BGH Beschluss v. - XI ZB 18/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

I.

Das Landgericht hat die Beklagten zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 85.338,32 € verurteilt und ihre Widerklage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 56.570,10 € abgewiesen. Nach fristgemäßer Einlegung der Berufung hat das Oberlandesgericht die Frist zu deren Begründung antragsgemäß bis zum (Rosenmontag) verlängert. Die Berufungsbegründung ist am bei Gericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom selben Tag haben die Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie haben sich darauf berufen, ihr Prozeßbevollmächtigter habe einen in der Nähe des Oberlandesgerichts wohnhaften Mitarbeiter der mit ihm kooperierenden und gemeinsam mit ihm in abgeschlossenen Büroräumlichkeiten ansässigen Steuerberatungskanzlei unter Hinweis auf den Fristablauf gebeten, den Berufungsbegründungsschriftsatz in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts einzuwerfen. Der Schriftsatz sei dem Boten, einem Diplom-Kaufmann und angehenden Steuerberater, am um 12.30 Uhr übergeben, von diesem aber aufgrund "unglücklicher Umstände" (Ablenkung durch einen Bekannten, den er in Höhe des Oberlandesgerichts getroffen habe) nicht eingeworfen, sondern erst am Morgen des beim Oberlandesgericht abgegeben worden.

Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten sei ihr Prozeßbevollmächtigter der erhöhten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen, die denjenigen treffe, der mit einer vorzunehmenden Prozeßhandlung bis zum letzten Tag der dafür vorgesehenen Frist gewartet habe. Zwar dürfe ein Rechtsanwalt auch in dieser Situation ihm bekannte und hinreichend unterrichtete Personen einschalten, die nicht bei ihm angestellt seien. Sie müßten sich jedoch in ähnlichen Fällen bereits als zuverlässig erwiesen haben. Dies hätten die Beklagten selbst nicht geltend gemacht. Hier komme noch hinzu, daß die Möglichkeit des Eintritts von "unglücklichen Umständen", die zur nicht ordnungsgemäßen Ausführung des Übermittlungsauftrags führen könnten, an einem Rosenmontag zumindest nicht ferngelegen habe. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Auch die Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluß ist nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zulässig (BGHZ 151, 42, 43 und 221, 223; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 191/02, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und vom - VI ZB 10/03, Umdruck S. 3). Diese sind nicht erfüllt.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich. Mit ihrem Vortrag, dem Berufungsgericht sei angeblich ein symptomatischer Rechtsfehler unterlaufen, weil es die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts überspannt habe, haben die Beklagten die Voraussetzungen einer Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht ordnungsgemäß dargetan. Der Beschwerdeführer muß insoweit nicht nur einen nach seiner Auffassung vorhandenen Rechtsfehler des Berufungsgerichts benennen, sondern darüber hinaus auch konkrete Angaben zur symptomatischen Bedeutung des Fehlers machen. Dabei ist darzulegen und zu belegen, daß es sich bereits um eine ständige Praxis des Berufungsgerichts handelt, oder darzulegen, daß und warum eine Wiederholung oder Nachahmung konkret zu besorgen ist (Senat BGHZ 152, 182, 187). An solchen konkreten Angaben fehlt es hier. Die allgemeinen Erwägungen der Rechtsbeschwerde zur Befürchtung, ein vergleichbarer Fall könne sich wiederholen und zur generellen Veröffentlichungspraxis von Beschlüssen in Wiedereinsetzungsfragen belegen eine symptomatische Bedeutung des geltend gemachten Fehlers nicht. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist vielmehr einzelfallbezogen und von den Besonderheiten des konkreten Falles bestimmt. Sie erfordert aus diesem Grund keine Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs.

2. Die Rechtsbeschwerde erweist sich auch nicht wegen Verstoßes des Berufungsgerichts gegen Verfahrensgrundrechte der Beklagten als zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

a) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sei dadurch verletzt worden, daß das Berufungsgericht auf die möglichen Besonderheiten des Fristablaufs an einem Rosenmontag abgestellt habe, obwohl dieser Gesichtspunkt zuvor im Verfahren nicht angesprochen worden sei. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Darlegung, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der angeblichen Grundrechtsverletzung beruht (vgl. Senat BGHZ 152, 182, 194; Senatsbeschluß vom - XI ZR 153/02, Umdruck S. 3). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Es handelt sich bei den angegriffenen Ausführungen lediglich um einen zusätzlichen und nicht tragenden Gesichtspunkt der Entscheidung.

b) Erfolglos bleibt auch die Rüge, das Berufungsgericht habe durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323, 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW 2001, 2161, 2162; BGHZ 151, 221, 227). Die Gerichte dürfen einer Partei daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von überspannten Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozeßbevollmächtigten versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW 1995, 249, 250 und NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227 f.; , Umdruck S. 5).

Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht verstoßen. Insbesondere hat es die an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise überspannt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht vielmehr langjähriger - durch das Bundesverfassungsgericht bestätigter (BVerfG NJW 1995, 249, 250) - Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach trifft den mit der Einlegung einer Berufung befaßten Rechtsanwalt eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wenn er - wie hier - mit der Berufungsbegründung bis zum letzten Tag der dafür vorgesehenen Frist gewartet hat. Er darf sich zwar auch in diesem Fall zur Beförderung der Berufungsbegründung eines nicht bei ihm angestellten Boten bedienen, allerdings nur, wenn dieser ihm persönlich bekannt ist, entsprechend unterrichtet wurde und sich bereits mehrfach zuvor in ähnlichen Fällen als zuverlässig erwiesen hat (BGH, Beschlüsse vom - IVa ZB 15/84, VersR 1985, 455, 456, vom - VIII ZB 24/88, VersR 1989, 166 und vom - XII ZB 81/01, FamRZ 2003, 368 f.).

An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten, da ihr Prozeßbevollmächtigter den Boten zuvor noch nicht mit einer entsprechenden Aufgabe betraut hatte. Entgegen der Auffassung der Beklagten werden die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts hiermit nicht überspannt. Daß der Rechtsanwalt nur einen externen Boten hätte einsetzen dürfen, der seine Zuverlässigkeit bereits zuvor bei ähnlichen Aufgaben unter Beweis gestellt hatte, folgt vielmehr aus der gesteigerten Sorgfaltspflicht, die den Rechtsanwalt trifft, wenn er mit der Einreichung eines fristgebundenen Schriftstücks bis zum letzten Tag der Frist wartet. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist in einem solchen Fall die durch die berufliche Stellung ausgewiesene Seriosität eines Boten nicht allein ausreichend ( aaO). Vielmehr muß der Rechtsanwalt auch Erkenntnisse darüber haben, daß der Bote gerade Aufgaben wie die ihm übertragene Botentätigkeit in der Vergangenheit stets zuverlässig erledigt hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
MAAAC-05327

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein