Voraussetzungen eines Überraschungsurteils
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2; GG Art. 103
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in den Streitjahren (2000 und 2001) inländischer Arbeitgeber i.S. des § 38 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) war und in dieser Eigenschaft für Lohnsteuer haftet.
Der Kläger betreibt in Griechenland ein Einzelunternehmen, dessen Gegenstand…sind. Diese Tätigkeiten führte er in den Streitjahren auch in Deutschland aus. Dazu beschäftigte er griechische Arbeitnehmer, die zur Ausführung der Arbeiten nach Deutschland einreisten. Diese Arbeitnehmer erhielten ihren Arbeitslohn jeweils von dem in Deutschland lebenden Bruder des Klägers (B), der den Zahlungsverkehr des Unternehmens (Überweisungen, Scheckeinlösungen, Barein- und -auszahlungen) über auf seinen Namen lautende Konten abwickelte.
Der Kläger hatte B eine notariell beglaubigte Vollmacht erteilt, nach der B als „spezieller Bevollmächtigter” eingesetzt wurde. B sollte berechtigt und bevollmächtigt sein, den Kläger in allen Angelegenheiten zu vertreten, die mit dessen Einzelunternehmen in Beziehung standen. Er sollte „jeglichen Geldbetrag, der geschickt wird oder Angelegenheiten des Unternehmens betrifft, zahlen oder auch erhalten,…jeden Antrag, Erklärung, Schriftstück, das mit dem oben genannten Auftrag in Beziehung steht, unterschreiben” sowie „jede andere Handlung vornehmen und durchführen, die zur Erledigung des obigen Antrags erforderlich ist”.
Der Kläger meldete im Inland keine Lohnsteuer an und führte solche auch nicht ab. Deshalb erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ihm gegenüber für die Streitjahre einen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag. Es ging dabei davon aus, dass der Kläger im Inland eine Betriebsstätte besessen habe und dass B zudem sein ständiger Vertreter gewesen sei. Die Klage gegen den Haftungsbescheid hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision gegen sein Urteil zuzulassen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn das Urteil auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruht. Einen solchen sieht der Kläger darin, dass das FG ihm das rechtliche Gehör versagt habe. Diese Rüge ist im Ergebnis unbegründet.
a) Das FG ist davon ausgegangen, dass der Kläger nur für diejenige Lohnsteuer haftet, die von den von ihm eingesetzten Arbeitnehmern geschuldet wird. Eine Lohnsteuerschuld der Arbeitnehmer scheide aus, soweit die Einkünfte der Arbeitnehmer nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei der Gewerbesteuer vom —DBA-Griechenland— (BGBl II 1967, 852, BStBl I 1967, 50) in Deutschland nicht besteuert werden dürften. Diese Ansicht trifft zu und wird von den Beteiligten geteilt, weshalb der Senat auf weitere Ausführungen hierzu verzichtet.
b) Nach Art. XI Abs. 2 Satz 1 DBA-Griechenland können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, grundsätzlich in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Unter bestimmten, in Art. XI Abs. 3 DBA-Griechenland niedergelegten Voraussetzungen unterliegen solche Vergütungen aber dem ausschließlichen Besteuerungsrecht des erstgenannten Vertragsstaats (Ansässigkeitsstaat). Das FG ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden Arbeitnehmer in Griechenland ansässig waren; nach seiner Ansicht muss aber der Kläger die Beweislast dafür tragen, dass im Streitfall die Voraussetzungen des Art. XI Abs. 3 DBA-Griechenland erfüllt sind. Von dieser materiellen Auffassung des FG ist bei der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers auszugehen.
c) Das FG hat nicht untersucht, ob der Kläger in den Streitjahren in Deutschland eine Betriebsstätte i.S. des Art. II Abs. 1 Nr. 7 DBA-Griechenland besessen hat und ob ggf. die streitigen Arbeitslöhne vom Gewinn dieser Betriebsstätte abgezogen worden sind, was gemäß Art. XI Abs. 3 Buchst. c i.V.m. Abs. 2 Satz 2 DBA-Griechenland zu einem Besteuerungsrecht Deutschlands führen würde. Es hat stattdessen darauf abgestellt, dass dasselbe Ergebnis aus Art. XI Abs. 3 Buchst. a DBA-Griechenland folge: Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass die griechischen Arbeitnehmer sich in Deutschland nicht länger als 183 Tage pro Steuerjahr aufgehalten hätten, was u.a. Voraussetzung für ein ausschließliches Besteuerungsrecht Griechenlands nach Art. XI Abs. 3 DBA-Griechenland sei; deshalb müsse zu seinen Lasten hinsichtlich aller Arbeitnehmer davon ausgegangen werden, dass die Grenze von 183 Tagen überschritten worden sei. Das gelte auch hinsichtlich des Streitjahres 2001: Zwar sei in diesem Jahr die letzte Einzahlung des Klägers auf das Konto des B am erfolgt; das belege aber nicht, dass die Arbeitnehmer schon zu diesem Zeitpunkt ausgereist seien. Zudem bestehe die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt erneut eingereist seien, um für einen anderen Arbeitgeber tätig zu werden. Nach Ansicht des Klägers hätte das FG den Streitfall nicht in diesem Sinne würdigen dürfen, ohne zuvor einen entsprechenden Hinweis zu geben; da ein solcher nicht erfolgt sei, liege ein Überraschungsurteil vor. Damit kann der Kläger indessen keinen Erfolg haben.
Denn ein unzulässiges Überraschungsurteil ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur dann gegeben, wenn das FG seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt stützt, der im Verfahren zuvor nicht angesprochen worden war und mit dessen Heranziehung ein kundiger und sorgfältiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen musste (BFH-Beschlüsse vom I B 49/02, BFH/NV 2003, 1058; vom V B 102/04, BFH/NV 2006, 590; vom X B 138/05, BFH/NV 2006, 972, m.w.N.). Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall nicht vor. Denn das FG hatte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass es die Frage nach der Aufenthaltsdauer als nicht hinreichend geklärt ansehe und vom Kläger weitere Nachweise zu diesem Punkt erwarte. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Einschätzung nur auf das Jahr 2000 bezog oder zumindest dahin verstanden werden musste, sind weder vom Kläger angeführt worden noch sonst erkennbar. Angesichts dessen musste der Kläger damit rechnen, dass das FG auch für das Streitjahr 2001 eine schädliche Aufenthaltsdauer für möglich halten könnte. Das schließt die Annahme aus, dass das Abstellen auf diesen Gesichtspunkt zu einer unzulässigen Überraschungsentscheidung führte.
Der Streitfall bietet keine Veranlassung, näher auf die Frage einzugehen, ob dies uneingeschränkt auch im Hinblick auf die Erwägungen des FG zu einer möglichen Wiedereinreise der Arbeitnehmer gilt. Dem Kläger ist zuzugeben, dass dieser Gesichtspunkt möglicherweise zunächst hätte angesprochen werden müssen, wenn das FG eine dem Kläger nachteilige Entscheidung allein auf ihn hätte stützen wollen. So liegen die Dinge aber nicht. Vielmehr weist das FA zu Recht darauf hin, dass der Hinweis auf die Möglichkeit einer Wiedereinreise nur ergänzende Funktion hatte; vorrangig hat das FG darauf abgestellt, dass die griechischen Arbeitnehmer (auch) im Jahr 2001 für mehr als 183 Tage im Inland verblieben sein könnten, um hier für den Kläger zu arbeiten. Nachdem das FG zuvor den weiteren Aufklärungsbedarf im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer betont hatte, lag jedenfalls diese Überlegung nicht gänzlich fern, so dass der fachkundig beratene Kläger mit ihr rechnen musste. Eine Verpflichtung des FG, seine hierzu angestellten Erwägungen vorab anzudeuten, bestand nicht (vgl. , BFH/NV 2006, 78, m.w.N.).
2. Einen weiteren Verfahrensmangel sieht der Kläger darin, dass das FG den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt habe. Mit dieser Rüge kann er jedoch schon deshalb nicht gehört werden, weil er den gerügten Mangel nicht dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) hat. Zur Darlegung eines Aufklärungsmangels gehört nämlich u.a. ein Vortrag dazu, dass das Unterlassen der Sachaufklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt wurde oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich war oder inwieweit sich dem FG auch ohne besondere Rüge eine weitere Aufklärung aufdrängen musste (BFH-Beschlüsse vom VI B 169/02, BFH/NV 2004, 365; vom I B 6/03, BFH/NV 2004, 507; vom III B 22/05, BFH/NV 2006, 88, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall. In der Beschwerdebegründung heißt es zwar, dass „die Beweiserhebung…sich auch ohne diesen besonderen Beweisantritt (hätte) aufdrängen müssen"; dieser Hinweis ist aber keine „Darlegung” i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom X B 51/05, BFH/NV 2006, 116; vom II B 101/04, BFH/NV 2006, 577). Zur Frage des Rügeverzichts durch rügelose Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger nicht geäußert, so dass die Sachaufklärungsrüge nicht statthaft erhoben worden ist.
3. Mit seinem sonstigen Vortrag wendet sich der Kläger im Kern nur gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitfalls durch das FG. Das reicht zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht aus. Insbesondere hat der Kläger nicht dargelegt, inwieweit sich im Streitfall eine Frage stellt, die im Interesse der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) höchstrichterlich geklärt werden müsste. Auf eingehende Ausführungen zu diesen Punkten wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2083 Nr. 11
AAAAC-09323