Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 4; StPO § 349 Abs. 2; StGB § 21; StGB § 46 Abs. 3; StGB § 63; StGB § 176; StGB § 177
Instanzenzug: LG Halle vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet; außerdem hat es den Geschädigten im Adhäsionsverfahren Ansprüche zuerkannt. Die Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch hat auch insoweit Bestand, als der Angeklagte im Fall II 2 der Urteilsgründe wegen tateinheitlich begangenem sexuellem Mißbrauch eines Kindes verurteilt worden ist. Zwar enthält das Urteil keine ausdrücklichen Feststellungen dazu, daß dem Angeklagten das Alter des dreizehnjährigen Tatopfers bekannt war. Der Senat vermag aber dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen, daß dem Angeklagten das Alter des Mädchens gleichgültig war und daß er mit der Möglichkeit, es sei noch nicht 14 Jahre alt, rechnete.
2. Der Strafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat unter anderem straferschwerend gewertet, daß "der Angeklagte seine eigenen sexuellen Bedürfnisse auf Kosten der Mädchen befriedigte, obwohl er es nach seinen eigenen Angaben 'nicht nötig hatte', ein Mädchen gegen dessen Willen anzufassen, und obwohl ihm auch das Mittel der Selbstbefriedigung zur Stillung sexueller Bedürfnisse durchaus bekannt und vertraut war" [UA 16]. Diese Erwägung stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB dar, weil damit zum einen Umstände bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, die schon Merkmale der gesetzlichen Tatbestände der §§ 176, 177 StGB sind (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 8; § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 4 sowie Vergewaltigung 1), und dem Angeklagten zum anderen angelastet wird, daß er die Taten überhaupt begangen hat. Der Senat kann nicht ausschließen, daß ohne diesen Rechtsfehler auf niedrigere Strafen erkannt worden wäre.
3. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen nicht geeignet sind, die Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.), ferner, daß der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die mit diesem Defekt in einem kausalen, symptomatischen Zusammenhang steht.
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zur Frage der Schuldfähigkeit hat das sachverständig beratene Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei alkoholabhängig, weise eine leichte Intelligenzminderung (IQ 69) auf und leide an einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen, paranoiden, schizoiden und teilweise auch impulsiven Zügen" [UA 13]. Dem Angeklagten mangele es an Empathiefähigkeit, er ziehe sich von anderen Menschen zurück und lebe als Einzelgänger; aus früheren Bestrafungen habe er nichts gelernt, fühle sich häufig als Opfer der anderen, ohne eigene Schuld zu erkennen, und beharre teilweise in unangemessener Weise auf seinen Rechten. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung habe bei Begehung der Taten in Verbindung mit der leichten Intelligenzminderung und einer alkoholischen Enthemmung zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt.
Damit hat das Landgericht die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Bei der Bewertung der vom Landgericht beschriebenen Persönlichkeitsstörung besteht die Gefahr, daß Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt besonders dann, wenn es um die Beurteilung kaum meßbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 24, 34). Die Ausführungen der Strafkammer zur Persönlichkeitsstörung des Angeklagten sind so knapp und allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die Störung den für die sichere Annahme des § 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreicht. Darüber hinaus bleibt letztlich auch unklar, in welcher Form sich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei den konkreten Taten ausgewirkt hat.
Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf deshalb neuer Prüfung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, daß nach ständiger Rechtsprechung nicht pathologisch bedingte Störungen nur dann Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein können, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401).
4. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat zudem darauf hin, daß das Verfahren nach Erlaß des nach viertägiger Hauptverhandlung am verkündeten Urteils unvertretbar verzögert worden ist. Obwohl es sich um eine Haftsache handelt, sind die Akten erst am beim Generalbundesanwalt eingegangen, wobei die Verzögerung allein auf die Sachbehandlung im Bereich der Justiz zurückzuführen ist. Dies wird der neue Tatrichter bei der Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zu berücksichtigen haben (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 10; BGH NStZ 2002, 589, 590; NJW 2003, 2759, 2760).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAC-08356
1Nachschlagewerk: nein