BGH Beschluss v. - 1 StR 152/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 21; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 239b Abs. 1; StGB § 239b Abs. 2; StGB § 239a Abs. 4; StGB § 250 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts; sie hat zum Strafausspruch Erfolg, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der Angeklagte überfiel "in einem Zustand gesteigerter Verzweiflung" eine Filiale der Südwestbank in S. . Er verlangte dort unter der Bedrohung von Bankbediensteten mit einem Gasalarmrevolver sowie einem geladenen, scharfen Revolver die Ausführung von drei Überweisungsaufträgen über hohe Beträge. Seiner Forderung wurde insoweit schließlich in der Weise nachgegeben, daß die Überweisungsaufträge in den Computer eingegeben wurden; sie verließen jedoch den Bereich der Südwestbank nicht. Nachdem der Angeklagte die noch anwesenden Bankbediensteten bis auf den Filialleiter freigelassen hatte oder diesen die Flucht gelungen war, hielt er den Filialeiter, den Zeugen A. , über mehrere Stunden hinweg als Geisel. Der Angeklagte, der keinen Ausweg für seine geschäftlichen Probleme sah, wollte sich in einer Art finaler Machtdemonstration Genugtuung verschaffen, indem er den Zeugen A. zu einem Gespräch über die Geschäftsbeziehung zwang, bei dem er, der Angeklagte, den Ton angab; zudem sollte der Zeuge seine Schuld an der geschäftlichen Misere des Angeklagten eingestehen. Nach mehrstündigen telefonischen Verhandlungen mit der Polizei gab er schließlich auf. Er entlud seinen scharfen Revolver, verstaute die Waffen in seiner Aktentasche, verließ die Bank und wurde festgenommen. Die Strafkammer hat es für nicht ausgeschlossen erachtet, daß der Angeklagte wegen des Zusammenwirkens von Alkohol (2,94 Promille Blutalkoholgehalt bei Tatbeginn) und Verzweifelung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.

Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 239b Abs. 1 StGB zugrundegelegt (zwei Jahre bis elf Jahre drei Monate Freiheitsstrafe). Einen minder schweren Fall hat es nicht angenommen.

II.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die Strafkammer hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die fakultative Strafrahmenmilderungsmöglichkeit nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB zu prüfen. Diese ist eröffnet, wenn der Täter die Geisel unter "Verzicht auf die erstrebte Leistung" in seinen Lebensbereich zurückgelangen läßt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügte es hier, daß der Angeklagte sein Opfer am Tatort freigab und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen konnte (BGH NJW 2001, 2895 = NStZ 2001, 532). Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muß von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten (vgl. Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239b Rdn. 14). Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen. Der kriminalpolitische Sinn der Bestimmung liegt gerade darin, durch die Zulassung der Strafmilderung trotz vollendeter Tat die Möglichkeiten zu verbessern, das Opfer zu retten und die Geiselnahme ohne eine in vielfacher Hinsicht risikobehaftete polizeiliche Befreiungsaktion zu beenden (Dies. aaO § 239a Rdn. 34). Die Vorschrift soll "dem Täter den Entschluß, das Opfer lebendig freizulassen, in jedem Fall erleichtern" (vgl. Sonderausschußbericht BTDrucks. VI/2722 S. 3). In der Praxis wird diese Gesetzeslage oft auch ein wichtiger Gesichtspunkt bei den "Verhandlungen" zwischen Geiselnehmer und Polizei sein, die letztlich mit dem Ziel der Aufgabe des Täters geführt werden. Gerade im Blick darauf erhellt sich die Bedeutung einer ausdrücklichen Erörterung durch den Tatrichter in den einschlägigen Fällen. Damit ist freilich nicht gesagt, daß die Strafrahmenmilderung bei Vorliegen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen in der Regel vorzunehmen wäre. Eröffnet ist damit allerdings tatrichterliches Ermessen, das unter Berücksichtigung aller insoweit in Betracht zu ziehenden Umstände ausgeübt werden muß. Daß dies geschehen ist, muß sich den Urteilsgründen entnehmen lassen.

Der Angeklagte wollte hier dem Zeugen A. das Eingeständnis abpressen, daß dieser Schuld an seinem geschäftlichen Ruin trage. Im Rahmen einer Machtdemonstration ging es ihm darum, ein Gespräch zu erzwingen, bei dem er den Ton angab. Die Strafkammer hätte erörtern müssen, ob er dieses Ziel auch zum Zeitpunkt seiner Aufgabe noch hätte weiter verfolgen können. Es lag nicht fern, daß er seine "Machtdemonstration" noch hätte fortführen können. Auch daß der Zeuge A. das vom Angeklagten erstrebte "Eingeständnis" abgelegt hätte, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Daß die Aufgabe des Angeklagten naheliegender Weise auch unter dem Eindruck der Absperrung und Umstellung des Tatortes durch die Polizei erfolgte, steht der Strafrahmenmilderung nicht von vornherein entgegen, kann aber bei der Bewertung, ob von dieser Gebrauch gemacht wird, berücksichtigt werden (Dies. aaO § 239a Rdn. 39).

2. Der Erörterungsmangel setzt sich bei der konkreten Strafzumessung fort: Die Strafkammer hat den Umstand, daß der Angeklagte schließlich aufgab und sich festnehmen ließ, nicht als strafmildernd erwähnt. Dabei handelt es sich jedoch ersichtlich um einen Straffindungsgesichtspunkt bestimmenden Gewichts (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

3. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß die unterbliebene Prüfung der Vorschrift über die "tätige Reue" durch Freilassung des Opfers und die Nichterwähnung dieses Umstandes in den konkreten Strafzumessungserwägungen den Angeklagten beschweren kann. Zwar erscheint die verhängte Strafe im Blick auf das Tatbild und die Täterpersönlichkeit nicht als zu hoch; da die Strafbemessung aber Sache des Tatrichters ist und hier bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 i.V.m. § 239b Abs. 2 StGB auch ein Einfluß auf die Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falles (§ 239a Abs. 2 i.V.m. § 239b Abs. 2 StGB) nicht völlig ausgeschlossen werden kann, darüber hinaus auch bei der ideal konkurrierenden Strafbestimmung des § 250 Abs. 2 StGB Milderungen unter dem Gesichtspunkt der erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit und nach Versuchsgrundsätzen in Betracht gekommen wären (vgl. § 52 Abs. 2 StGB), muß die Strafe durch den Tatrichter neu zugemessen werden.

4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen - auch zum Strafausspruch - sowie der Maßregelausspruch können bestehen bleiben, weil lediglich Wertungsmängel vorliegen. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widerstreiten, sind möglich.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
UAAAC-11505

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