BGH Urteil v. - 2 StR 43/02

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 154 Abs. 2

Instanzenzug: LG Mainz vom

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Verfall des Wertersatzes in Höhe von DM 6.500,-- angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Einer Erörterung bedarf allein die Verfahrensrüge; im übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist Kriminalhauptkommissar. Er war von September 1993 bis Juni 1997 Leiter des Kommissariats in W. , das für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zuständig ist. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte u.a. die Anordnung und Durchführung von polizeilichen Kontrollen in den ortsansässigen Barbetrieben, darunter auch im "T. ", bei dem es sich - wie der Angeklagte wußte - um einen illegalen Bordellbetrieb handelte. Im April 1995 nahm der Angeklagte von dem Zeugen G. , einem der Betreiber des "T. ", DM 2000,-- und in den folgenden neun Monaten jeweils mindestens DM 500,-- an. Zudem erhielt er im September 1995 von dem Zeugen eine Wasserpfeife sowie ein türkisches Schwert. Dabei war zwischen beiden klar, daß der Angeklagte im Gegenzug für die erhaltenen Zuwendungen dafür sorgen sollte, daß der Bordellbetrieb von Kontrollen verschont blieb. In der Zeit von April 1995 bis zum unterließ der Angeklagte daraufhin dienstlich gebotene Kontrollen im "T. ", obwohl er wußte, daß die Dienststelle in Mainz bereits wegen schwerwiegender Straftaten gegen die Betreiber des "T. " ermittelte und im Hinblick auf eine bereits bestehende Telefonüberwachung Kontrollen des Betriebes durch die Dienststelle des Angeklagten notwendig waren und deshalb erwartet wurden.

III.

Die Rüge, das Verfahren vor dem Landgericht Mainz verstoße gegen das Beschleunigungsgebot aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, ist jedenfalls unbegründet.

1. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK hat auch ein nicht inhaftierter Angeklagter das Recht auf eine Behandlung seiner Sache innerhalb angemessener Frist; diese beginnt, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen gegen ihn in Kenntnis gesetzt wird und endet mit rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens. Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muß nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei ist auf die gesamte Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist abzustellen und es sind Schwere und Art des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art und Weise der Ermittlungen neben dem eigenen Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für den Beschuldigten zu berücksichtigen (BVerfG NJW 1992, 2472, 2473; BGH NStZ 1999, 313; Urt. vom - 1 StR 538/01; EGMR EuGRZ 2001, 299, 301; 1983, 371, 380). Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt daher nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (BGH NStZ 1999, 313; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15).

2. Der Angeklagte ist durch die am erfolgte Durchsuchung seiner Wohn- und Diensträume von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren in Kenntnis gesetzt worden. Bis zur Erhebung der Anklage am bedurfte es umfangreicher Ermittlungen, zumal der Angeklagte die Tatvorwürfe bestritten hat. Die Staatsanwaltschaft hatte zahlreiche Zeugen aus dem Bordellmilieu zu vernehmen, die teilweise schwer zu erreichen waren. Der Zeitraum des Ermittlungsverfahrens von etwas über zwei Jahren wird von der Revision auch nicht ausdrücklich beanstandet. Gerügt wird ausschließlich das Verfahren vor dem Landgericht Mainz. Insoweit ist es jedoch - entgegen dem Vorbringen der Verteidigung - nicht zu einer Verzögerung von rund 14 Monaten gekommen:

Nach der Zustellung der Anklage im Februar 1999 hat der Verteidiger am 30. März, 30. April und umfangreiche schriftliche Stellungnahmen zu den Tatvorwürfen abgegeben, Fristverlängerungen beantragt und zahlreiche Anträge auf Beweiserhebungen im Zwischenverfahren gestellt. Der letzte Schriftsatz lag am vollständig beim Gericht vor. Entgegen der Darstellung der Revision ist das Verfahren auch im Juni/Juli 1999 gefördert worden: Ein Vertreter des Vorsitzenden hat die umfangreiche Akte mit den ausführlichen Stellungnahmen bearbeitet und am eine dezidierte Verfügung mit konkreten Anfragen an die Staatsanwaltschaft verfaßt.

Allerdings ist nach dem Eingang der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Ende August 1999 bis zum November 1999 in der Sache selbst nichts geschehen. In dieser Zeit hat sich die Justizverwaltung jedoch gerade um eine Beschleunigung des Verfahrens bemüht, indem sie die Sache auf Betreiben der überlasteten 5. Großen Strafkammer mit Beschluß vom auf die Hifsstrafkammer 5A übertrug. Als deren Vorsitzender im Februar 2000 die Sache terminieren wollte, bat der Verteidiger erneut um eine Frist zur Stellungnahme bis und legte in drei weiteren umfangreichen Schriftsätzen vom 16. Februar, 16. März und seine Bedenken gegen die Eröffnung des Verfahrens dar.

Die Rückübertragung der vorliegenden Sache an die 5. Große Strafkammer durch Beschluß des Präsidiums vom hatte, wenn überhaupt, lediglich eine kurzzeitige Verzögerung im Mai 2000 zur Folge. Im übrigen hat sich ein Beisitzer der Kammer in die äußerst umfangreiche Akte eingearbeitet, um den - im vorliegenden Fall nicht formularmäßigen - Eröffnungsbeschluß zu entwerfen. Mit Beschluß vom ist das Hauptverfahren eröffnet und zugleich über die zahlreichen Anträge der Verteidigung im Zwischenverfahren entschieden worden. Im Januar 2001 erfolgte die Terminierung der Hauptverhandlung ab dem .

3. Bei dieser Sachlage liegt ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK nicht vor. Die dargestellten Zeiträume, in denen die Sache nicht erkennbar gefördert wurde, sind nicht so lang, daß sie entweder für sich allein oder im Hinblick auf die Gesamtdauer des Verfahrens die Annahme einer relevanten Verfahrensverzögerung zu begründen vermögen (vgl. dazu ). Soweit sich die Dauer des Zwischenverfahrens durch die intensive Wahrnehmung prozessualer Rechte durch den Verteidiger (mehrere Anträge auf Fristverlängerungen und umfangreiche Stellungnahmen mit zahlreichen Beweisanträgen) verlängert hat, läßt sich daraus keine rechtsstaatswidrige Verzögerung herleiten. Aber auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß das Verfahren von der Kammer wegen vorrangiger anderer Verhandlungen (insbesondere Haftsachen) kurzzeitig nicht gefördert werden konnte, ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorliegend nicht gegeben. Denn die erforderliche Gesamtwürdigung aller dargelegter Gesichtspunkte ergibt, daß die angemessene Verfahrensdauer insgesamt nicht überschritten ist:

Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten sind von beträchtlichem Gewicht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er als Kriminalhauptkommissar mehrere Monate lang Zuwendungen von einem Bordellbetreiber erhalten und dafür von Kontrollen des Betriebes abgesehen. Mit der - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen - Anklage waren ihm Bestechlichkeit in 12 Fällen sowie eine falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) zur Last gelegt worden. Erst in der Hauptverhandlung sind ein Fall der Bestechlichkeit sowie die falsche Verdächtigung, die allein schon einen erheblichen Ermittlungsaufwand erforderlich gemacht hatte, gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Die Sache hat zudem einen erheblichen Umfang: Es waren zahlreiche Zeugen zu vernehmen, da der bestreitende Angeklagte umfangreiche Einlassungen abgeben hat. Die Verurteilung hat im übrigen nicht nur strafrechtlich, sondern auch dienstrechtlich erhebliche Folgen für ihn.

Demgegenüber wiegen die mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für den Angeklagten nicht so schwer: Er befand sich lediglich vom bis zum - während der zügig durchgeführten Hauptverhandlung - (wegen Verdunkelungsgefahr) in Untersuchungshaft. Allerdings ist er seit Februar 1999 vorläufig vom Dienst suspendiert; er erhält jedoch weiterhin seine - wenn auch seit April 2001 um 25% gekürzten - Dienstbezüge.

Unter Berücksichtigung des beträchtlichen Gewichts der Tatvorwürfe, des erheblichen Umfangs der Sache, des eigenen Verhaltens des Beschuldigten und seiner Belastungen durch das Verfahren, ist die angemessene Frist i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK insgesamt nicht überschritten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
FAAAC-09959

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