BGH Beschluss v. - VIII ZB 80/03

Leitsatz

[1] Zur Unzulässigkeit der gleichzeitigen Verwerfung einer Berufung mangels ordnungsgemäßer Begründung und Versagung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren.

Gesetze: ZPO § 522 Abs. 1

Instanzenzug: LG Stralsund vom AG Bergen auf Rügen

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung im Haus Nr. 8 in B. , die die Beklagten seit über 40 Jahren bewohnen. Das Amtsgericht Bergen auf Rügen hat die Beklagten durch Urteil vom antragsgemäß verurteilt.

Gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am (Osterdienstag) beim Landgericht Stralsund eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und gleichzeitig für die Durchführung der Berufung die Gewährung von Prozeßkostenhilfe beantragt. In der Berufungsschrift hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erklärt, daß die Berufungseinlegung bedingungslos erfolge, die Beklagten aber nicht in der Lage seien, die Kosten für die Durchführung aufzubringen. Mit weiterem Schriftsatz vom haben die Beklagten den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe begründet. Auf Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom , in dem zugleich mitgeteilt wird, daß die Durchführung der Berufung von der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht werde, hat das Berufungsgericht die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert. Mit Schriftsatz vom hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten nochmals um eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Da wiederum keine Entscheidung des Berufungsgerichts erfolgt ist, haben die Beklagten mit Schriftsatz vom eine weitere Fristverlängerung bis zum beantragt, die der Vorsitzende des Berufungsgerichts mit Verfügung vom mangels Zustimmung der Klägerin abgelehnt hat. Am hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch Beschluß als unzulässig verworfen und durch Beschluß vom gleichen Tag den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe unter Hinweis auf den Verwerfungsbeschluß zurückgewiesen.

Gegen den Verwerfungsbeschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Sie meinen, das Berufungsgericht hätte aus Gründen des rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens zunächst sachlich über den Prozeßkostenhilfeantrag entscheiden und die Entscheidung über die Verwerfung zurückstellen müssen, um den Beklagten Gelegenheit für einen Wiedereinsetzungsantrag nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu geben.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft; daß die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist, ist unschädlich (vgl. Senat, Beschluß vom - VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783 unter II 1).

Die Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Zwar war die Berufung der Beklagten nicht innerhalb der bis zum verlängerten Frist begründet worden. Das Landgericht hätte jedoch die Berufung nicht durch Beschluß vom gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO als unzulässig verwerfen dürfen, ohne zuvor über den gestellten Prozeßkostenhilfeantrag der Beklagten zu entscheiden, wie das von ihnen auch mit Schriftsatz vom beantragt worden war. Durch die gleichzeitige Verwerfung der Berufung als unzulässig und die Versagung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das Landgericht den Beklagten die Durchführung des Berufungsverfahrens in unzumutbarer Weise erschwert und dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) verletzt.

a) Das Berufungsgericht hätte den Beklagten jedenfalls Gelegenheit zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, sofern diese beabsichtigten, das Berufungsverfahren auf eigene Kosten durch Begründung der Berufung fortzuführen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt hat, solange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer fristwahrenden Handlung - so wie hier die Berufungsbegründung - verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages rechnen mußte, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozeßkostenhilfegesuch entschieden werden konnte (vgl. , NJW-RR 2001, 1146; , NJW 1999, 3271; Senat, Beschluß vom - VIII ZB 4/77, VersR 1977, 721).

b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagten haben gleichzeitig mit dem Prozeßkostenhilfeantrag vom die erforderlichen Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht, aus denen sich die Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 114 ZPO ergibt. Darüber hinaus haben die Beklagten auch jeweils fristgerecht Fristverlängerung beantragt, nachdem sich herausstellte, daß mit einer Entscheidung des Berufungsgerichts über den Prozeßkostenhilfeantrag nicht innerhalb der Begründungsfrist zu rechnen war.

Eine unbemittelte Partei, für die ein Anwalt Berufung eingelegt hat, ohne sie zu begründen, kann selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Prozeßkostenhilfegesuch einreichen mit der Folge, daß die Berufung nicht deshalb verworfen werden darf, weil innerhalb der Begründungsfrist noch keine Berufungsbegründung eingereicht wurde (BGHZ 38, 376, 377, 378; Senat, Beschluß vom aaO). Dies gilt um so mehr, wenn dem Berufungsgericht bereits über zwei Monate ein ordnungsgemäßer Prozeßkostenhilfeantrag vorliegt, der ohne Grund nicht beschieden worden ist. Der die Berufung verwerfende Beschluß kann mithin keinen Bestand haben.

3. Der Beschluß, mit dem das Berufungsgericht die Prozeßkostenhilfe versagt hat, ist gemäß §§ 127 i.V.m. 567 Abs. 1 ZPO unanfechtbar. Nachdem indessen der die Berufung verwerfende Beschluß aufgehoben werden mußte, hat das Berufungsgericht Veranlassung, seine Entscheidung über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe zu überprüfen und dabei die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgericht zu berücksichtigen. Schließlich wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Schriftsatz der Beklagten vom den Anforderungen genügt, die an eine Berufungsbegründung zu stellen sind.

Der Senat hat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht.

Fundstelle(n):
KAAAC-03900

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein