Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 712; ZPO § 719 Abs. 2; ZPO § 719 Abs. 2 Satz 2
Instanzenzug:
Gründe
I.
Die Beklagten sind Mieter, der Kläger Vermieter einer Doppelhaushälfte mit Gartenfläche in B. , S. weg Nr. 59. Der Kläger kündigte das Mietverhältnis am 1. September 2004 fristlos wegen Zahlungsverzugs der Beklagten mit der Miete. Durch Urteil des Amtsgerichts Köpenick vom 3. März 2005 sind die Beklagten zur Räumung des Mietobjekts und zur Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 10.131,51 € nebst Zinsen verurteilt worden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht Berlin die Beklagten unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 10.040,65 € nebst Zinsen verurteilt, die Berufung im Übrigen zurückgewiesen und den Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31. Oktober 2005 gewährt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihnen am 31. August 2005 zugestellten Berufungsurteil haben die Beklagten am 16. September 2005 Beschwerde eingelegt. Die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist auf ihren Antrag bis zum 2. Januar 2006 verlängert worden; eine Begründung liegt noch nicht vor. Die Beklagten beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts gemäß § 719 Abs. 2 ZPO einstweilen einzustellen.
II.
Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nicht begründet.
1. Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag gemäß § 719 Abs. 2 ZPO an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und wenn nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde gilt dies entsprechend (§ 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann sich der Schuldner nur dann auf die Gefahr eines nicht zu ersetzenden Nachteils berufen, wenn er bereits in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Ausnahme gilt allenfalls dann, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war, einen Antrag nach § 712 ZPO zu stellen, oder wenn sich nachträglich neue Gründe ergeben haben (zuletzt Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - VIII ZR 215/04, Grundeigentum 2004, 1523, unter II m. w. Nachw.). Hier haben die Beklagten weder in der Berufungsinstanz Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO beantragt, noch vorgetragen, dass oder warum es ihnen nicht möglich war, dies zu tun.
2. Die Beklagten machen vielmehr geltend, die Durchführung der Zwangsvollstreckung sei für die Beklagte zu 2 mit einer akuten Suizidgefahr verbunden. Ob unter Beachtung der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 2 ZPO auch dann geboten sein kann, wenn der Schuldner eine solche - von ihm wie hier von den Beklagten bereits im Berufungsrechtszug gesehene - Gefahr nicht zum Anlass für einen Schutzantrag nach § 712 ZPO genommen hat, kann dahinstehen. Denn die Beklagten haben eine ohne Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht beherrschbare Suizidgefahr für die Beklagte zu 2 entgegen § 719 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
a) Soweit es um die Verurteilung zur Zahlung geht, folgt dies schon daraus, dass die von ihnen vorgelegten Atteste von Ärzten und Psychologen allein die Räumung als möglichen Auslöser für eine krisenhafte Zuspitzung der gegebenen depressiven Symptomatik der Beklagten zu 2 ansehen. Dass schon die bloße Zahlungsvollstreckung die bestehende Konfliktsituation bis hin zu einer akuten Suizidgefahr verschärfen könnte, ergibt sich daraus nicht.
b) Soweit es um die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungstitel geht, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die zur Glaubhaftmachung der Suizidgefahr eingereichten ärztlichen und psychologischen Bescheinigungen zum überwiegenden Teil aus dem ersten Halbjahr 2005 und damit aus der Zeit vor Erlass des Berufungsurteils stammen. Nach der psychotherapeutischen Bescheinigung der Diplompsychologin Dr. M. vom 6. Juni 2005 bestand damals eine akute Suizidgefährdung durch die "rechtlich ungeklärte und offene Situation". Der Diplompsychologe D. des Bezirksamtes T. von B. schreibt in seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2005 einer "Konfliktklärung wesentlichen Anteil an einer möglichen Zustandsverbesserung" zu. Damit übereinstimmend befürworteten alle Atteste aus dem ersten Halbjahr 2005 eine Aussetzung der Zwangsvollstreckung nur bis zu weiteren gerichtlichen Entscheidungen, die zu jener Zeit durch das Berufungsgericht noch bevorstanden.
c) Eine auch nach Erlass des Berufungsurteils fortbestehende Suizidgefährdung der Beklagten zu 2 im Falle einer Zwangsräumung lässt sich allein der sozialpsychiatrischen Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. des Bezirksamtes T. vom 19. August 2005 entnehmen. Danach lag am 18. August 2005 bei der Beklagten zu 2 eine depressive Symptomatik mit latenter Suizidalität vor, für die die "bekannte Wohnungsproblematik" ursächlich war, und hatte sich trotz medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung der psychische Zustand der Beklagten zu 2 nicht verbessert. Es könne - so die Stellungnahme - davon ausgegangen werden, dass sich die depressive Symptomatik verschlechtern werde, falls es zur Räumung komme.
Selbst wenn dies eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit der Beklagten zu 2 bedeuten sollte, kann aber die Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Es ist vielmehr stets sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann (, NJW 2005, 1859, unter B III 2 b). Im Hinblick auf das entgegenstehende Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) kann dabei auch von dem Schuldner selbst jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Gesundheitsrisikos verlangt werden (, NZM 2005, 657, unter II 2 b cc; NJW 2004, 49, 50; NJW-RR 1993, 463, 464; NJW 1992, 1155).
Einem Schuldner kann dementsprechend, wenn er dazu in der Lage ist, zugemutet werden, fachliche Hilfe - auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Gefahr einer Selbsttötung auszuschließen oder zu verringern ( aaO). Die Beklagten haben lediglich glaubhaft gemacht, dass die bisherige ambulante Behandlung der Beklagten zu 2 ihren psychischen Zustand nicht stabilisiert habe. Sie machen jedoch nicht geltend, dass sich auch durch eine stationäre Behandlung der Beklagten zu 2 vor und während der Räumung der Gefahr einer Selbsttötung nicht wirksam begegnen lasse. Nach der vorgenannten sozialpsychiatrischen Stellungnahme vom 19. August 2005 rechtfertigte zwar das aktuelle Krankheitsbild zu jener Zeit eine stationäre Unterbringung nach dem Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) des Landes B. nicht, muss aber gegebenenfalls aktuell beurteilt werden, ob sie während einer eventuellen Räumungssituation erforderlich wird. Das lässt den Schluss zu, dass die Suizidgefahr jedenfalls durch eine stationäre Behandlung der Beklagten zu 2 in zeitlichem Zusammenhang mit der Räumung beherrschbar erscheint.
3. Schließlich muss eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung auch daran scheitern, dass die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten nach ihrer Begründung in dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung keine Aussicht auf Erfolg bietet (, NJW-RR 2002, 1090, unter II). Der Senat hat die von den Beklagten vorgetragenen Zulassungsgründe geprüft (§ 543 Abs. 2 ZPO) und nicht für durchgreifend erachtet.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAC-04308
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein