Leitsatz
[1] Im Berufungsverfahren ist regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen.
Gesetze: GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b
Instanzenzug: AG Rendsburg
Gründe
I.
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, daß der zwischen ihm und den Beklagten geschlossene Mietvertrag vom 15./ nicht durch die Kündigungen der Beklagten zum beendet ist, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht. Das am verkündete Urteil des Amtsgerichts Rendsburg, durch das der Klage stattgegeben worden ist, ist den Beklagten am zugestellt worden. Hiergegen haben die Beklagten am beim Landgericht Kiel Berufung eingelegt und diese am begründet. Mit Verfügung vom sind die Beklagten vom Landgericht vorsorglich darauf hingewiesen worden, daß die beim Landgericht Kiel eingelegte Berufung unzulässig sei, sofern der Kläger bereits bei Klageerhebung seinen Wohnsitz im Ausland gehabt habe (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG), was derzeit mangels vorliegender Akten noch nicht überprüft werden könne. Demgegenüber haben die Beklagten geltend gemacht, daß der Kläger im Zeitpunkt der Klagezustellung am seinen allgemeinen Gerichtsstand noch in Deutschland gehabt habe; ein Wille, seinen früheren Wohnsitz in Deutschland aufzugeben, sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen.
Nach entsprechendem Hinweis hat das die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt, nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sei das Landgericht für Streitigkeiten, in denen eine Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Ausland habe, nicht zuständig. Die Berufung hätte danach nur bei dem Oberlandesgericht wirksam eingelegt werden können, was nicht geschehen sei. Die Beklagten hätten die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung und damit auch die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu beweisen; dieser Beweisverpflichtung seien sie nicht nachgekommen. Da der Kläger selbst angegeben habe, in Frankreich wohnhaft zu sein, hätten die Beklagten nachweisen müssen, daß er statt dessen - oder aber zusätzlich - bei Klageerhebung einen Wohnsitz in der Bundesrepublik innegehabt habe. Die Beklagten hätten nicht einmal substantiiert darlegen können, daß der Kläger unter der angegebenen Adresse in der Gemeinde G. überhaupt jemals gelebt habe. Für einen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Klägers in G. lägen nur gewisse, jedoch nicht ausreichende Indizien vor.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Kiel, hilfsweise an das Oberlandesgericht Schleswig.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung für die Klärung der Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG, der durch Art. 1 des ZPO-Reformgesetzes vom (BGBl. I S. 1887) neu gefaßt worden ist, zulässig. Die Rechtsbeschwerde ist im übrigen nach § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auf die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO kommt es nicht an (vgl. Senatsbeschluß vom - VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783 unter II 1 b).
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet und daher zurückzuweisen.
a) Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG sind mit Wirkung vom die Oberlandesgerichte zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Person erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Durch diese Sonderzuweisung soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfs in der Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses dem Umstand Rechnung getragen werden, "daß durch die Internationalisierung des Rechts und den zunehmenden grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung besteht". Dabei wurde an den allgemeinen Gerichtsstand einer Partei im Ausland angeknüpft, weil "das Gericht in diesen Fällen regelmäßig die Bestimmungen des Internationalen Privatrechts anzuwenden hat, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zugrunde legt"; dabei gewährleiste das Gerichtsstandskriterium im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit "eine hinreichende Bestimmtheit und damit Rechtssicherheit für die Abgrenzung der Berufungszuständigkeit zwischen Landgericht und Oberlandesgericht" (BT-Drucks. 14/6036 S. 118 f.). Aufgrund dieser rein formalen Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts kommt es daher nicht darauf an, ob sich - wie auch im vorliegenden Fall - im Einzelfall keine besonderen Fragen des internationalen Privatrechts stellen (, NJW 2003, 1672 unter II 3 b; Senatsbeschluß vom - VIII ZB 30/03, NJW 2003, 3278 unter II 2 a; siehe auch Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 119 GVG Rdnr. 15; MünchKommZPO/Aktualisierungsband - Wolf, § 119 GVG Rdnr. 4).
b) Die gegen diese Regelung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken der Beklagten greifen nicht durch. Durch die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts an den allgemeinen Gerichtsstand einer Partei im Ausland im Zeitpunkt der Klageerhebung (Zöller/Gummer aaO Rdnr. 14; Heidemann NJW 2002, 494 f.) ist bereits bei Verfahrensbeginn vor dem Amtsgericht bestimmbar, wo Rechtsmittel eingelegt werden müssen, was der Rechtssicherheit und der Verfahrensvereinfachung dient (vgl. Schwartze in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 119 GVG Rdnr. 8; MünchKommZPO/Aktualisierungsband - Wolf aaO). In Anbetracht dieser klaren Zuständigkeitsregelung kommt auch entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde eine Abgabe des Verfahrens durch das angerufene Gericht an das funktionell zuständige Gericht entsprechend den für das Kartellverfahren geltenden Sonderregeln (BGHZ 71, 367 ff.) nicht in Betracht ( aaO).
c) Auch soweit die Beklagten sich mit ihrer Rechtsbeschwerde dagegen wenden, daß das Landgericht einen Wohnsitz des Klägers bei Klageerhebung in Deutschland nicht festgestellt hat, können sie damit keinen Erfolg haben.
aa) Wie die Rechtsbeschwerde im Grundsatz nicht in Abrede stellt, obliegt den Beklagten als Berufungsklägern der Nachweis für das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen, zu denen auch die funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gehört (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 96 II 1 d, V 2; MünchKommZPO-Lüke, ZPO, 2. Aufl., Vor § 253 Rdnr. 6, 14). Zu Unrecht machen die Beklagten geltend, in Anbetracht der regelmäßigen Zuständigkeit des Landgerichts für Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts, der gegenüber die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nur ausnahmsweise gegeben sei, sei von einer funktionalen Zuständigkeit des Landgerichts auszugehen, solange die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nicht positiv festgestellt seien. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil § 72 GVG selbst die Zuständigkeit des Landgerichts unter den Vorbehalt einer Zuständigkeit des Oberlandesgerichts stellt.
bb) Die Rüge der Beklagten, das Landgericht hätte zur Feststellung des von ihnen behaupteten inländischen Wohnsitzes des Klägers eine weitere Beweisaufnahme durchführen müssen, ist nicht begründet.
Durch die Bestimmung, daß für Berufung und Beschwerden gegen amtsgerichtliche Entscheidungen in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei mit allgemeinem Gerichtsstand im Zeitpunkt der Klageerhebung außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes erhoben werden, das Oberlandesgericht zuständig ist, soll bereits bei Verfahrensbeginn für die Parteien erkennbar sein, bei welchem Gericht gegebenenfalls ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Amtsgerichts einzulegen ist. Dies entspricht dem aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit abgeleiteten Gebot der Rechtsmittelklarheit, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (vgl. BVerfG, Plenumsbeschluß vom - 1 PBvU 1/02, NJW 2003, 1924, 1928 m.w.Nachw.; siehe auch BGHZ 71, 367, 371 f.). Diesem Gebot widerspräche es, wenn der in erster Instanz unbestritten gebliebene ausländische Wohnsitz einer Partei in der Rechtsmittelinstanz uneingeschränkt wieder in Frage gestellt werden könnte mit der Folge, daß bei Durchgreifen dieses Einwands das Rechtsmittel bei dem unzuständigen Gericht eingelegt und eine Berufung daher als unzulässig verworfen werden müßte, wenn - was regelmäßig der Fall sein dürfte - zu diesem Zeitpunkt die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem zuständigen Gericht verstrichen ist. Das gleiche gilt für den Fall, daß in der Rechtsmittelinstanz erstmals der ausländische Gerichtsstand einer Partei behauptet wird. Der im ersten Rechtszug unterlegenen Partei kann auch regelmäßig nicht zugemutet werden, sofern ein ausländischer Gerichtsstand einer Partei im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht ausgeschlossen werden kann, vorsorglich parallel sein Rechtsmittel sowohl beim Landgericht sowie beim Oberlandesgericht einzulegen (vgl. BVerfG aaO).
Neben dem Grundsatz der Rechtssicherheit, die eine klare Zuständigkeitsregelung auch für Rechtsmittelverfahren mit Auslandsberührung erfordert, gebietet ferner das Rechtsstaatsprinzip, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 74, 228, 234; 88, 118, 123 ff.; siehe auch Senatsbeschluß vom aaO). Diesem Gebot kann nur dadurch wirksam Rechnung getragen werden, daß im Rechtsmittelverfahren regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische bzw. ausländische Gerichtsstand einer Partei zugrunde gelegt wird und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht grundsätzlich entzogen ist (a.A. MünchKommZPO/Aktualisierungsband - Wolf, § 119 GVG, Rdnr. 7).
Für den Streitfall bedeutet dies, daß das Landgericht bei seiner Entscheidung von dem in der Klageschrift genannten und von den Beklagten im ersten Rechtszug nicht in Abrede gestellten Wohnsitz des Klägers in Frankreich auszugehen hatte, ohne daß es einer weiteren Nachprüfung bedurfte. Soweit die Beklagten sich gegen die vom Landgericht im Wege des Freibeweises zur Frage des Wohnsitzes des Klägers bei Klageerhebung getroffenen Feststellungen wenden, können sie daher damit nicht gehört werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2004 S. 1077 Nr. 20
EAAAC-03886
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein