BGH Urteil v. - 3 StR 55/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StGB § 213; StGB § 217

Instanzenzug: LG Lüneburg vom

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer - zuungunsten der Angeklagten eingelegten - Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie macht namentlich geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft zum einen das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint und zum anderen erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei Tatbegehung angenommen. Die Revision der Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beanstandet die Beweiswürdigung des Landgerichts sowie dessen Annahme, die Schuldfähigkeit der Angeklagten sei zur Tatzeit nicht aufgehoben gewesen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft greift durch, während die Revision der Angeklagten ohne Erfolg bleibt.

I. Das Landgericht hat festgestellt: Die Angeklagte - eine zur Tatzeit achtzehnjährige Gymnasiastin - hatte im Juli 2000 während eines Ferienaufenthalts auf Amrum nach erheblichem Alkoholgenuß mit einem flüchtigen Urlaubsbekannten ihren ersten Geschlechtsverkehr, von dem sie schwanger wurde. Dem Ausbleiben ihrer Regelblutung Ende Juli 2000 maß sie zwar noch keine Bedeutung bei, aufgrund entsprechender Symptome keimte bei ihr jedoch im Oktober 2000 der Verdacht, sie könnte schwanger sein. Sie ließ diese Überlegung jedoch nicht an sich heran und verdrängte in der Folgezeit trotz der Veränderungen an ihrem Körper - insbesondere ihrer Gewichtszunahme - jeden Gedanken an eine Schwangerschaft. Gegenüber ihrer Mutter, im Freundeskreis und in der Schule stritt sie - letztlich überzeugend - ab, schwanger zu sein, nachdem sie hierauf wegen ihrer zunehmenden Körperfülle angesprochen worden war.

Am Tattag, dem , gegen 12.00 Uhr mittags, kam es bei der Angeklagten zum Abgang des Fruchtwassers. Nunmehr wurde ihr klar, daß sie schwanger war und ihr Kind jetzt geboren werde. Die Angeklagte, die sich in diesem Moment im Badezimmer im ersten Obergeschoß des Elternhauses aufgehalten hatte, ergriff dort gestapelte Handtücher und begab sich in ihr Zimmer, dessen Tür sie abschloß. Unbemerkt von den anderen im Haus befindlichen Familienmitgliedern brachte sie dort ein voll ausgetragenes und lebendes Mädchen zur Welt. Nicht ausschließbar im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit steckte sie den Säugling und die Nachgeburt in einen Plastiksack für Wertstoffmüll, den sie, ohne ihn zuzubinden oder zu verknoten, in einen Pappkarton legte, wo sie den Sack lose über dem Körper des Kindes zusammenfallen ließ. Plastiksack und Karton hatten sich aufgrund einer Renovierung noch im Zimmer der Angeklagten befunden. Die Laschen des Kartons befestigte sie mit Kreppklebeband, so daß sie sich nicht von alleine wieder öffnen konnten. Das Kind erstickte in dem Karton, nachdem es mindestens fünf Stunden gelebt hatte. Der Angeklagten war klar, daß der Säugling unversorgt sterben würde. Sie wollte jedoch durch die Existenz des Kindes nicht in ihrer Lebensführung beeinflußt werden und sich um ihre Tochter kümmern müssen.

Die Angeklagte beseitigte in der Folge die Spuren der Geburt, zog die Bettwäsche ab, wusch sie zusammen mit den verschmutzten Handtüchern in einer Waschmaschine im Erdgeschoß und hängte alles zum Trocknen auf. Den Karton mit dem Kind brachte sie zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt nach draußen und stellte ihn in einem Schuppen auf dem elterlichen Grundstück ab. Gegen 18.00 Uhr traf sie in dem im ersten Obergeschoß des Hauses gelegenen Wohnzimmer wieder mit ihren Eltern zusammen, die an ihrer Tochter keine Auffälligkeiten bemerkten. Am nächsten Tag nahm sie ihr gewohntes Leben wieder auf. Der Karton mit der Leiche des Säuglings wurde am vom Vater der Angeklagten in dem Schuppen entdeckt.

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum subjektiven Vorgeschehen der Tat und damit verbunden zur Frage möglicher geistig-seelischer Beeinträchtigungen der Angeklagten zur Tatzeit enthält Rechtsfehler, die dem Urteil insgesamt die Grundlage entziehen.

Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, daß sich das Landgericht mit der Frage, ob die Tat von der Angeklagten vorausgeplant war, nur lückenhaft und widersprüchlich auseinandergesetzt hat. Das Landgericht hat seine Überzeugung zur psychischen Befindlichkeit der Angeklagten vor und während der Tat und zu deren Tatentschluß maßgeblich auf die Ausführungen des Sachverständigen H. gestützt. Nach dessen Beurteilung hatte die Angeklagte ihre Schwangerschaft zunächst verdrängt, war in deren Endstadium dann aber nach einer Phase des Ahnens und des Sich-Wehrens zu einem Verheimlichen der Schwangerschaft gegenüber ihrer Umwelt übergegangen. Dies verdeutliche auch die Ankündigung der Angeklagten an ihren Freund M. , sie werde eine Abmagerungskur machen. Hierin liege ein strategisches Verhalten, das zugleich raffiniert und plaziert sei, um spätere Fragen wegen der Veränderung ihres Körpers beantworten zu können. Vor diesem Hintergrund erörtert der Sachverständige drei Möglichkeiten der Tatgenese: die geplante Tötung, die spontane Tötung unter akuter emotionaler Belastungsreaktion und Streß sowie die spontane Tötung als völlige Schockreaktion mit Dissoziation. Der Sachverständige hält die zweite Möglichkeit für "sehr plausibel", die beiden anderen Möglichkeiten dagegen für "sehr unwahrscheinlich", wobei den Urteilsgründen jedoch nur für die Ablehnung der Schockreaktion eine nähere Begründung zu entnehmen ist. Dagegen bleibt offen, warum der Sachverständige eine vorausgeplante Tötung für unwahrscheinlich hielt und das Landgericht eine entsprechende Überzeugung nicht zu gewinnen vermochte.

Dies hätte jedoch näherer Darlegung bedurft. Denn in der Nachricht der Angeklagten an ihren Freund, sie werde eine Abmagerungskur machen, liegt nicht nur ein deutliches Indiz dafür, daß die Angeklagte um die kurz bevorstehende Niederkunft wußte, sondern auch, daß selbst danach die Schwangerschaft und die Geburt weiter verheimlicht und die Gewichtsabnahme auf die Abmagerungskur geschoben werden sollte. Dem entspricht, daß die Angeklagte noch am Tattag um 18.35 Uhr ihrem Freund eine SMS-Nachricht des Inhalts zusandte, ihre Fastenkur zeige bereits Erfolg (UA S. 12). All dies kann den Schluß rechtfertigen, die Angeklagte habe von vornherein die Absicht gehabt, ihr Kind nach der Geburt zu töten, und somit die Tat geplant. Diese Möglichkeit durfte daher nicht ohne nähere Erörterung ausgeschlossen werden.

Die Lücke in der Beweiswürdigung wird auch nicht durch die Feststellung des Landgerichts geschlossen, in der Nachricht der Angeklagten an ihren Freund, sie werde wegen ihrer Körperfülle eine Fastenkur machen, habe sich ihre "unbewußte Kenntnis" von der bevorstehenden Geburt im Sinne eines Ahnens und Sich-Wehrens niedergeschlagen, die die Angeklagte selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu akzeptieren vermochte (UA S. 10). Diese Bewertung steht in Widerspruch zu den Darlegungen des Sachverständigen, wonach es der Angeklagten in der letzten Phase der Schwangerschaft nur noch um das Verheimlichen ging, das sie mit der Mitteilung an ihren Freund raffiniert und plaziert umsetzte. Sie läßt auch die daran anschließende SMS-Nachricht nach der Tat außer Betracht. Eine Begründung für seine abweichende Beurteilung gibt das Landgericht nicht.

Dieser Mangel der Beweiswürdigung führt nicht nur zur Aufhebung der Jugendstrafe, für deren Bemessung das Landgericht neben dem Erziehungszweck maßgeblich darauf abgehoben hat, daß sich die Tat bei Bewertung nach Erwachsenenstrafrecht wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten als sonstiger minder schwerer Fall im Sinne des § 213 StGB dargestellt hätte. Vielmehr kann auch der Schuldspruch keinen Bestand haben; denn war die Tat vorausgeplant, ist nicht nur die Schuldfähigkeit der Angeklagten auf einer anderen Tatsachengrundlage zu beurteilen, sondern auch die Frage des Vorliegens von Mordmerkmalen (§ 211 Abs. 2 StGB) neu zu beantworten.

III. Die Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

1. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen dringen nicht durch. Sie sind jedenfalls unbegründet. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift vom .

2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, vermag sie ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufzudecken. Die Überzeugungsbildung des Landgerichts zum Kerngeschehen der Tat beruht auf möglichen Schlüssen aus dem Beweisergebnis. Zwingend müssen diese Schlüsse - entgegen der Ansicht der Revision - nicht sein. Ebenso hat das Landgericht nachvollziehbar dargelegt, warum es dem Sachverständigen H. bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit der Angeklagten folgt und die diesbezüglichen Ausführungen der Psychologin G. für unzutreffend erachtet. Bei alledem werden Rechtsfehler in der Beweiswürdigung - etwa Lücken, Widersprüche, Verstöße gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen -, die sich zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben könnten, nicht erkennbar. Durch die rechtsfehlerhafte Behandlung der Frage, ob die Tat möglicherweise vorausgeplant war, ist die Angeklagte nicht beschwert. Sie kann ihrer Revision daher nicht zum Erfolg verhelfen.

IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sich bei Klärung des Tatablaufs näher mit der Frage auseinanderzusetzen haben, über welchen Zeitraum aus rechtsmedizinischer Sicht ein Überleben des Kindes in dem Plastiksack möglich war, insbesondere ob eine Überlebenszeit von mehreren Stunden in Betracht kommt, wie dies in dem angefochtenen Urteil angenommen wurde.

2. Trotz Aufhebung des § 217 StGB aF darf auch nach neuer Rechtslage nicht darauf verzichtet werden zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich die körperliche und seelische Belastung der Gebärenden, die Grund für die Privilegierung der Kindstötung in dieser Vorschrift war, bei der Begehung eines einschlägigen Tötungsdelikts ausgewirkt hat (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 6. StrRG BTDrucks. 13/8587 S. 34). Dies gilt auch für die Frage, ob die Tatmotivation das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe erfüllt und - falls dies objektiv einmal der Fall sein sollte - ob die Täterin die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, trotz der Belastung durch die Geburt subjektiv in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewußtsein aufgenommen und erkannt hat.

Andererseits wird zu beachten sein, daß bei Kindstötungen im Sinne des aufgehobenen § 217 StGB aF eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen wird, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. Vossen in Göppinger/Bresser, Tötungsdelikte 1980 S. 81, 88 ff., 90; Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S. 174; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 54). Auch dem angefochtenen Urteil läßt sich im übrigen nicht entnehmen, daß bei der Angeklagten zur Tatzeit eine der geistig-seelischen Beeinträchtigungen vorgelegen hätte, die gemäß §§ 20, 21 StGB geeignet sind, die Schuldfähigkeit aufzuheben oder erheblich zu mindern. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen H. , denen das Landgericht folgt, bestand bei der Angeklagten weder eine psychische Krankheit noch eine Persönlichkeitsstörung. Eine krankhafte seelische Störung sowie eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB schieden damit aus. Die von ihm als "sehr plausibel" angesehene akute emotionale Belastungsreaktion mit emotionalem Streß und Geburtsstreß (UA S. 36), auf deren Grundlage er eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten nicht meinte ausschließen zu können, erfüllt hier auch nicht die Voraussetzungen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung. Denn das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß die Angeklagte im Tatzeitraum bewußtseinsklar war und sich bei ihr keine tiefgreifende Bewußtseinsstörung eingestellt hatte (UA S. 12). Damit ist aber keines der biologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB belegt. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit war daher schon aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft (zur Notwendigkeit der Zuordnung geistig-seelischer Beeinträchtigungen des Täters zu den biologischen Merkmalen des § 20 StGB vgl. BGH NStZ 1998, 296, 297; 1999, 128, 129; Senat, Urt. vom - 3 StR 434/02).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
TAAAC-07714

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