BGH Urteil v. - VIII ZR 133/04

Leitsatz

[1] a) Hat das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Berufung versehentlich einen Berufungsantrag übergangen, so kann das Versehen nur durch eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO korrigiert werden, die innerhalb der Zweiwochenfrist des § 321 Abs. 2 ZPO beantragt werden muß. Mit Ablauf der Frist entfällt die Rechtshängigkeit der Klage, soweit diese Gegenstand des übergangenen Berufungsantrags gewesen ist (Bestätigung von BGH LM Nr. 54 zu § 322 ZPO; BGH NJW 1991, 1683; 2002, 1115). Zugleich entfällt hinsichtlich des übergangenen Antrags die Anhängigkeit der Berufung, und das Urteil der ersten Instanz, gegen das sie sich richtete, wird wirkungslos.

b) Ein übergangener Antrag, dessen Rechtshängigkeit durch Ablauf der Frist nach § 321 Abs. 2 ZPO entfallen ist, kann in der zweiten Instanz nur dann durch Klageerweiterung wieder in den Prozeß eingeführt werden, wenn der Rechtsstreit wegen anderer Teile des Prozeßstoffs (noch) in der Berufungsinstanz anhängig ist.

Gesetze: ZPO § 321

Instanzenzug: AG Spandau 5 C 165/01 vom

Tatbestand

Der Beklagte zu 2 (fortan: der Beklagte) und dessen Ehefrau, die frühere Beklagte zu 1, waren Mieter einer Wohnung in Berlin, G. straße , die ihnen der Kläger mit Vertrag vom vermietet hatte. Die Beklagten minderten zeitweise die Miete wegen behaupteter Mängel; der Beklagte vertrat außerdem die Auffassung, der Mietzins sei wucherisch überhöht.

Wegen dieser Meinungsverschiedenheiten kam es zu zwei Zahlungsprozessen beim Amtsgericht Spandau. In dem Verfahren 5 C 647/00 nahm der Kläger die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung rückständiger Miete in Höhe von 3.608,90 DM nebst Zinsen für die Zeit bis einschließlich August 2000 in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage hinsichtlich des Beklagten mit Teilurteil vom stattgegeben und die Kostenentscheidung dem Schlußurteil vorbehalten. Nach Rücknahme der gegen die ursprüngliche Beklagte zu 1 gerichteten Klage hat das Amtsgericht dem Beklagten durch Schlußurteil vom die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die von dem Beklagten gegen beide Urteile eingelegten Berufungen wurden beim Landgericht unter den Aktenzeichen 64 S 127/01 und 64 S 141/01 geführt.

In dem zweiten Verfahren vor dem Amtsgericht Spandau mit dem Aktenzeichen 5 C 165/01 hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung weiterer Mietrückstände in Höhe von 5.105,06 DM für die Monate September 2000 bis März 2001 in Anspruch genommen. Dieser Klage hat das stattgegeben. Die von dem Beklagten auch insoweit eingelegte Berufung wurde bei dem Landgericht unter dem Az. 64 S 249/01 geführt.

In der mündlichen Verhandlung vom hat das Landgericht die drei Berufungsverfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und das Verfahren 64 S 127/01 als führend bestimmt. Nach streitiger Verhandlung und Beweisaufnahme hat es sodann mit Urteil vom "das am verkündete Teilurteil und das am verkündete Schlußurteil des Amtsgerichts Spandau - 5 C 647/00 - geändert", den Beklagten zur Zahlung von 413,58 € (808,90 DM) nebst Zinsen verurteilt, die weitergehende Klage abgewiesen und über die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz entschieden. Einen Tatbestand enthält das Urteil nicht. In den Entscheidungsgründen finden sich keine Ausführungen zu den im Verfahren 5 C 165/01 (64 S 249/01) geltend gemachten Mietzinsansprüchen.

Das Berufungsurteil ist dem Kläger am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom hat er die Berichtigung des Berufungsurteils nach § 319 ZPO und in der daraufhin anberaumten mündlichen Verhandlung vom nach entsprechendem Hinweis hilfsweise die Ergänzung des Urteils beantragt. Das Berufungsgericht hat beide Anträge mit Urteil vom mit der Begründung zurückgewiesen, bei Übergehung eines Anspruchs komme keine Berichtigung nach § 319 ZPO, sondern allein eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO in Betracht; diese scheitere indessen daran, daß die zweiwöchige Antragsfrist nach § 321 Abs. 2 ZPO nicht gewahrt sei.

Am hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts Verhandlungstermin zur Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Spandau zum Aktenzeichen 5 C 165/01 anberaumt und den Parteien aufgegeben, zu dem Urteil abschließend Stellung zu nehmen. Die Kammer hat mit Urteil vom die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom zurückgewiesen und über die Kosten des Rechtsstreits "unter Aufhebung der Kostenentscheidung" ihres vorausgegangenen Urteils vom anderweit entschieden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die ersatzlose Aufhebung des Berufungsurteils und die Feststellung, daß das wirkungslos ist.

Gründe

Über die Revision ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf umfassender Würdigung des Sach- und Streitstands (BGHZ 37, 79, 81 f.).

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Spandau vom sei unbegründet. Der Kläger habe Anspruch auf die ihm für die Monate September 2000 bis März 2001 erstinstanzlich zuerkannte Miete. Durch das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten sei erwiesen, daß die vereinbarte Miete nicht wucherisch überhöht sei.

Das Urteil der Kammer vom stehe der Entscheidung über die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom nicht entgegen. Zwar habe die Kammer versehentlich ein Schlußurteil mit abschließender Kostenentscheidung gefällt, dessen Ergänzung mangels Einhaltung der Antragsfrist des § 321 ZPO nicht mehr möglich sei. Auch eine Korrektur jener Entscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs komme nach Ablauf dieser Frist, die der Rechtssicherheit diene, nicht mehr in Betracht. Die Kammer halte aber dafür, daß in dem "verdeckten Teilurteil" vom keine Entscheidung über den Streitgegenstand des Verfahrens 5 C 165/01 getroffen worden sei, so daß insoweit keine Rechtskraft eingetreten sei. Daher sei der Rechtsstreit nicht beendet, und die alte abschließende Kostenentscheidung über einen noch nicht abgeschlossenen Rechtsstreit gehe ins Leere.

II.

Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Unbegründet ist allerdings die Rüge der Revision, dem Berufungsurteil vom stehe die Rechtskraft des vorausgegangenen Berufungsurteils vom entgegen. Denn mit diesem Urteil hat das Berufungsgericht, wie sich aus dem Tenor seiner Entscheidung zweifelsfrei ergibt, nicht über den gesamten Streitgegenstand der zuvor zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Berufungsverfahren entschieden. Gegenstand der Abänderung sind nach dem Eingangssatz der Urteilsformel allein das Teilurteil vom und das anschließende Schlußurteil vom , die das Amtsgericht in dem Verfahren 5 C 647/00 erlassen hatte. Allein auf den in jenem Verfahren eingeklagten Mietrückstand von 3.608,90 DM bezieht sich auch die Abweisung der weitergehenden Klage unter Ziffer 1 der Entscheidungsformel. Bestätigt wird dies durch die unter Ziffer 2 getroffene Kostenentscheidung, denn diese entspricht dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens hinsichtlich der Klageforderung des Verfahrens 5 C 647/00.

An diesem Ergebnis vermag die Tatsache nichts zu ändern, daß das Berufungsgericht, nachdem es zuvor durch Verbindung der drei zwischen den Parteien anhängigen Berufungsverfahren auch den in dem Verfahren 5 C 165/01 des Amtsgerichts Spandau eingeklagten Mietzinsbetrag von 5.105,06 DM für die Monate September 2000 bis März 2001 in das als führend bestimmte Berufungsverfahren 64 S 127/01 einbezogen hatte und die Parteien dementsprechend in der dem damaligen Berufungsurteil vorausgegangenen mündlichen Verhandlung auch über die Berufung gegen das dort ergangene amtsgerichtliche Urteil streitig verhandelt hatten, ein Teilurteil über die unter dem Az. 5 C 647/00 verfolgte Klage weder erlassen durfte - wegen der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - noch erlassen wollte. Denn weder das eine noch das andere wirkt sich auf den - objektiv zu bestimmenden - Umfang der materiellen Rechtskraftwirkung des ergangenen Urteils aus. Nichts anderes gilt für die Tatsache, daß mit einem Teilurteil keine, jedenfalls keine abschließende Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits hätte getroffen werden dürfen.

2. Einer Entscheidung über die Berufung gegen das in dem Verfahren 5 C 165/01 ergangene Urteil des Amtsgerichts Spandau vom steht jedoch, wie die Revision mit Recht beanstandet, entgegen, daß im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts die Rechtshängigkeit des dort eingeklagten Anspruchs bereits entfallen und das Urteil der ersten Instanz damit wirkungslos geworden war.

Der Streitgegenstand dieses Rechtsstreits war Gegenstand der zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Berufungen des Beklagten, über die die Parteien in der Berufungsverhandlung vom mündlich verhandelt haben. Den Berufungsantrag des Beklagten, auch das in dem Verfahren 5 C 165/01 ergangene Urteil vom zu ändern und die dort erhobene Klage abzuweisen, hat das Berufungsgericht in seinem Urteil vom versehentlich übergangen. Zur Behebung dieses Fehlers kam, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, allein eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO in Betracht.

Die Bestimmung setzt ihrem Wortlaut nach allerdings voraus, daß ein nach dem Tatbestand geltend gemachter Anspruch übergangen ist. Mit dieser Formulierung soll indessen ersichtlich eine Urteilsergänzung nicht für die Fälle ausgeschlossen werden, in denen das Gericht - wie hier - von der Darstellung des Tatbestands absieht, weil ein Rechtsmittel gegen sein Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Formulierung dient vielmehr allein der Abgrenzung der Urteilsergänzung nach § 321 ZPO von der Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO. Hat nämlich das Gericht den übergangenen Antrag versehentlich auch nicht in den Tatbestand seines unvollständigen Urteils aufgenommen, dann muß einer Urteilsergänzung eine Berichtigung des Tatbestands nach § 320 ZPO vorangehen (MünchKommZPO/Musielak, 2. Aufl., § 321 Rdnr. 7; vgl. auch Senatsbeschluß vom - VIII ZR 39/82, NJW 1982, 1821). Daß dies hier nicht geschehen ist, hätte einer Ergänzung des Urteils vom nicht entgegengestanden. Denn eine vorrangig zu beantragende Tatbestandsberichtigung kommt naturgemäß dort nicht in Betracht, wo das ergänzungsbedürftige Urteil - wie hier - keinen Tatbestand enthält.

Die Ergänzung des versehentlich unvollständigen Urteils des Berufungsgerichts hätte aber, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, gemäß § 321 Abs. 2 ZPO binnen zweier Wochen nach Zustellung dieses Urteils beantragt werden müssen. Daran fehlt es. Das Urteil ist dem Kläger am zugestellt worden. Ein Antrag auf Ergänzung des Urteils kann frühestens dem schriftsätzlichen Berichtigungsbegehren des Klägers vom entnommen werden, bei dessen Eingang die zweiwöchige Antragsfrist des § 321 Abs. 2 ZPO längst abgelaufen war.

Mit dem Ablauf der Antragsfrist nach § 321 Abs. 2 ZPO ist indessen, was das Berufungsgericht offenbar übersehen hat, die Rechtshängigkeit der Klage entfallen, soweit sie Gegenstand des übergangenen Antrags gewesen ist (, LM Nr. 54 zu § 322 ZPO; Urteil vom - I ZR 45/89, WM 1991, 559 = NJW 1991, 1683 unter I 2 a; Urteil vom - III ZR 62/01, WM 2002, 816 = NJW 2002, 1115 unter II 1; MünchKommZPO/Musielak, aaO Rdnr. 10; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 321 Rdnr. 8; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 321 Rdnr. 6; § 261 Rdnr. 15; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., § 321 Rdnr. 5, § 261 Rdnr. 9). Die Klage, über die das Berufungsgericht mit seinem - hier angefochtenen - Urteil vom vermeintlich entschieden hat, war folglich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr rechtshängig. Zwar kann ein in erster Instanz übergangener Antrag, dessen Rechtshängigkeit durch Ablauf der Frist nach § 321 Abs. 2 ZPO entfallen ist, in der zweiten Instanz durch Klageerweiterung wieder in den Prozeß eingeführt werden, wenn der Rechtsstreit wegen anderer Teile des Prozeßstoffs noch in der Berufungsinstanz anhängig ist ( aaO; Zöller/Vollkommer, aaO Rdnr. 8). Das war hier indessen nicht der Fall. Über die Berufungen des Beklagten gegen das Teilurteil vom und das Schlußurteil vom hat die Berufungskammer mit ihrem ersten Berufungsurteil vom vollständig und abschließend entschieden. Offengeblieben ist danach allein die Entscheidung über die weitere Berufung des Beklagten gegen das in dem Verfahren 5 C 165/01 ergangene . Die Anhängigkeit dieser Berufung ist ebenso wie die Rechtshängigkeit der in dem Verfahren 5 C 165/01 erhobenen Klage mit Ablauf der Antragsfrist des § 321 Abs. 2 ZPO entfallen. Damit war das Verfahren über die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Berufungen des Beklagten vollständig beendet. Eine Wiedereinführung des übergangenen Antrags durch Klageerweiterung in zweiter Instanz war danach nicht mehr möglich. Eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz setzt eine zulässige, noch anhängige Berufung voraus; sie kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein (Senatsurteil vom - VIII ZR 321/99, WM 2001, 45 = NJW 2001, 226 unter II 1 m.w.Nachw.; st.Rspr.).

III.

Das Berufungsurteil, das über eine nicht mehr existente Berufung entschieden hat, kann daher keinen Bestand haben. Da es außerhalb eines rechtshängigen Zivilprozesses ergangen ist, ist es auf die Revision des Beklagten ersatzlos aufzuheben. Der Senat hält es darüber hinaus für angebracht, entsprechend der Anregung der Revision deklaratorisch klarzustellen, daß das in dem Verfahren 5 C 165/01 des Amtsgerichts Spandau ergangene Urteil erster Instanz wirkungslos ist.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren sind nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Behandlung der Sache durch das Berufungsgericht nicht entstanden wären (§ 8 GKG a.F., der hier gemäß § 72 Nr. 1 GKG noch anzuwenden ist). Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
WAAAC-04035

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja