BGH Urteil v. - VIII ZR 44/04

Leitsatz

[1] Bei der Beantwortung der Frage, ob der Vermieter ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen ausgenutzt hat, ist auf das gesamte Gebiet der Gemeinde und nicht lediglich auf den Stadtteil abzustellen, in dem sich die Mietwohnung befindet. Das Tatbestandsmerkmal des "geringen Angebots" ist deshalb nicht erfüllt, wenn der Wohnungsmarkt für vergleichbare Wohnungen nur in dem betreffenden Stadtteil angespannt, im übrigen Stadtgebiet aber entspannt ist.

Gesetze: WiStG § 5 Abs. 2 Satz 1

Instanzenzug:

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten die teilweise Rückzahlung der seiner Auffassung nach überhöhten Miete.

Mit Vertrag vom mietete der Kläger von den Beklagten ab dem eine im 4. Obergeschoß eines Mehrfamilienhauses in Hamburg-Eppendorf, S. straße gelegene, ca. 69 m² große Dreizimmer-Dachgeschoßwohnung. Das Wohnhaus ist zwischen 1948 und 1960 erbaut worden. Vor dem Einzug des Klägers hatten die Beklagten die Wohnung durch Umbaumaßnahmen vergrößert und umfassend renoviert. Die als Staffelmiete vereinbarte Nettokaltmiete betrug zunächst 1.281,- DM, ab dem 1.306,60 DM, ab dem 1.332,70 DM und ab dem 1.359,40 DM. Das Mietverhältnis endete im Oktober 2000.

Der Kläger macht geltend, die vereinbarte und von ihm in voller Höhe gezahlte Miete sei im Sinne des § 5 WiStG überhöht gewesen, weil bei Abschluß des Mietvertrages im Hamburger Stadtgebiet bzw. in Hamburg-Eppendorf ein geringes Angebot an Dreizimmerwohnungen mit etwa 70 m² bestanden habe. Unter Berücksichtigung der Lage und Ausstattung der Wohnung und unter Zugrundelegung des Hamburger Mietspiegels sowie eines Zuschlages von 20 % ergebe sich eine höchstzulässige Miete von 11,17 DM/m². Aus der Differenz zu der vereinbarten und gezahlten Miete errechne sich für die Zeit vom bis eine Überzahlung von insgesamt 24.980,02 DM. Nachdem die Beklagten vorprozessual eine Rückzahlung abgelehnt hatten, hat der Kläger den genannten Betrag mit seiner Klage geltend gemacht.

Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Gutachtens zu der Frage, ob im September 1996 in Hamburg ein geringes Angebot an vergleichbarem Wohnraum bestanden habe, der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Zu Recht und mit zutreffender Begründung sei das Amtsgericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, daß bei Abschluß des Mietvertrages in Hamburg ein geringes Angebot an vergleichbaren Wohnungen bestanden habe. Dies sei bereits dann der Fall, wenn das örtliche Angebot die vorhandene Nachfrage nicht wenigstens spürbar übersteige. Dabei komme es auf den regionalen Teilmarkt im Stadtteil Eppendorf an. Der Umstand, daß nach dem Sachverständigengutachten im Zeitpunkt der Anmietung der Wohnungsmarkt nur in diesem Teilmarkt angespannt gewesen sei, während er in den übrigen Stadtteilen Hamburgs entspannt gewesen sei, sei nicht entscheidend. Der Stadtteil Eppendorf sei mit den anderen Bezirken nach Lage, Bebauung und Besiedlung nicht vergleichbar. Auch die Tatsache, daß der Hamburger Mietspiegel für das gesamte Stadtgebiet und nicht für einzelne Stadtteile erstellt werde, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Soweit die Berücksichtigung der Vergleichsmiete zu einer Schmälerung der Rendite der Vermieter führe, sei dies nach dem von sozialer Betrachtungsweise geprägten deutschen Mietrecht hinzunehmen. Schließlich könnten die Beklagten auch nicht mit ihren Einwänden gegen die Einordnung der Wohnung in die Baualtersklasse 1948 bis 1960 gehört werden. Der vorgenommene Umbau und die Sanierung der Wohnung reichten nicht aus, um ihr den Charakter einer Neubauwohnung zu geben. Nach alledem habe der Kläger einen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Miete.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung in den entscheidenden Punkten nicht stand.

1. Zutreffend ist zunächst der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Vereinbarung einer Miete, die die ortsübliche Miete für vergleichbare Wohnungen in einer Gemeinde bei Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen um mehr als 20 % übersteigt, insoweit unwirksam ist (§ 5 WiStG, § 134 BGB) und der Mieter deshalb bereits gezahlte Miete in diesem Umfang nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zurückverlangen kann. Die weitere Begründung des Berufungsurteils trägt die Entscheidung jedoch nicht, weil sie - wenn auch nur durch pauschale Bezugnahme - sich lediglich die knappen und unzutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils zum Tatbestandsmerkmal der "Ausnutzung" eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG) zu eigen gemacht hat. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht auch insofern, als es bei der Beantwortung der Frage, ob ein geringes Angebot in diesem Sinne vorgelegen hat, ausschließlich auf den Wohnungsmarkt im Hamburger Stadtteil Eppendorf abgestellt hat.

2. Es bestehen schon Bedenken gegen die Auffassung der Vorinstanzen, ein geringes Angebot im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG bestehe bereits dann, wenn das Angebot an Wohnraum der betreffenden Art die Nachfrage nicht wenigstens spürbar übersteige (so aber die h.M., außer der Zivilkammer 16 des LG Hamburg z.B. LG Düsseldorf, DWW 1999, 181; LG Berlin, ZMR 1998, 349; Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., § 535 Rdnr. 445; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., II 689; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 5 WiStG Rdnr. 24; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 8. Aufl., Rdnr. 72 nach § 535 BGB/§ 5 WiStG). Nach dem allgemeinen Sprachverständnis bezeichnet der Begriff "gering" im vorliegenden Zusammenhang eine relative Knappheit einer Menge oder eines Gutes. Das könnte dafür sprechen, ein geringes Angebot nur dann anzunehmen, wenn es die Nachfrage nicht erreicht, und es bereits dann zu verneinen, wenn Angebot und Nachfrage ausgeglichen sind (so wohl LG Frankfurt, WuM 1998, 167) oder das Angebot die Nachfrage, sei es auch nur geringfügig, übersteigt.

3. Die Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung; denn es fehlt jedenfalls an einer tragfähigen Begründung für die tatrichterliche Annahme, die Beklagten hätten das (unterstellte) geringe Angebot an vergleichbarem Wohnraum "ausgenutzt".

Wie der Senat in seinem nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom (VIII ZR 190/03, NJW 2004, 1740 = NZM 2004, 381 = ZMR 2004, 410 = Grundeigentum 2004, 540 unter II 2) ausgesprochen hat, darf bei dem Tatbestandsmerkmal der "Ausnutzung" nicht allein auf das Verhalten des Vermieters und die objektive Lage auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt abgestellt werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Motivlage des Mieters für den Vertragsschluß muß sich vielmehr dieses Merkmal auch auf die Person des Mieters beziehen; wer die geforderte Miete ohne weiteres oder aus besonderen persönlichen Gründen zu zahlen bereit ist, wer mithin eine objektiv bestehende Ausweichmöglichkeit nicht wahrnimmt, wird nicht "ausgenutzt". Ausnutzen bedeutet nach seinem Wortsinn das bewußte Zunutzemachen einer für den anderen Teil ungünstigen Lage (vgl. OLG Braunschweig, Rechtsentscheid vom , WuM 1999, 684 = ZMR 2000, 18 unter II 3 b; Schmidt-Futterer/Blank aaO Rdnr. 76); dazu gehört mindestens, daß der Vermieter erkennt oder in Kauf nimmt, daß der Mieter sich in einer Zwangslage befindet, weil er aus nachvollziehbaren gewichtigen Gründen nicht auf eine preiswertere Wohnung ausweichen kann.

Zu alledem hat der Tatrichter, dem das Senatsurteil vom noch nicht bekannt sein konnte, bislang keine Feststellungen getroffen und mangels entsprechenden Vortrags des Klägers offenbar auch nicht treffen können. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an, weil sich die Klage unter einem anderen Gesichtspunkt als unbegründet erweist.

4. Das Berufungsgericht ist bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals des "geringen Angebots an vergleichbaren Räumen" im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, daß auf den Wohnungsmarkt lediglich eines Stadtteils abzustellen sei.

a) In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit darin, daß auf den "Teilmarkt" abzustellen ist, zu dem die Wohnung gehört (statt vieler OLG Braunschweig aaO unter II 3 a; Blank/Börstinghaus aaO § 535 Rdnr. 445; Lammel aaO Rdnr. 26), daß die Mangelsituation demgemäß getrennt nach Wohnungsgruppen festzustellen ist. Das ergibt sich zwangsläufig schon daraus, daß es im Rahmen des § 5 WiStG auf die Vergleichbarkeit der Räume ankommt und diese sich wiederum nach den preisbildenden Faktoren Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage bestimmt. Streitig ist jedoch, worauf sich das Merkmal der "Lage" der Wohnung bezieht.

Nach überwiegender Ansicht ist maßgebend der Stadtteil (das "Wohnquartier"), in dem sich die betreffende Wohnung befindet (LG Düsseldorf, DWW 1999, 181; LG Hamburg, Zivilkammer 16, WuM 1989, 522; LG Hamburg, Zivilkammer 11, WuM 2000, 94 und NZM 2000, 180; LG Köln, NZM 1999, 404; Blank/Börstinghaus aaO; Bub/Treier aaO II 689; Schmidt-Futterer/Blank aaO Rdnr. 72). Nach der Gegenmeinung kommt es auf die Marktlage im gesamten Stadtgebiet an (LG Frankfurt, WuM 1998, 167; Lammel aaO Rdnr. 26).

b) Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung.

aa) Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom (aaO unter II 2 a) betont hat, ist bei der Auslegung des Begriffs der "Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen" in § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG zu berücksichtigen, daß die Vorschrift das Prinzip der Vertragsfreiheit (Art. 2 GG) und die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG einschränkt. Diese Einschränkung ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten daher nur insoweit gerechtfertigt, als sie auf der Sozialbindung des Eigentums beruht, wobei diese Bindung - jedenfalls in zivilrechtlicher Hinsicht - in erster Linie dem Schutz des Mieters vor Ausnutzung einer bestehenden Mangellage dient. Der sozialstaatliche Schutz des Mieters gebietet es aber nicht, besonderen persönlichen Wünschen des Mieters Rechnung zu tragen, die nicht auf gewichtigen sachlichen Gründen beruhen. Das gilt auch für die Wahl der Wohnungslage. Vergleichbarkeit der Lage bedeutet nicht Identität des Stadtteils. Sie kann ebenso in einer anderen Wohngegend gegeben sein, die nach ihrer Lage und Struktur dem Stadtteil ähnlich - also vergleichbar - ist, in welchem sich die gemietete Wohnung befindet.

bb) Gegen die Maßgeblichkeit eines bestimmten Stadtteils bei der Feststellung eines geringen Angebots an vergleichbarem Wohnraum spricht im übrigen auch der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStG. Für die Ermittlung des üblichen Entgelts (als Vergleichsmaßstab der vereinbarten Miete) stellt die Bestimmung auf die Entgelte ab, die "in der Gemeinde" für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art usw. vereinbart worden sind. Es erscheint daher wenig konsequent, wenn hiervon abweichend für die Frage, ob für eine vergleichbare Wohnung ein geringes Angebot auf dem Wohnungsmarkt bestanden hat oder besteht, ausschließlich die Situation in einem begrenzten Teil der Gemeinde ohne Rücksicht auf die Lage in anderen Stadtteilen ausschlaggebend sein soll.

cc) Überdies überzeugt das Abstellen auf einen bestimmten Stadtteil auch deshalb nicht, weil es häufig kein brauchbares Kriterium für die Qualität der Wohnungslage bildet. So kann ein Stadtteil in verschiedenen Straßen unterschiedliche Lärmbelastungen, Einkaufsmöglichkeiten oder Freizeitangebote aufweisen; nicht ohne Grund hat der Kläger auf die hohe Lärmbelastung der S. straße als wohnwertmindernden Umstand hingewiesen, die für den Stadtteil Eppendorf nicht typisch sein dürfte.

c) Nach alledem ist es entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht gerechtfertigt, ein geringes Angebot an vergleichbaren Wohnungen allein deshalb anzunehmen, weil im maßgebenden Zeitpunkt - September 1996 - der Wohnungsmarkt in Eppendorf als einzigem Stadtteil Hamburgs noch angespannt war, während er in anderen, nach objektiven Gesichtspunkten vergleichbaren Stadtteilen sich bereits entspannt hatte. Damit ist ausgeschlossen, daß sich der Kläger etwa auf ein Gebiet minderer Wohnqualität verweisen lassen müßte.

III.

Aus den dargelegten Gründen kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht mehr zu erwarten sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Wie ausgeführt, ist der von dem Kläger geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nicht begründet, so daß mit der Aufhebung des Berufungsurteils das erstinstanzliche Urteil dahin abzuändern ist, daß die Klage insgesamt abgewiesen wird.

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2005 S. 2696
NZM 2005 S. 534 Nr. 14
JAAAC-04583

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja