BGH Urteil v. - XII ZR 259/01

Leitsatz

[1] a) Der nach § 1586 b BGB auf nachehelichen Ehegattenunterhalt in Anspruch genommene Erbe des Unterhaltspflichtigen kann sich weiterhin oder auch erstmals auf die Härteklausel des § 1579 Nr. 7 BGB berufen, wenn nicht der Unterhaltspflichtige zuvor darauf verzichtet hatte.

b) Von einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht auf die Rechtsfolgen des § 1579 Nr. 7 BGB kann nicht ausgegangen werden, wenn der verstorbene Ehegatte in Kenntnis einer langjährigen neuen eheähnlichen Gemeinschaft der Unterhaltsberechtigten weiterhin monatlich Unterhalt bezahlt hatte, um nach § 5 VAHRG eine - sonst höhere - Kürzung seiner Rente zu verhindern.

Gesetze: BGB § 1586 b; BGB § 1579 Nr. 7; VAHRG § 5

Instanzenzug: AG Bingen

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten und deren geschiedenen und am verstorbenen Ehemannes. Sie begehrt Abänderung eines Unterhaltsvergleichs, aus dem die Beklagte sie als Erbin auf nachehelichen Ehegattenunterhalt in Anspruch nimmt.

Mit gerichtlichem Vergleich vom verpflichtete sich der Vater der Klägerin, an die Beklagte künftigen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 500 DM zu zahlen. Weil die Beklagte noch keine Rente erhielt und der Vater der Klägerin an sie Unterhalt leistete, wurde dessen Rente noch nicht um die im Versorgungsausgleich übertragenen rund 759 DM gekürzt (§ 5 VAHRG).

Der Unterhaltspflichtige ist von der Klägerin allein beerbt worden, die nun von der Beklagten gemäß § 1586 b BGB aus dem Prozeßvergleich in Anspruch genommen wird. Mit ihrer Abänderungsklage begehrt die Klägerin den Wegfall ihrer Unterhaltspflicht, weil die Beklagte seit 1995 mit ihrem neuen Partner in dessen Wohnung in eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammenlebt.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgesprochen, daß die Unterhaltspflicht ab August 1999 entfällt. Die Berufung gegen dieses Urteil ist erfolglos geblieben. Mit ihrer - zugelassenen - Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klagabweisung.

Gründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

1. Das Oberlandesgericht (dessen Urteil in OLG Koblenz OLGR 2002, 11 veröffentlicht ist) hat ausgeführt, der Beklagten stehe ab August 1999 kein nachehelicher Unterhalt mehr zu. Die Klägerin hafte zwar als Erbin gemäß § 1586 b BGB für den nachehelichen Unterhalt der Beklagten, sie könne sich aber auf eine Verwirkung nach § 1579 Nr. 7 BGB berufen, obwohl der Erblasser dieses nicht getan habe. Die Rechtsnatur des Anspruchs auf Unterhalt ändere sich durch den Tod des Unterhaltspflichtigen nicht, weshalb die Klägerin die Möglichkeit habe, alle Einwendungen zu Grund und Höhe des Anspruchs geltend zu machen. Durch die fortdauernde Unterhaltszahlung habe der Erblasser den Unterhalt auch nicht in Kenntnis des Verwirkungsgrundes des § 1579 Nr. 7 BGB anerkannt. Aus den Unterhaltszahlungen des Erblassers könne nicht geschlossen werden, daß dieser auch im Falle eines Renteneintritts der Beklagten - mit der dadurch verbundenen Rentenkürzung für ihn - weiterhin Unterhalt gezahlt und auf den Einwand aus § 1579 Nr. 7 BGB verzichtet hätte. Der Unterhaltsanspruch der Beklagten sei unter Berücksichtigung aller Umstände trotz der fast 30 Jahre andauernden Ehe vollständig verwirkt. Dabei sei insbesondere die Erwerbsmöglichkeit der bei Scheidung erst 48 Jahre alten Beklagten und das mietfreie Wohnen im Haus ihres Lebensgefährten zu berücksichtigen.

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden:

a) Die gesetzliche Unterhaltspflicht geht nach § 1586 b BGB unverändert auf den Erben über und bleibt auch weiterhin Einwänden aus § 1579 BGB ausgesetzt. Nur die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wird durch die Begrenzung auf den fiktiven Pflichtteil des Unterhaltsberechtigten (sog. kleiner Pflichtteil bei gesetzlichem Erbrecht des Unterhaltsberechtigten zuzüglich Pflichtteilsergänzungsanspruch, § 1586 b Abs. 1 Satz 2 und 3 i.V. mit §§ 1931 Abs. 1 und 2, 2325 ff. BGB; BGHZ 146, 114, 118 ff.) und die Möglichkeit der Beschränkung auf den vorhandenen Nachlaß (§§ 1975, 1990, 1992 BGB) ersetzt. Der nach § 1586 b BGB haftende Erbe des Unterhaltspflichtigen kann sich deswegen grundsätzlich weiterhin oder auch erstmals auf § 1579 Nr. 7 BGB berufen, wenn der Unterhaltspflichtige nicht zuvor darauf verzichtet hatte (so auch Staudinger/Baumann, BGB 12. Aufl. § 1586 b Rdn. 41; Erman/Dieckmann, BGB 10. Aufl. § 1586 b Rdn. 3; Soergel/Häberle, BGB 12. Aufl. § 1586 b Rdn. 3; Rolland/Hülsmann, Familienrecht-Kommentar, § 1586 b BGB Rdn. 2; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts 8. Aufl. Rdn. 145 a; Palandt/Brudermüller BGB 63. Aufl. § 1586 b Rdn. 8). Dabei kann der Erbe sich auch auf neue oder weiter fortgeschrittene Umstände seit dem Tod des Erblassers stützen.

b) Der unterhaltspflichtige Erblasser hat auch nicht zu Lebzeiten mit Wirkung für die Klägerin als seine Erbin auf den Einwand aus § 1579 Nr. 7 BGB verzichtet.

Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich vertreten, daß ein ausdrücklicher oder konkludenter Verzicht auf die Rechtsfolgen der Verwirkung daraus hergeleitet werden kann, daß der Unterhaltsverpflichtete trotz Kenntnis dieser Umstände den Unterhalt weiterbezahlt (so grundsätzlich OLG Düsseldorf FamRZ 1997, 1159; OLG Hamm FamRZ 1997, 1485, 1486; OLG Hamm FamRZ 1994, 704, 705; MünchKomm/Maurer, BGB 4. Aufl. § 1579 Rdn. 70; Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht 4. Aufl. § 1579 BGB Rdn. 45; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts 4. Aufl. IV Rdn. 398; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 4. Aufl. § 30 VII 9 (S. 432); Heiß/Heiß, Unterhaltsrecht I 9 Rdn. 382). Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich im Anwendungsbereich und in den Auswirkungen dieses Verzichts. So ist streitig, ob er auch dort eingreift, wo die Tatbestände des § 1579 BGB nicht an ein persönliches Fehlverhalten des unterhaltsberechtigten Ehegatten anknüpfen, sondern an objektive Umstände wie bei § 1579 Nr. 1 und Nr. 7 BGB (für generelle Anwendbarkeit wohl Johannsen/Henrich/Büttner aaO; einschränkend insoweit MünchKomm/Maurer aaO; wohl auch Göppinger/Bäumel Unterhaltsrecht 7. Aufl. Rdn. 1106). Bedenken gegen die Annahme eines Verzichts können sich auch dort ergeben, wo etwa der Unterhaltsschuldner nur mit Rücksicht auf die Betreuungsbedürftigkeit eines gemeinsamen Kindes den Unterhalt ungeschmälert weitergezahlt hat, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, ihn auf den Mindestbedarf herabzusetzen (vgl. dazu Senatsurteil vom - XII ZR 257/95 - FamRZ 1997, 483, 484). Nicht einheitlich beantwortet wird schließlich auch die Frage, ob der Verzicht ein selbständiger Gegeneinwand ist, der bereits den Tatbestand der negativen Härteklausel des § 1579 BGB entfallen läßt (so etwa Johannsen/Henrich/Büttner aaO m.w.N.) oder ob er lediglich im Rahmen der Billigkeitsabwägung des § 1579 BGB zu berücksichtigen ist (so wohl die überwiegende Meinung vgl. OLG'e Düsseldorf und Hamm jeweils aaO; MünchKomm/Maurer aaO; Gernhuber/Coester-Waltjen aaO und Schwab/Borth aaO). Darauf kommt es hier indes nicht an, weil schon die Voraussetzungen eines ausdrücklichen oder konkludenten Verzichts nicht vorliegen.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils hatte der Erblasser weiterhin Unterhalt an die Beklagte gezahlt, weil er sich dadurch gemäß § 5 VAHRG bis zum Beginn des Rentenbezugs der Beklagten seine ungeschmälerte Rente erhielt und letztlich sogar günstiger stand, als es bei Wegfall der Unterhaltspflicht und Kürzung seiner eigenen Rente durch den Versorgungsausgleich der Fall gewesen wäre. Für den Erblasser stand die Zahlung des Unterhalts deswegen in Zusammenhang mit seinem ungeschmälerten Rentenbezug. Revisionsrechtlich unbedenklich hat das Berufungsgericht daraus geschlossen, daß auch der Erblasser die Unterhaltszahlungen eingestellt hätte, sobald seine eigene Rente durch den sich mit Rentenbezug der Beklagten auswirkenden Versorgungsausgleich geschmälert worden wäre. Aus der wirtschaftlich nachvollziehbaren Verhaltensweise des Erblassers konnte die Beklagte daher keinen Vertrauensschutz dafür herleiten, daß er auch künftig auf Dauer Einwendungen aus § 1579 BGB nicht erheben werde. Daß das Oberlandesgericht andere Umstände, die für eine Anerkennung des Unterhaltsanspruchs in Kenntnis des Ausschlußgrundes sprechen könnten, übersehen hat, hat die Revision nicht aufgezeigt.

c) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Unterhaltsanspruchs der Beklagten nach § 1579 Nr. 7 BGB vorliegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BGHZ 150, 209, 215 m.w.N.) kann ein länger dauerndes Verhältnis des Unterhaltsberechtigten zu einem anderen Partner dann zur Annahme eines Härtegrundes im Rahmen des Auffangtatbestandes des § 1579 Nr. 7 BGB - mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung für den Verpflichteten - führen, wenn sich die Beziehung in einem solchen Maße verfestigt hat, daß sie als eheähnliches Zusammenleben anzusehen und gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Dabei setzt die Annahme einer derartigen Lebensgemeinschaft nicht einmal zwingend voraus, daß die Partner räumlich zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt führen, auch wenn eine solche Form des Zusammenlebens in der Regel ein typisches Anzeichen hierfür sein wird ( - FamRZ 2002, 23, 25). Unter welchen Umständen - nach einer gewissen Mindestdauer, die im allgemeinen kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte - auf ein eheähnliches Zusammenleben geschlossen werden kann, läßt sich nicht allgemein verbindlich festlegen. Letztlich obliegt es der verantwortlichen Beurteilung des Tatrichters, ob er den Tatbestand des eheähnlichen Zusammenlebens aus tatsächlichen Gründen für gegeben erachtet oder nicht.

Es begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken und wird auch von der Revision nicht angegriffen, daß das Berufungsgericht im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt ist, die Beziehung der Beklagten zu ihrem Lebensgefährten habe sich jedenfalls seit August 1999 so sehr verfestigt, dass sie in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Ausprägung und Intensität einem eheähnlichen Verhältnis gleichkommt. Beide leben schon seit 1995 in einer gemeinsamen Wohnung und führen einen gemeinsamen Haushalt. Auch in der Öffentlichkeit und bei Familienfeiern treten sie als Paar auf. Gesichtspunkte, die der Annahme eines solchen eheähnlichen Verhältnisses entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

d) Das Oberlandesgericht hat der Beklagten einen Unterhaltsanspruch ab August 1999 vollständig versagt, weil sie schon nach der Scheidungsvereinbarung verpflichtet und auch in der Lage gewesen sei, für ihr wirtschaftliches Auskommen selbst zu sorgen. Ihr weiterer Lebensbedarf sei durch das Zusammenleben in ihrer neuen Lebensgemeinschaft und insbesondere das mietfreie Wohnen gedeckt. Dem stehe nicht entgegen, daß der Erblasser während der Dauer seiner Unterhaltszahlungen von fast zehn Jahren eine ungekürzte Rente erhalten habe, was die Unterhaltszahlungen mehr als ausgleiche.

Auch gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Die Beklagte war zwar fast 30 Jahre mit dem Erblasser verheiratet, im Zeitpunkt der Scheidung war sie allerdings erst 48 Jahre alt. Nach dem gerichtlichen Unterhaltsvergleich war sie seinerzeit als ausgebildete Einzelhandelskauffrau verpflichtet und in der Lage, eigene Einkünfte aus einer mehr als halbschichtigen (26 Stunden) Tätigkeit zu erzielen. Die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder waren volljährig und wirtschaftlich unabhängig. Zu Recht hat das Oberlandesgericht im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägung auch berücksichtigt, daß die Beklagte mietfrei im Haus ihres neuen Lebensgefährten wohnt. Zwar hat der Erblasser während der Unterhaltszahlungen weiterhin seine ungeschmälerte Rente erhalten, was sich zu dessen Gunsten, letztlich aber auch zu Gunsten der Beklagten ausgewirkt hat. In dem gerichtlichen Vergleich vom sind die geschiedenen Ehegatten auf der Grundlage der seinerzeit vom Senat angewandten Anrechnungsmethode von einem allein prägenden Einkommen des Erblassers in Höhe von 3.500 DM netto ausgegangen. Wäre dieses Einkommen durch den scheidungsbedingten Versorgungsausgleich geschmälert worden, hätte auch der Beklagten ein entsprechend geringerer Unterhaltsanspruch zugestanden (vgl. dazu - FamRZ 2003, 848, 849 f.).

Weil das eheähnliche Zusammenleben der Beklagten außerdem schon fast fünf Jahre andauerte, ist das Oberlandesgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Verantwortung davon ausgegangen, dass jede Inanspruchnahme der Klägerin über den Tod des Erblassers hinaus grob unbillig sei. Auch diese Gesamtwürdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Fundstelle(n):
KAAAC-06557

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja