BGH Urteil v. - 3 StR 500/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 177; StGB § 181 Abs. 1 Nr. 1; StPO § 265 Abs. 1

Instanzenzug: LG Oldenburg vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im übrigen - wegen "ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei in Tateinheit mit sexueller Nötigung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit räuberischer Erpressung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung" (Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren), wegen Nötigung (Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten) und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen (Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verhängt. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten; sie hat teilweise Erfolg.

1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen "ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei in Tateinheit mit sexueller Nötigung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit räuberischer Erpressung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung" verurteilt hat, führt dies zu einer - allerdings nur das Konkurrenzverhältnis betreffenden - Änderung des Schuldspruchs.

a) Das Landgericht hat hierzu festgestellt, daß die Nebenklägerin in Bordellbetrieben für den Angeklagten der Prostitution nachging. Dieser beutete sie planmäßig aus und überwachte ihre Tätigkeit im einzelnen. Als er erfuhr, daß die Nebenklägerin es abgelehnt hatte, mit Freiern den Geschlechtsverkehr auszuüben, die übergewichtig waren bzw. nach ihrem Eindruck an einer Geschlechtskrankheit litten, schlug er ihr mehrfach auf den Hinterkopf und trat ihr mit beschuhten Füßen in den Bauch. Er verlangte von ihr, künftig alle Freier ohne Ausnahme zu akzeptieren und mit ihnen ungeschützten Geschlechtsverkehr auszuüben. Weiterhin erklärte er ihr, sie könne ihr "eigenes Grab schaufeln", wenn sie nicht mehr verdiene. Aufgrund der vorangegangenen Schläge und Drohungen kam die Nebenklägerin in der folgenden Zeit der Weisung des Angeklagten aus Angst nach und übte den Geschlechtsverkehr in einer Mehrzahl von Fällen mit übergewichtigen Freiern aus, die sie ohne die vorherige und fortwirkende Einschüchterung als Kunden abgelehnt hätte.

b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts tragen diese Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB.

aa) Der Angeklagte hat Gewalt gegen die Nebenklägerin angewendet und ihr zugleich mit Gefahr für Leib oder Leben gedroht. Diese war auch gegenwärtig im Sinne einer Dauergefahr, denn die Möglichkeit, daß der ungewöhnliche Zustand jederzeit in einen Schaden umschlagen konnte (vgl. BGHR StGB § 255 Drohung 4, 6), bestand fortdauernd (vgl. BGHR StGB § 255 Drohung 11; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 34 Rdn. 4). Denn der Angeklagte war nach den Feststellungen bei der Abweisung eines übergewichtigen Freiers aufgrund der in dem Bordellbetrieb bestehenden ständigen Überwachung ohne weiteres in der Lage, innerhalb kurzer Zeit seine Drohung umzusetzen.

bb) Zwischen dem Einsatz der Nötigungsmittel durch den Angeklagten und der sexuellen Handlung der Nebenklägerin, nämlich der Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit zumindest einem übergewichtigen Dritten, besteht ein kausaler Zusammenhang. Daß insoweit detaillierte Feststellungen bezüglich Anzahl und Ablauf der mehreren erzwungenen Sexualkontakte mit übergewichtigen Kunden fehlen, führt im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils, weil das Landgericht den Angeklagten lediglich wegen sexueller Nötigung in einem Falle verurteilt hat.

Soweit in Rechtsprechung und Schrifttum darüber hinaus verlangt wird, es bedürfe einer konkreten Beziehung zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und einer bestimmten sexuellen Handlung im Sinne eines funktionalen Zusammenhangs (vgl. BGH bei Holtz MDR 1983, 984; Schroeder JR 1977, 357, 359), ist auch diese Voraussetzung erfüllt. Sie zielt darauf ab, solche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich des § 177 StGB auszunehmen, in denen lediglich allgemein zur Ausübung der Prostitution aufgefordert wird. Über diesen Sinngehalt hinausgehend kann aus der Forderung eines funktionalen Zusammenhangs indessen nicht abzuleiten sein, daß bereits im Zeitpunkt der Nötigung die sexuelle Handlung oder die Person des Dritten individuell bestimmt sein müsse. Eine derart restriktive Auslegung wäre zum einen weder vom Wortlaut noch von Sinn und Zweck der Vorschrift geboten; zum anderen würde der strafrechtliche Schutz der Prostituierten, die als Tatopfer des § 177 StGB nicht ausgenommen sind, unnötig zurückgedrängt. Die Strafvorschrift des § 177 StGB ist danach - und mehr will die geschilderte Einschränkung nicht besagen - in Fällen der vorliegenden Art nur dann erfüllt, wenn bestimmte einzelne sexuelle Handlungen als Folge der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben festgestellt worden sind (vgl. Dencker NStZ 1989, 249, 251; Renzikowski in MK § 181 Rdn. 49). Das ist hier der Fall. Bei dem Geschlechtsverkehr mit dem übergewichtigen Kunden handelte es sich gerade nicht um einen von der Nebenklägerin im Rahmen ihrer gewöhnlichen Prostitutionsausübung freiwillig erbrachten Sexualkontakt.

cc) Auch der subjektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ist gegeben. Mit der Anweisung, jeden Freier ohne Ausnahme zu akzeptieren, verband der Angeklagte die Vorstellung, die Nebenklägerin würde wenigstens in einem Fall gegen ihren Willen mit einem übergewichtigen Kunden verkehren. Nur auf diese Weise konnte das Ziel der Umsatzsteigerung aus seiner Sicht erreicht werden.

c) Nicht außer Zweifel steht, ob das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen schweren Menschenhandels gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu Recht abgelehnt hat. Eine solche setzt voraus, daß der Täter eine andere Person durch den Einsatz von Nötigungsmitteln zur Fortsetzung der Prostitution bestimmt. Wird die Prostitution bereits - freiwillig - ausgeübt, ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich und ausreichend, daß das Opfer durch die Einwirkung des Täters zu einer qualitativ andersartigen, von ihm nicht gewollten Form der Prostitution bestimmt wird (vgl. ; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 181 Rdn. 4). Der Senat neigt dazu, den erzwungenen Geschlechtsverkehr mit übergewichtigen Kunden dieser - wenig trennscharfen - Begriffsbestimmung nicht zuzuordnen. Als qualitativ andersartige Form der Prostitution und damit im vorliegenden Fall als zumindest versuchter schwerer Menschenhandel könnte es indessen zu beurteilen sein, daß auf die Nebenklägerin Druck ausgeübt worden ist mit dem Ziel, auch mit geschlechtskranken Kunden ungeschützt zu verkehren. Einer abschließenden Entscheidung bedürfen die aufgeworfenen Fragen indessen nicht. Dadurch, daß das Landgericht insoweit keine Verurteilung ausgesprochen hat, ist der Angeklagte jedenfalls nicht beschwert.

d) Zwischen den vier Fällen räuberischer Erpressung und der sexuellen Nötigung besteht Tatmehrheit. Zwar sind die genannten Verbrechen - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - jeweils tateinheitlich mit dem Dauerdelikt der Zuhälterei verwirklicht worden; eine zur Annahme von Tateinheit führende Verklammerung der Verbrechenstatbestände durch das tateinheitlich begangene Vergehen scheitert jedoch am Fehlen zumindest annähernder Wertgleichheit (vgl. BGHSt 39, 390, 391 f.; BGHR StGB § 181 Abs. 1 Konkurrenzen 3; Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. § 52 Rdn. 29 f.).

2. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Einsatzstrafe von fünf Jahren und der Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen nach sich. Das Landgericht wird im Umfang der Aufhebung für die nunmehr als tatmehrheitlich beurteilten Taten des Angeklagten neue Einzelstrafen festzusetzen und mit den aufrechterhaltenen Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden haben.

3. Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Fundstelle(n):
SAAAC-07668

1Nachschlagewerk: nein