechung das Wesen einer Gewissensentscheidung beschreibt. Die Rechtsanwendung im angefochtenen Urteil gibt keinen Anhalt für eine abweichende Beurteilung. Solches ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht auf die nur kurze Bemerkung des Klägers zu Kant ("Ich möchte mich so, wie Kant es gesagt hat, verhalten, dass ein soziales Zusammenleben möglich ist") nicht gesondert eingegangen ist. Im Gegenteil belegen die das klageabweisende Urteil tragenden Ausführungen (Seite 6 f.), dass das Verwaltungsgericht das gesamte Vorbringen des Klägers auf der Grundlage der in ständiger Rechtsprechung anerkannten Grundsätze gewürdigt hat.

c) Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist sowohl in der Form der Aufklärungsrüge (aa) als auch in der Form der Behauptung aktenwidriger Feststellungen (bb) unbegründet. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen ( BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.).

aa) Die Aufklärungsrüge bleibt ohne Erfolg, weil der behauptete Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dargetan ist.

Die Beschwerde führt aus, der Kläger habe in der schriftlichen Begründung seiner Gewissensentscheidung ausführlich dargelegt, dass ihn seine katholische Erziehung vom Kindergarten bis zum Abitur geprägt habe. Danach hätte es sich dem Gericht förmlich aufdrängen müssen, der Frage nachzugehen, ob tatsächlich Zweifel an der Wahrheit der klägerischen Angaben bestünden. Bei der Parteivernehmung in der mündlichen Verhandlung hätte das Gericht nach den von ihm für wesentlich gehaltenen religiösen Bezügen beim Kläger fragen müssen. Hätte das Gericht dies getan, hätte der Kläger über die Äußerungen in seiner schriftlichen Einlassung hinaus die Möglichkeit gehabt, seine Ausführungen weiter zu erläutern. Ausweislich der Verhandlungsniederschrift habe das Gericht den Kläger aber entgegen seiner Aufklärungspflicht nicht befragt, was für ihn Gewissen sei.

Die Ausführungen belegen nicht eine entgegen § 86 Abs. 1 VwGO unterbliebene Amtsermittlung, sondern wenden sich gegen die vom Verwaltungsgericht unternommene Beweiswürdigung. Zu Recht hält die Beschwerde es für notwendig, dass das Verwaltungsgericht in einem Rechtsstreit betreffend die Anerkennung eines Kriegsdienstverweigerers das Vorliegen und die Beschaffenheit einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe durch den Kläger ermittelt, und zwar ggf. von Amts wegen, sofern die vorgebrachten Angaben keine sichere Beurteilung zulassen. Dies hat das Verwaltungsgericht vorliegend getan. Das erstinstanzliche Urteil legt nicht nur die in den Entscheidungsgründen selbst ausgeführten Tatsachenfeststellungen zu Grunde, sondern aufgrund der Bezugnahme im Tatbestand (dort S. 2) auch die bei den Gerichtsakten befindliche schriftliche Stellungnahme des Klägers. Darin findet sich aber jener Textteil über die erziehungsbedingte Gewissensbildung des Klägers, welchem die Beschwerde - im Blick auf die von ihr gewünschte Beweiswürdigung - ein größeres Gewicht beimisst als dies im Urteil geschehen ist. Das Verwaltungsgericht hat über den Inhalt der "Vollprüfung" hinaus ausdrücklich die daneben bestehende Bedeutsamkeit der schriftlichen Darlegung betont (Urteil S. 6). Es musste sich vor diesem Hintergrund nicht veranlasst sehen, den Kläger ausführlicher als dies die Niederschrift über die mündliche Verhandlung erkennen lässt, im Rahmen seiner persönlichen Vernehmung noch einmal zu seinem Verständnis von Gewissen zu befragen. Dies hatte er - wie dies die Beschwerde selbst vorbringt - nämlich bereits im Rahmen seiner schriftlichen Darlegung getan. Es ist nicht möglicher Gegenstand einer Aufklärungsrüge, wenn die Klägerseite aus dem entsprechenden Tatsachenbefund im Wege der Beweiswürdigung einen anderen Schluss zieht, als das Verwaltungsgericht dies getan hat.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht vom Kläger nicht eine Definition des Gewissens verlangt. Vielmehr hat es ersichtlich im gesamten Vorbringen des Klägers jene Substanz vermisst, aus welcher sich auf die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung schließen lässt. Dass ihm weitere Nachfragen beim Kläger die nötige Gewissheit verschafft hätten, musste sich dem Verwaltungsgericht mit Rücksicht auf die erfolgten Angaben im Termin nicht aufdrängen.

bb) Die Verfahrensrüge bleibt auch ohne Erfolg, soweit aktenwidrige Feststellungen im Urteil gerügt werden. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil in den Grenzen der Befugnis gehalten, "nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung" entscheiden zu dürfen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die "Freiheit", die der sog. Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung von Tatsachen und Beweisergebnissen, d.h. auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände ( BVerwG 5 C 7.79 - Buchholz 431.1 Architekten Nr. 5 S. 16, 17). Sie ist nach der einen Seite hin begrenzt durch das jeweils anzuwendende Recht und dessen Auslegung. Alles, was (noch) Rechtsfindung ist, entzieht sich - eben deshalb - der Maßgeblichkeit des Überzeugungsgrundsatzes (vgl. dazu die Hinweise etwa in den Beschlüssen vom - BVerwG 6 C 3.76 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 84 S. 8, 9 und vom - BVerwG 6 C 17.77 - Buchholz 310 § 139 VwGO Nr. 46 S. 3, 6). Nach der anderen Seite hin ergibt sich die Grenze daraus, dass der Überzeugungsgrundsatz nicht für eine Würdigung in Anspruch genommen werden kann, die im Vorgang der Überzeugungsbildung an einem Fehler leidet, z.B. an der Missachtung gesetzlicher Beweisregeln oder an der Berücksichtigung von Tatsachen, die sich weder auf ein Beweisergebnis noch sonst wie auf den Akteninhalt stützen lassen ( BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11 WehrPflG Nr. 35).

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang erneut vor, das Urteil gehe in unzutreffender Weise davon aus, der Kläger habe nicht überzeugend zu erläutern vermocht, was für ihn Gewissen sei. Er habe indes ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung eine Erklärung philosophischer Art vorgenommen, indem er sich auf Kant bezogen habe.

Auch bei dieser Rüge geht es nicht darum, dass das erstinstanzliche Urteil unter Missachtung gesetzlicher Beweisregeln oder unter in Nichtberücksichtigung von Tatsachen seine Überzeugung gebildet habe. Vielmehr richtet die Beschwerde sich auch insofern ausschließlich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Dies ist aber kein zulässiger Gegenstand der Verfahrensrüge.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Fundstelle(n):
AAAAC-12955