BGH Urteil v. - XII ZR 75/04

Leitsatz

[1] a) Zu den gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO an eine Berufungsbegründung zu stellenden Anforderungen.

b) Zur Höhe des eigenen angemessenen Unterhalts bei Unterhaltsansprüchen von Enkeln gegen ihre Großeltern (im Anschluss an Senatsurteil vom - XII ZR 93/91 - FamRZ 1992, 795).

c) Zu den Voraussetzungen der nach § 1607 Abs. 2 BGB eintretenden Ersatzhaftung eines nachrangig haftenden Verwandten.

Gesetze: ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2; BGB § 1601; BGB § 1603 Abs. 1; BGB § 1607 Abs. 2

Instanzenzug: OLG Dresden 10 UF 771/02 vom AG Freiberg 1 F 283/00 vom

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Großvater, auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch.

Die am geborene Klägerin entstammt der geschiedenen Ehe des Sohnes des Beklagten mit ihrer Mutter. Ihr Vater war durch Versäumnisurteil vom verurteilt worden, für sie monatlichen Kindesunterhalt von 341 DM zu zahlen. Von einer Vollstreckung aus diesem Titel sah die Klägerin im Hinblick auf das unzureichende Einkommen des Vaters aus Arbeitslosengeld und später aus Arbeitslosenhilfe (im Jahr 2000: monatlich 1.000 DM) ab. Die Mutter der Klägerin, deren Eltern (nicht: Kinder) verstorben sind, bezieht Leistungen der Sozialhilfe.

Der 1932 geborene Beklagte und seine 1934 geborene Ehefrau sind Rentner. Die Rente des Beklagten betrug bis zum monatlich 2.092,55 DM und seit dem monatlich 2.109,56 DM (nicht: 2.109,86 DM). Die Rente der Ehefrau belief sich bis auf monatlich 1.284,20 DM und seit dem auf monatlich 1.314,14 DM. Bis zum wohnten die Großeltern in einem eigenen Haus in F./Sachsen. Für zwei zur Modernisierung des Hauses aufgenommene Darlehen hatten sie monatliche Raten von 69,50 DM und 68,13 DM (nicht: 48,13 DM) zu zahlen. Seit dem leben die Großeltern in S./Niedersachsen. Für ihre dortige Wohnung hatten sie im Jahr 2000 einen monatlichen Mietzins von insgesamt 810 DM zu entrichten.

Die Klägerin hat Zahlung von Unterhalt für die Zeit ab verlangt, und zwar in Höhe von monatlich 483 DM bis Juli 2000, von monatlich 411 DM für die Zeit vom 1. August bis und von monatlich 493 DM ab Januar 2001. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hält sich mit Rücksicht auf den Unterhaltsbedarf seiner Ehefrau und den ihm zustehenden Selbstbehalt für nicht leistungsfähig.

Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, für die Zeit vom 1. Februar bis monatlichen Unterhalt von 161,06 € (= 315 DM; nicht: 161,02 €) zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihren Anspruch in Höhe von monatlich 169 € für die Zeit bis Dezember 2000 (insoweit nach Abzug anteiligen Kindergeldes von 69 €), von monatlich 238 € für die Zeit von Januar bis Juni 2001 und von monatlich 249 € ab Juli 2001 (insoweit jeweils ohne Anrechnung anteiligen Kindergeldes) weiterverfolgt, während der Beklagte die Abweisung der Klage insgesamt begehrt hat. Das Oberlandesgericht hat - unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Klägerin - das angefochtene Urteil auf die Berufung des Beklagten abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision hat die Klägerin zunächst beantragt, entsprechend ihrem zweitinstanzlichen Antrag zu erkennen. Mit Schriftsatz vom hat sie den Rechtsstreit hinsichtlich des ab September 2003 begehrten Unterhalts in der Hauptsache für erledigt erklärt, da sie zum ein Ausbildungsverhältnis angetreten habe und aufgrund des daraus bezogenen Einkommens nicht mehr unterhaltsbedürftig sei. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet.

I.

Das Oberlandesgericht, dessen Urteil in FamRZ 2003, 1211 ff. veröffentlicht ist, hat angenommen, daß das Urteil des Amtsgerichts allein auf die in zulässiger Weise eingelegte und begründete Berufung des Beklagten abzuändern sei. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt:

Die Berufungsbegründung des Beklagten genüge den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO. Die erforderliche Darlegung einer Rechtsverletzung sei in dem Vortrag zu sehen, für Großeltern müsse wegen der Alterssicherungsfunktion der Rente und der fehlenden steuerlichen Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen ein erhöhter Selbstbehalt zugrunde gelegt werden. Einer Auseinandersetzung mit der unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung zur Höhe des Selbstbehalts habe es daneben nicht bedurft. Die Berufung des Beklagten sei auch begründet, weil die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum gegen ihn keinen Anspruch auf Unterhalt habe. Dabei könne dahinstehen, ob sie zu den Voraussetzungen einer Ersatzhaftung des Großvaters gemäß § 1607 Abs. 2 BGB hinreichend vorgetragen habe, indem sie allein auf das für eine Vollstreckung unzureichende Einkommen ihres Vaters verwiesen, nicht aber Angaben zu dessen Vermögensverhältnissen gemacht habe. Denn auch im Falle einer Leistungsunfähigkeit beider Elternteile scheide ein Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten wegen des ihm zustehenden Selbstbehalts aus. Zwar sei dem Renteneinkommen für die Zeit bis zum ein Wohnvorteil hinzuzurechnen. Nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin sei von einem Wohnwert von monatlich 585 DM auszugehen. Da das Haus den Großeltern zu gleichen Teilen gehört habe, sei bei beiden jeweils der halbe Wohnwert zu berücksichtigen und der Betrag von 292,50 DM jeweils um die hälftigen Darlehensraten zu bereinigen. Danach verbleibe ein anzurechnender Wohnvorteil von jeweils 223,69 DM (292,50 DM abzüglich 68,81 DM, nämlich: [69,50 DM + 68,13 DM] : 2). Von dem Gesamteinkommen des Beklagten von 2.316,24 DM bzw. ab von 2.333,25 DM sei jedoch zunächst der seiner Ehefrau geschuldete Familienunterhalt in Abzug zu bringen. Dieser sei als Quote von 1/2 der Differenz der beiderseitigen Renteneinkünfte anzusetzen und belaufe sich deshalb auf 404,18 DM bzw. ab auf 397,76 DM. Danach ergebe sich ein bereinigtes Gesamteinkommen des Beklagten von 1.912,06 DM bis und von 1.935,49 DM für die Zeit danach. Dieses Einkommen unterschreite den dem Beklagten zuzubilligenden Selbstbehalt, der für die Zeit ab entsprechend Ziff. II 16 b der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Dresden mit 2.055 DM - und nicht mit dem im Verhältnis von Eltern gegenüber ihren nicht privilegierten volljährigen Kindern maßgeblichen geringeren Selbstbehalt - angesetzt werde. Eine Verringerung des Selbstbehalts wegen Unterschreitung der hierin eingearbeiteten Mietaufwendungen komme nicht in Betracht. Für die Zeit ab , dem Umzug des Beklagten nach Niedersachsen, sei von einem Mindestselbstbehalt von 2.450 DM (Ziff. IV 1 b) 4. Spiegelstrich der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Oldenburg, Stand: ) bzw. ab von 1.250 € auszugehen, so daß eine Unterhaltsverpflichtung durchgehend nicht bestehe.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

II.

1. Hinsichtlich der vom Berufungsgericht bejahten Zulässigkeit der Berufung rügt die Revision: Die Berufung sei unzulässig gewesen, weil ihre Begründung nicht im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO Umstände bezeichne, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergebe. Dazu genüge nicht die Angabe, aufgrund der vom Erstgericht festgestellten Tatsachen habe die Klage insgesamt abgewiesen werden müssen. Erforderlich sei vielmehr eine Auseinandersetzung mit dem Ersturteil, die über die Mitteilung des für richtig gehaltenen Ergebnisses hinausgehe.

2. Damit vermag die Revision nicht durchzudringen. Die Berufungsbegründung des Beklagten genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

a) Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden. Besondere formale Anforderungen bestehen insofern nicht. Die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm ist entbehrlich, soweit aus den mitgeteilten Rechtsansichten deutlich wird, worin der Rechtsfehler gesehen wird ( - WM 2003, 1581, 1582 m.w.N.).

Mit seiner Berufung hat der Beklagte gerügt, daß das Berufungsgericht den ihm zuzubilligenden Selbstbehalt zu niedrig angesetzt und damit seine Leistungsfähigkeit unzutreffend beurteilt habe. Auszugehen sei nicht von dem angemessenen, sondern von einem erhöhten Selbstbehalt, wie er bei der Inanspruchnahme auf Zahlung von Elternunterhalt zugrunde gelegt werde, und zwar sowohl für den Unterhaltspflichtigen selbst als auch für seinen Ehegatten. Beide hätten sich darauf einrichten können, von ihren Enkeln nicht auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, zumal sie Rentner seien und das Renteneinkommen dazu dienen solle, ihren Lebensabend in ausreichendem Maße zu sichern. Überdies rechtfertige sich der erhöhte Selbstbehalt auch aus dem Umstand, daß ein Großvater nicht in der Lage sei, den einem Enkel gezahlten Unterhalt steuerlich in Abzug zu bringen.

Daraus wird erkennbar, in welchem Punkt der Beklagte das amtsgerichtliche Urteil angreift und welche Rechtsansicht er demgegenüber aus den angegebenen Gründen für richtig hält. Das genügte.

b) Zur Bezeichnung des Umstandes, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt. Dieses formale Begründungserfordernis setzt nicht die Schlüssigkeit der Berufungsgründe voraus ( aaO).

Nach der Berufungsbegründung ergibt sich aus der vom Beklagten für richtig gehaltenen Rechtsauffassung dessen fehlende Leistungsfähigkeit und damit die von ihm erstrebte volle Klageabweisung.

III.

In der Sache ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte gemäß § 1603 Abs. 1 BGB zu Unterhaltsleistungen für die Klägerin unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen und ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts nicht in der Lage sei, weshalb es nicht entscheidend darauf ankomme, ob die Voraussetzungen der Ersatzhaftung nach § 1607 Abs. 2 BGB erfüllt seien und ob die Sozialhilfeleistungen für die Klägerin ihren Bedarf gemindert hätten.

Zwar vermag der Senat den Ausführungen zur Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht in allen Punkten zu folgen; das stellt die Entscheidung im Ergebnis aber nicht in Frage.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß der Selbstbehalt des Beklagten - ebenso wie bei der Inanspruchnahme durch Eltern - mit 2.055 DM (vgl. die Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden, Stand: ) anzusetzen sei. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

a) § 1603 Abs. 1 BGB gewährleistet jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts; ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt ( - FamRZ 1992, 795, 797 und vom - IVb ZR 15/88 - FamRZ 1989, 272). In welcher Höhe dieser Bedarf des Verpflichteten zu bemessen ist, obliegt der tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls. Das dabei gewonnene Ergebnis ist revisionsrechtlich jedoch darauf zu überprüfen, ob es den anzuwendenden Rechtsgrundsätzen Rechnung trägt und angemessen ist (vgl. IVb ZR 372/81 - FamRZ 1983, 678 und vom - IVb ZR 45/84 - FamRZ 1986, 151). Das ist hier der Fall.

b) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß den in den Unterhaltstabellen angesetzten Selbstbehaltsbeträgen, die ein Unterhaltsverpflichteter gegenüber einem minderjährigen oder einem volljährigen Kind verteidigen kann, andere Lebensverhältnisse zugrunde liegen, als im vorliegenden Fall zu beurteilen sind. Eltern müssen regelmäßig damit rechnen, ihren Kindern auch über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus zu Unterhaltsleistungen verpflichtet zu sein, bis diese ihre Berufsausbildung abgeschlossen haben und wirtschaftlich selbständig sind. Mit einer solchen, der natürlichen Generationenfolge entsprechenden Entwicklung kann indessen weder die Inanspruchnahme auf Elternunterhalt noch der Fall gleichgestellt werden, daß Enkel von ihren Großeltern Unterhalt verlangen, weil die - gemäß § 1606 Abs. 2 BGB vorrangig haftenden - Eltern mangels Leistungsfähigkeit oder deswegen ausfallen, weil die Rechtsverfolgung gegen sie im Inland ausgeschlossen oder wesentlich erschwert ist (§ 1607 Abs. 1 und 2 BGB). Der Senat hat deshalb die Auffassung gebilligt, daß der angemessene Selbstbehalt, der einem Verpflichteten bei durchschnittlichen Einkommensverhältnissen gegenüber dem Unterhaltsbegehren eines volljährigen Kindes als Mindestbetrag gewährt wird, um einen maßvollen Zuschlag erhöht wird, wenn das Unterhaltsbegehren anderer Verwandter zu beurteilen ist (Senatsurteil vom aaO S. 797).

Wie der Senat zum Elternunterhalt entschieden hat, braucht der Unterhaltspflichtige eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen, als er nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibt. Mit Rücksicht darauf ist es gerechtfertigt, daß der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gegenüber seinen unterhaltsbedürftigen Eltern mit einem erhöhten Betrag, wie er in den Tabellen und Leitlinien insoweit als Mindestbetrag vorgesehen ist, angesetzt und gegebenenfalls noch dadurch erhöht wird, daß dem Unterhaltspflichtigen ein etwa hälftiger Anteil seines für den Elternunterhalt einsetzbaren bereinigten Einkommens zusätzlich verbleibt (Senatsurteil vom - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698, 1700 ff.).

c) Diese Erwägungen können auf das Unterhaltsrechtsverhältnis zwischen Großeltern und Enkeln übertragen werden. Auch insofern gilt, daß eine Inanspruchnahme in der Regel erst stattfindet, wenn der Unterhaltsverpflichtete sich selbst bereits in einem höheren Lebensalter befindet, seine Lebensverhältnisse demzufolge bereits längerfristig seinem Einkommensniveau angepaßt hat, Vorsorge für sein eigenes Alter treffen möchte oder sogar bereits Rente bezieht und sich dann einer Unterhaltsforderung ausgesetzt sieht, für die nach der natürlichen Generationenfolge die Eltern aufzukommen haben und für die er deshalb nur nachrangig haftet. Den Enkeln des Unterhaltspflichtigen gehen im übrigen sein Ehegatte oder geschiedener Ehegatte, die nach § 1615 l BGB Unterhaltsberechtigten und seine Kinder im Rang vor (§§ 1609 Abs. 1 und 2, 1605 l Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 BGB).

In tatsächlicher Hinsicht würde die Notwendigkeit, nicht unerhebliche Abstriche von dem derzeitigen Lebensstandard hinzunehmen, auf eine übermäßige Belastung des Unterhaltspflichtigen hinauslaufen. Er ist gehalten, soweit noch möglich, Vorsorge für seine weiteren Lebensjahre, auch unter Berücksichtigung einer eventuell eintretenden Pflegebedürftigkeit, zu treffen. Das gilt insbesondere, wenn er seinen Abkömmling im Fall der Bedürftigkeit nicht seinerseits auf Zahlung von Elternunterhalt wird in Anspruch nehmen können, weil dieser schon keinen Kindesunterhalt gezahlt hat.

Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt: Wenn Eltern außerstande sind, ohne Gefährdung ihres eigenen angemessenen Bedarfs Unterhalt für ein Kind zu leisten, kommt gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB die Haftung eines anderen unterhaltspflichtigen Verwandten in Betracht. Das kann auch ein Großelternteil sein (ebenso MünchKomm/Luthin 4. Aufl. § 1603 Rdn. 81). Eine unterschiedslose Festsetzung des angemessenen Selbstbehalts der Eltern und der Großeltern würde aber dazu führen, daß ein minderjähriges Kind seinen leistungsfähigen Großvater schon dann in Anspruch nehmen könnte, wenn seinem Vater infolge der Unterhaltsleistung weniger als - derzeit - 1.000 € verblieben und die Mutter nicht leistungsfähig ist. Wegen ihrer nur nachrangigen Verpflichtung müssen sich Großeltern indessen finanziell nicht in demselben Maße einschränken wie Eltern, zumal sie - anders als diese gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB - nicht gesteigert unterhaltspflichtig sind. Unbillige Ergebnisse können dadurch vermieden werden, daß der Selbstbehalt anderer unterhaltspflichtiger Verwandter als der Eltern, insbesondere der Großeltern, mit einem gegenüber dem angemessenen Selbstbehalt erhöhten Betrag angesetzt wird (so auch Wendl/Scholz aaO § 6 Rdn. 273; Luthin/Seidel Handbuch des Unterhaltsrechts 10. Aufl. Rdn. 5042; Luthin FamRB 2004, 177, 178).

Der Umstand, daß der unterhaltsrechtlichen Verantwortung von Großeltern ein geringeres Gewicht zukommt, wird auch durch den ihnen sozialhilferechtlich zugebilligten Schutz deutlich: Ein gesetzlicher Forderungsübergang von Unterhaltsansprüchen gegen Großeltern findet nach § 91 Abs. 1 Satz 2 BSHG bzw. § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB XII nicht statt.

d) Bei dieser Sach- und Rechtslage ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn Großeltern im Fall der Inanspruchnahme auf Unterhalt für ihre Enkel zumindest die höheren Selbstbehaltsbeträge zugebilligt werden, die auch erwachsene Kinder gegenüber ihren unterhaltsbedürftigen Eltern verteidigen können (ebenso OLG Koblenz OLG-Report 2005, 22, 23 f.; OLG Schleswig FamRZ 2004, 1058, 1060 mit Anmerkung Luthin und OLG-Report 2004, 429; OLG Hamm FamRZ 2005, 57, 58; Wendl/Scholz aaO § 2 Rdn. 273; Schwab in Schwab/Henrich Familiäre Solidarität S. 55 und 53 f.; Lipp NJW 2002, 2201, 2204 f.; vgl. auch Luthin FamRB 2005, 19, 21; gegenüber volljährigen Enkeln: Wendl/Pauling aaO § 6 Rdn. 20; Luthin/Seidel aaO Rdn. 5041; Gerhardt aaO 6. Kap. Rdn. 208 b; für eine großzügige Bemessung des Selbstbehalts: OLG Oldenburg NJW-RR 2000, 2516). Das gilt auch gegenüber minderjährigen Enkeln. Zwar sind diese in der Regel nicht in der Lage, ihren Lebensbedarf selbst zu decken. Deshalb ordnet das Gesetz in § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB an, daß ihnen gegenüber eine gesteigerte Unterhaltspflicht besteht. Die vorgenannte Bestimmung gilt aber nur im Verhältnis zwischen Kindern und ihren Eltern. Für Großeltern besteht dagegen keine gesteigerte Unterhaltspflicht, sondern sie haften allein unter Berücksichtigung ihres angemessenen Eigenbedarfs, und zwar nachrangig. Das rechtfertigt es, ihnen generell die erhöhten Selbstbehaltsbeträge zuzubilligen. Auf die Frage, ob Großeltern das nach Abzug des Selbstbehalts verbleibende bereinigte Einkommen grundsätzlich nur zur Hälfte für den Unterhalt von Enkeln einzusetzen haben oder ob dies nur im Verhältnis zu volljährigen Enkeln gilt (so OLG Koblenz aaO), kommt es im vorliegenden Fall nicht an.

2. Die Ermittlung des unterhaltsrelevanten Einkommens des Beklagten ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung des bis bestehenden Wohnvorteils, den das Berufungsgericht durch Abzug der Darlehensraten von dem als unstreitig festgestellten Wohnwert von monatlich 585 DM ermittelt hat. Daß ein zu geringer Wohnwert des ehemals im Miteigentum der Großeltern stehenden Hauses zugrunde gelegt worden sei, macht die Revision nicht geltend. Den Abzug der vollständigen Darlehensraten, also sowohl des Zins- als auch des Tilgungsanteils, hat der Senat bei der Inanspruchnahme eines Unterhaltspflichtigen auf Zahlung von Elternunterhalt jedenfalls dann für rechtsbedenkenfrei gehalten, wenn und soweit sich die Verbindlichkeiten und die hieraus resultierenden Annuitäten in einer im Verhältnis zu den vorhandenen Einkünften angemessenen Höhe halten und die Verpflichtungen bereits zu einer Zeit eingegangen wurden, als der Unterhaltspflichtige noch nicht damit zu rechnen brauchte, für den Unterhalt seiner Eltern aufkommen zu müssen (Senatsurteil vom - XII ZR 123/00 - FamRZ 2003, 1179, 1180 ff.). Maßgebend dafür war die Erwägung, daß der Unterhaltspflichtige andernfalls gezwungen sein könnte, das Familienheim zu verwerten, was ihm im Verhältnis zu seinen Eltern nicht obliegt.

Diese Bewertung gilt für die hier vorliegende Fallgestaltung des Verwandtenunterhalts gleichermaßen, wie sich zum einen aus den in der vorgenannten Entscheidung angeführten Gründen und zum anderen aus den vorstehenden Erwägungen zum Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Großelternteils bei der Inanspruchnahme auf Zahlung von Unterhalt für einen Enkel ergibt. Danach begegnet es keinen Bedenken, daß das Berufungsgericht die ohnehin geringen Darlehensraten von insgesamt 137,63 DM monatlich als abzugsfähig anerkannt hat. Anhaltspunkte dafür, daß die Verbindlichkeiten erst nach Eingang der an den Beklagten gerichteten Zahlungsaufforderung der Klägerin vom begründet wurden, sind nicht ersichtlich.

3. a) Zu den nach § 1603 Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden sonstigen Verbindlichkeiten des Beklagten gehört, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, die Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau, soweit diese nicht über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt. Der Beklagte schuldet ihr insoweit gemäß §§ 1360, 1360 a BGB Familienunterhalt. Dieser Unterhaltsanspruch läßt sich zwar nicht ohne weiteres nach den zum Ehegattenunterhalt nach Trennung oder Scheidung entwickelten Grundsätzen bemessen. Denn er ist nach seiner Ausgestaltung nicht auf die Gewährung einer - frei verfügbaren - laufenden Geldrente für den jeweils anderen Ehegatten, sondern vielmehr als gegenseitiger Anspruch der Ehegatten darauf gerichtet, daß jeder von ihnen seinen Beitrag zum Familienunterhalt entsprechend seiner nach dem individuellen Ehebild übernommenen Funktion leistet. Seinem Umfang nach umfaßt der Anspruch auf Familienunterhalt gemäß § 1360 a BGB alles, was für die Haushaltsführung und die Deckung der persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und eventueller Kinder erforderlich ist. Sein Maß bestimmt sich aber nach den ehelichen Lebensverhältnissen, so daß § 1578 BGB als Orientierungshilfe herangezogen werden kann (Senatsurteil vom - XII ZR 80/94 - FamRZ 1995, 537 und vom - XII ZR 2/00 - FamRZ 2003, 363 m.Anm. Scholz aaO S. 514). Es begegnet deshalb keinen Bedenken, den - hier maßgeblichen - Anspruch auf Familienunterhalt im Fall der Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen auf die einzelnen Familienmitglieder aufzuteilen und in Geldbeträgen zu veranschlagen (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 67/00 - FamRZ 2003, 860, 864 m.w.N.).

b) Bei einem auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen hat der Senat die Auffassung vertreten, daß der Unterhaltsanspruch des Ehegatten nicht auf einen Mindestbetrag beschränkt ist, sondern nach den individuell ermittelten Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnissen, die den ehelichen Lebensstandard bestimmen, zu bemessen ist (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB). Da der Ehegatte zudem dem Schwiegerelternteil gegenüber nicht unterhaltspflichtig ist, braucht er mit Rücksicht auf dessen - gemäß § 1609 BGB nachrangige - Unterhaltsansprüche keine Schmälerung seines angemessenen Anteils am Familienunterhalt hinzunehmen. Für ihn ist deshalb nicht von vornherein nur ein bestimmter Mindestbetrag anzusetzen, sondern der nach Maßgabe der ehelichen Lebensverhältnisse bemessene Unterhalt (Senatsurteil vom aaO S. 865).

Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau nach den ehelichen Lebensverhältnissen stellt sich allerdings die Frage, ob diese bereits durch Unterhaltsleistungen für einen Elternteil geprägt waren. Denn der Unterhaltsanspruch eines Ehegatten kann auch durch Unterhaltsansprüche nachrangig Berechtigter eingeschränkt werden, soweit die sich aus einem entsprechenden Vorwegabzug ergebende Verteilung der zum Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht zu einem Mißverhältnis hinsichtlich des wechselnden Bedarfs der Beteiligten führt. Dabei kann auch schon die latente Unterhaltslast für einen Elternteil die ehelichen Lebensverhältnisse mitbestimmen ( aaO S. 865 und vom - XII ZR 63/00 - FamRZ 2004, 186, 187 f.).

c) Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich von einer solchen auf Inanspruchnahme auf Elternunterhalt dadurch, daß auch der nicht in Anspruch genommene Großelternteil mit dem Enkel - anders als die Ehefrau mit der Schwiegermutter - verwandt ist und ihm - Leistungsfähigkeit unterstellt - deshalb ebenfalls unterhaltspflichtig sein kann. Mit Rücksicht hierauf kann für beide Großelternteile bei absehbarem Ausfall eines vorrangig Unterhaltspflichtigen Anlass bestehen, sich darauf einzustellen, für den Unterhalt eines Enkels in Anspruch genommen zu werden (ebenso Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 273; vgl. auch Luthin FamRB 2005, 19, 21 f.; anderer Ansicht Gerhardt in Handbuch des Fachanwalts Familienrecht 5. Aufl. 6. Kap. Rdn. 208 b).

Durch eine solche latent bestehende Unterhaltspflicht sind die ehelichen Lebensverhältnisse der Großeltern nach den getroffenen Feststellungen geprägt gewesen. Denn ihr Sohn hat seit Erlaß des Versäumnisurteils am keinen Unterhalt gezahlt und war offensichtlich schon zuvor arbeitslos. Das hat zur Folge, daß - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - der der Ehefrau des Beklagten zustehende Familienunterhalt nicht als Quote von 1/2 der Differenz der beiderseitigen Einkünfte, sondern nur mit einem Mindestbedarfssatz in Ansatz zu bringen ist, von dem ihr Einkommen abzusetzen ist.

d) Dieser Mindestbedarfssatz ist indessen nicht mit dem notwendigen Eigenbedarf anzusetzen, wie er in den Unterhaltstabellen für einen Ehegatten vorgesehen ist, der mit dem Unterhaltspflichtigen in einem gemeinsamen Haushalt lebt (vgl. etwa B VI der Düsseldorfer Tabelle, Stand: , die für den nicht erwerbstätigen Ehegatten einen notwendigen Eigenbedarf von 950 DM vorsieht). Vielmehr kann die Ehefrau des Beklagten verlangen, daß auch für sie der angemessene Eigenbedarf veranschlagt wird. Dieser ist in der Düsseldorfer Tabelle - unter Berücksichtigung der durch das Zusammenleben mit dem Unterhaltspflichtigen eintretenden Haushaltsersparnis - im Rahmen des Elternunterhalts mit mindestens 1.750 DM (unter B I) vorgesehen. Da die Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Dresden (Stand: ) einen entsprechenden Betrag nicht enthalten, kann dieser in Anlehnung an die Düsseldorfer Tabelle ermittelt werden. Ausgehend von dem in den Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Dresden vorgesehenen Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen von 2.055 DM und dem entsprechenden Betrag der Düsseldorfer Tabelle von 2.250 DM errechnet sich ein Eigenbedarf von rund 1.600 DM (2.055 : 2.250 x 1.750). Hierauf ist das eigene Einkommen der Großmutter anzurechnen, das unter Berücksichtigung des Wohnvorteils bis zum monatlich 1.507,89 DM und ab monatlich 1.537,83 DM betrug, so daß ein ungedeckter Bedarf von 92 DM bzw. von 62 DM (jeweils gerundet) verbleibt.

4. Danach erweist sich die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei durchgehend zu Unterhaltsleistungen an die Klägerin außerstande gewesen, als unzutreffend, auch wenn zu Recht davon abgesehen worden ist, den Selbstbehalt des Beklagten deshalb herabzusetzen, weil er preisgünstiger wohnte, als es der in den Mindestselbstbehalten eingearbeiteten Warmmiete entspricht (vgl. Senatsurteil vom aaO S. 189). Bis Juni 2000 war der Beklagte zu monatlichen Unterhaltszahlungen von (2.092,55 DM + 223,69 DM = 2.316,24 DM - 2.055 DM - 92 DM) 169,24 DM und für Juli 2000 von (2.109,56 DM + 223,69 DM = 2.333,25 DM - 2.055 DM - 62 DM) 216,25 DM in der Lage. Erst ab August 2000 war der Beklagte nicht mehr leistungsfähig, da sein Einkommen unter dem ihm an seinem neuen Wohnort in Niedersachsen zuzubilligenden Selbstbehalt von 2.450 DM lag.

5. Gleichwohl ist das Berufungsurteil im Ergebnis zutreffend. Das Berufungsgericht ist nämlich zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin zu den Voraussetzungen einer Ersatzhaftung des Beklagten nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat, auch wenn es seine Entscheidung letztlich nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat.

§ 1607 Abs. 2 Satz 1 BGB begründet eine Unterhaltspflicht des nachrangig haftenden Verwandten, wenn die Rechtsverfolgung gegen den vorrangig Haftenden im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Voraussetzung ist mithin zunächst, daß der nähere Verwandte an sich leistungsfähig ist, was im vorliegenden Fall jedenfalls in Höhe einer möglichen Inanspruchnahme des Beklagten zu bejahen ist. Denn der Vater der Kläger hat nach dem ihm gegenüber ergangenen Versäumnisurteil monatlichen Kindesunterhalt von 341 DM zu zahlen.

Ausgeschlossen oder zumindest erheblich erschwert ist die Rechtsverfolgung etwa, wenn der Unterhaltsberechtigte mit einem - auf der Zurechnung fiktiven Einkommens beruhenden - Vollstreckungstitel keinen Unterhalt erlangen kann, weil der Unterhaltspflichtige kein vollstreckungsfähiges Vermögen besitzt oder von dem Berechtigten nicht erwartet werden kann, die Zwangsvollstreckung in auch ihm dienende Vermögenswerte (etwa ein von ihm mitbewohntes Haus) zu betreiben (vgl. OLG Hamm FamRZ 2005, 57; OLG Karlsruhe FamRZ 1991, 971, 973; MünchKomm/Luthin aaO § 1607 Rdn. 5; Staudinger/ Engler BGB Neubearbeitung 2000 § 1407 Rdn. 21; Erman/Hammermann BGB 11. Aufl. § 1607 Rdn. 10; Palandt/Diederichsen BGB 64. Aufl. § 1607 Rdn. 11).

Daß Vollstreckungsversuche gegen ihren Vater erfolglos waren, hat die Klägerin nach den getroffenen Feststellungen nicht vorgetragen. Sie hat auch nicht dargetan, daß ihr Vater kein vollstreckungsfähiges Vermögen besitze, sondern sich auf die Angabe beschränkt, die Zwangsvollstreckung sei gegen ihn nicht erfolgversprechend, weil sein Einkommen unter der Pfändungsfreigrenze der §§ 850 c, 850 d ZPO liege. Das genügte zur Darlegung einer Ersatzhaftung des Beklagten gemäß § 1607 Abs. 2 BGB nicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 142 Nr. 3
EAAAC-06734

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja