Leitsatz
[1] Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EGBGB sind auf Ansprüche aus vor dem geschlossenen Schuldverhältnissen auch dann anzuwenden, wenn die Ansprüche erst nach diesem Tag entstanden sind. Daher gilt für Gewährleistungsansprüche aus vor dem geschlossenen Kaufverträgen die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. auch dann, wenn die Ansprüche erst nach diesem Tag entstanden sind.
Gesetze: EGBGB Art. 229§ 6 Abs. 1 Satz 1; EGBGB Art. 229§ 6 Abs. 3
Instanzenzug: LG Bochum 5 S 145/04 vom AG Herne-Wanne 2 C 554/03 vom
Tatbestand
Der Kläger begehrt mit seiner am erhobenen Klage Minderung und Schadensersatz in Höhe von 4.000 € wegen Mängeln eines Wohnwagens, den er im August/September 2001 von der Beklagten gekauft hatte und der am an ihn ausgeliefert worden war.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Gründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Kläger könne gegenüber der Beklagten Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag nicht mehr geltend machen, weil eventuell entstandene Gewährleistungsansprüche nach § 477 BGB a.F. verjährt seien. Die Verjährung von Ansprüchen, die am bereits bestanden hätten und noch nicht verjährt seien, richte sich gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB grundsätzlich nach neuem Recht. Hiervon mache jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eine Ausnahme, wenn die alte Verjährungsfrist - wie im Falle des § 477 BGB - kürzer sei als die nach neuem Recht. Diese Überleitungsvorschrift sei entsprechend anzuwenden, wenn - wie hier - Gewährleistungsansprüche nach dem entstanden seien, der zugrunde liegende Kaufvertrag aber vor diesem Tag abgeschlossen worden sei.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass die Revision des Klägers zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat die Klage mit Recht im Hinblick auf die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung abgewiesen.
1. Die Revision stellt nicht in Frage, dass Gewährleistungsansprüche des Klägers aus dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag im Zeitpunkt der Klageerhebung verjährt waren, wenn hierfür die Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 477 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zum geltenden Fassung (im folgenden: a.F.) maßgebend ist.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Verjährung der geltend gemachten Gewährleistungsansprüche nach § 477 Abs. 1 BGB a.F. beurteilt hat. Sie meint, diese Ansprüche unterlägen nicht der kurzen Verjährung des § 477 BGB a.F., sondern verjährten nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem geltenden Fassung erst in zwei Jahren. Dies trifft nicht zu.
a) Nach der allgemeinen Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB ist auf Schuldverhältnisse, die - wie der vorliegende Kaufvertrag - vor dem entstanden sind, das Bürgerliche Gesetzbuch, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden. Zum Verjährungsrecht trifft Art. 229 § 6 EGBGB - als lex specialis - eine differenzierende, von dem Grundsatz des Art. 229 § 5 EGBGB teilweise abweichende Regelung. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB bestimmt als Ausnahme von Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB, dass auf die am bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche bereits das neue Verjährungsrecht Anwendung findet. Hiervon regeln jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3 und 4 EGBGB wiederum Rückausnahmen, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Geltung des früheren Verjährungsrechts zurückführen. Nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB kommt es für die Frage, ob die alten oder die neuen Verjährungsfristen anzuwenden sind, auf einen Fristenvergleich an, der dazu dient, das gesetzgeberische Prinzip des Vorrangs der früher vollendeten Verjährung zu verwirklichen (vgl. Gsell, NJW 2002, 1297).
b) Mit Recht hat das Berufungsgericht die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf den vorliegenden Fall angewendet und aus ihr hergeleitet, dass für die Verjährung der vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche aus dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag noch die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. Anwendung findet, weil diese kürzer ist als die neue Verjährungsfrist von zwei Jahren nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
Vergeblich hält die Revision der Anwendung des Art. 229 § 6 Abs. 3 BGB entgegen, dass die vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche nicht, wie Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB es voraussetze, am bereits bestanden hätten, sondern erst danach - mit der Auslieferung des Fahrzeugs am - entstanden seien. Zwar bezieht sich der Wortlaut des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB in der Tat nur auf Ansprüche, die am bereits bestanden. Um solche Ansprüche handelt es sich hier nicht. Etwaige Gewährleistungsansprüche des Klägers bestanden am noch nicht; sie konnten erst mit der Übergabe des Wohnwagens am entstehen. Damit ist jedoch die Anwendung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB und auch des Absatzes 3 dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen.
Die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB über die Geltung des neuen Verjährungsrechts für Ansprüche aus vor dem entstandenen Schuldverhältnissen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, nicht auf am bereits bestehende Ansprüche beschränkt, sondern erstreckt sich - erst recht - auf solche Ansprüche, die nach dem entstanden sind (Senatsurteil vom - VIII ZR 114/04, NJW 2005, 739 unter II 2 b, zur Veröffentlichung in BGHZ 162, 30 bestimmt). Die vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche werden damit nicht nur von Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, sondern auch von Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB erfasst, so dass für sie die gegenüber § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB kürzere Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. maßgebend ist.
aa) Die Anwendung der Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den Fristenvergleich auf nach dem entstandene Ansprüche aus Altverträgen folgt daraus, dass die Überleitungsvorschrift zum neuen Verjährungsrecht (Art. 229 § 6 EGBGB) eine in sich zusammenhängende Regelung darüber enthält, unter welchen Voraussetzungen auf Ansprüche aus vor dem entstandenen Schuldverhältnissen bereits die neuen Vorschriften zum Verjährungsrecht oder noch die bisherigen Verjährungsvorschriften Anwendung finden. Die Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den für die Geltung der Verjährungsfrist maßgeblichen Fristenvergleich regelt selbst nicht, für welche Ansprüche der Fristenvergleich anzustellen ist; der Anwendungsbereich des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB ergibt sich aus Abs. 1 der Vorschrift. Deshalb ist mit der Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auf nach dem entstandene Ansprüche aus Altverträgen auch der Fristenvergleich für diese Ansprüche nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eröffnet.
Dem steht nicht entgegen, dass die Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auf einer Erst-recht-Argumentation beruht, mit der sich eine Rückkehr zum alten Verjährungsrecht als Folge des Fristenvergleichs nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB nicht ohne weiteres begründen lässt (so zutreffend Gsell, aaO). Dies spricht nicht gegen die Anwendung der Bestimmung über den Fristenvergleich auf nach dem entstandene Ansprüche aus Altverträgen. Denn Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB regelt hinsichtlich der Anwendung des neuen Verjährungsrechts - ebenso wie die allgemeine Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB - nur einen Grundsatz, der durch die nachfolgenden Bestimmungen des Art. 229 § 6 EGBGB - insbesondere auch durch die über den Fristenvergleich nach Abs. 3 dieser Vorschrift - eingeschränkt wird. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist deshalb so zu lesen, dass die neuen Verjährungsvorschriften auf die am bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche - erst recht auf die danach erst entstandenen - Anwendung finden, soweit nicht in den nachfolgenden Absätzen des Art. 229 § 6 EGBGB ein anderes bestimmt ist. Aufgrund dieser Regelungssystematik der Überleitungsvorschrift ist der Fristenvergleich nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf alle Ansprüche anzuwenden, die unter Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB fallen - nicht nur auf die am schon bestehenden, sondern auch auf die danach erst entstandenen.
bb) Im Hinblick auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche, um die es im vorliegenden Rechtsstreit geht, bestehen darüber hinaus auch sachliche Gründe, die es rechtfertigen, dass sich die kürzere Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. gegenüber der längeren Frist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht nur bei den am bereits bestehenden, sondern auch bei den erst danach entstandenen Gewährleistungsansprüchen durchsetzt (ebenso MünchKommBGB/Grothe, 4. Aufl., Art. 229 § 6 Rdnr. 9; Gsell, aaO, 1303; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl., Anh. vor § 194 Rdnr. 8; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., EGBGB, Art. 229 § 6 Rdnr. 5; a.A. Mansel/Budzikiewicz, Das Neue Verjährungsrecht, § 10 Rdnr. 27).
Der in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB geregelte Vorrang der kürzeren Verjährungsfrist dient dem Schutz des Schuldners (BT-Drucks. 14/6440, S. 273). Der Gesetzgeber hat unter diesem Gesichtspunkt die grundsätzliche Geltung der neuen Verjährungsvorschriften für noch nicht verjährte Ansprüche aus Altverträgen (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB) durch Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eingeschränkt und ist damit im Interesse des Schuldnerschutzes (Erman/Schmidt-Räntsch, aaO; MünchKommBGB/Grothe, aaO) hinsichtlich der Verjährung zum Grundsatz der Geltung alten Rechts für vor dem entstandene Schuldverhältnisse (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) zurückgekehrt. Dieser Zweck des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB spricht dafür, den Fristenvergleich auf die am schon entstandenen und die danach erst entstehenden Gewährleistungsansprüche aus vor diesem Tag geschlossenen Kaufverträgen gleichermaßen anzuwenden und somit für beide Fälle die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. gelten zu lassen. Eine unterschiedliche Behandlung ist unter dem für Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB maßgeblichen Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes nicht gerechtfertigt. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geltung der längeren Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB bei nach dem entstandenen Gewährleistungsansprüchen aus Altverträgen zum Nachteil des Schuldners dieser Ansprüche zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Eingriff in das Äquivalenzverhältnis und damit in die Privatautonomie führen würde (MünchKommBGB/Grothe, aaO, Rdnr. 9; Gsell, aaO, 1303; Palandt/Heinrichs, aaO, Rdnr. 3; a.A.: Mansel/Budzikiewicz, aaO, Rdnr. 27).
Ob, wie die Revision meint, Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf Ansprüche aus vor dem geschlossenen Sukzessiv- oder Dauerlieferungsverträgen keine Anwendung finden dürfe, damit nicht auf lange Zeit noch die Verjährungsfristen nach altem Recht gelten, ist hier nicht zu entscheiden. Denn um einen solchen Vertrag handelt es sich bei dem Kaufvertrag der Parteien nicht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 44 Nr. 1
WM 2006 S. 345 Nr. 7
ZIP 2006 S. 527 Nr. 11
QAAAC-04533
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja