Leitsatz
[1] Hat der Vorsitzende die Berufungsbegründungsfrist im behaupteten Einverständnis des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten verlängert, so ist diese Verfügung auch dann wirksam, wenn das vom Antragsteller infolge eines Mißverständnisses irrtümlich angenommene Einverständnis des Gegners in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.
Gesetze: ZPO § 520 Abs. 2 Satz 2
Instanzenzug: AG Düsseldorf
Gründe
I.
Das die Beklagte zur Zahlung rückständiger Miete in Höhe von insgesamt 4.445,63 € verurteilt. Gegen das ihr am zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die am , einem Montag, ablaufende Frist zur Begründung der Berufung ist auf ihren Antrag um einen Monat bis zum verlängert worden. Am hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, nachdem er mit dem Rechtsanwalt des Klägers wegen der Erteilung einer Zustimmung telefonische Rücksprache genommen hatte, eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist bis zum beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Gerichtsakten seien ihm trotz mehrfacher Bitten erst am 9. Januar zur Verfügung gestellt worden; angesichts der "geschilderten Situation" habe sich der Anwalt des Klägers mit der beantragten zweiten Verlängerung einverstanden erklärt.
Über den Inhalt des zwischen den Anwälten geführten Telefongesprächs besteht Streit. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers behauptet, er habe ausdrücklich erklärt, daß er sein Einverständnis zu der gewünschten Verlängerung nicht erteilen könne, daß er aber eine dennoch gewährte Fristverlängerung akzeptieren werde.
Nachdem die Vorsitzende der Zivilkammer mit Verfügung vom die Frist zur Begründung der Berufung im behaupteten Einverständnis mit dem gegnerischen Prozeßbevollmächtigten antragsgemäß bis zum bewilligt hatte, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom , eingegangen beim Landgericht Düsseldorf am selben Tag, ihr Rechtsmittel begründet. Gegen die Verlängerung der Begründungsfrist hat der Kläger Beschwerde eingelegt; zur Begründung hat er darauf hingewiesen, daß er entgegen den Ausführungen in der Verfügung vom sein Einverständnis mit einer nochmaligen Fristverlängerung ausdrücklich versagt habe. Daraufhin hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluß die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im übrigen zulässig (§§ 574 Abs. 2 Nr. 1, 575, 576 ZPO). Die Frage, ob die nochmalige Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung wirksam ist, wenn das nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einverständnis des Rechtsmittelgegners nicht vorliegt, hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Verlängerung der Begründungsfrist sind durch das am in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom (BGBl. I 1887) geändert worden. Wegen der praktischen Bedeutung dieser Frage bedarf es der höchstrichterlichen Klärung, ob und inwieweit auf die bisherige Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer fehlerhaften Verlängerungsverfügung nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F. zurückgegriffen werden kann.
2. Zur Begründung des Verwerfungsbeschlusses hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, die Fristverlängerung sei im behaupteten Einverständnis des gegnerischen Prozeßbevollmächtigten beantragt und gewährt worden. Dieses Einverständnis habe jedoch nicht vorgelegen; der Vertreter der Beklagten habe eingeräumt, daß er den Inhalt des mit dem gegnerischen Prozeßbevollmächtigten geführten Telefongesprächs wohl mißverstanden habe. Unter diesen Umständen hätte die bereits einmal um einen Monat verlängerte Frist nicht erneut verlängert werden können; Ausnahmen sehe das Gesetz insoweit nicht vor. Die Berufung der Beklagten sei daher nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden und deshalb als unzulässig zu verwerfen.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landgericht war bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung an die von der Vorsitzenden - wenn auch fehlerhaft - gewährte Verlängerung der Frist zur Begründung des Rechtsmittels gebunden. Die Neufassung der Bestimmung über die Berufungsbegründung durch § 520 ZPO, der an die Stelle des § 519 ZPO a.F. getreten ist, gibt keinen Anlaß zur Änderung der bisherigen Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer fehlerhaft zustande gekommenen Verlängerungsverfügung.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist bei der Prüfung der Frage, ob eine fehlerhafte Fristverlängerung wirksam ist, in erster Linie auf den allgemeinen Grundsatz der Wirksamkeit verfahrensfehlerhafter gerichtlicher Entscheidungen sowie insbesondere auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abzustellen. Danach darf die Prozeßpartei, der eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gewährt worden ist, grundsätzlich darauf vertrauen, daß die betreffende richterliche Verfügung wirksam ist. Grenzen ergeben sich allerdings aus dem Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Verlängert der Vorsitzende die Rechtsmittelbegründungsfrist aufgrund eines vor deren Ablauf gestellten Antrags (vgl. BGHZ 116, 377), ist seine Verfügung wirksam, auch wenn die Fristverlängerung nicht schriftlich, sondern lediglich telefonisch beantragt und bewilligt worden war (Beschluß vom - VII ZB 21/98, NJW-RR 1999, 286 = MDR 1999, 313 = BGHR ZPO § 519 Abs. 2 Satz 3 (a.F.), Fristverlängerung 2 m.w.Nachw.; Senatsbeschluß vom - VIII ZB 32/97, NJW 1998, 1155 = BGHR aaO, Wirksamkeit 7; Senatsbeschluß BGHZ 93, 300, 303 ff.). Selbst das völlige Fehlen eines Antrages macht die dennoch erfolgte Fristverlängerung nicht unwirksam ( IVb ZB 135/88, NJW-RR 1990, 67 = VersR 1990, 327 = BGHR aaO Wirksamkeit 4). Ebenso wenig steht die Unzuständigkeit des Richters, der die Verlängerung gewährt hat, der Wirksamkeit der Verfügung entgegen (BGHZ 37, 125).
Im Schrifttum hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes allgemeine Zustimmung gefunden (vgl. z.B. Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 520 Rdnrn. 7 und 12; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 520 Rdnrn. 13 und 15; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 520 Rdnrn. 16, 17a und 20).
b) Diese Rechtslage hat sich durch das Zivilprozeßreformgesetz nicht geändert.
Nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist vom Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Diese neue, an keine weiteren Voraussetzungen geknüpfte und grundsätzlich unbefristete Möglichkeit soll vor allem Vergleichsverhandlungen der Parteien erleichtern (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 95). Ohne Einwilligung des Gegners ist dagegen die Verlängerung nur bis zu einem Monat und nur dann zulässig, wenn nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Neu ist an der Regelung des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO lediglich die im Interesse der Verfahrensbeschleunigung erfolgte Begrenzung der Verlängerung auf einen Monat (Begründung zum ZPO-ReformG aaO); im übrigen stimmt die Vorschrift wörtlich mit § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F. überein. Ist die Berufungsbegründungsfrist mithin, wie hier, bereits einmal - ohne Zustimmung des Berufungsgegners - um einen Monat verlängert worden, so kommt eine weitere Verlängerung nur noch bei Vorliegen der Einwilligung des Gegners in Betracht.
Davon ist zu Recht auch das Berufungsgericht ausgegangen. Unzutreffend ist aber seine Auffassung, das Fehlen der erforderlichen Einwilligung des Gegners nehme der dennoch erfolgten Fristverlängerung ihre prozessuale Wirksamkeit mit der Folge, daß eine nach Ablauf der ersten, aber noch innerhalb der - fehlerhaft - bewilligten zweiten Verlängerung eingereichte Rechtsmittelbegründung verspätet sei und zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels insgesamt führe. Auch nach der Reform des Zivilprozeßrechts ist daran festzuhalten, daß eine gerichtliche Entscheidung, wie sie die prozeßleitende Verfügung der Vorsitzenden darstellt, selbst dann wirksam ist, wenn sie fehlerhaft ergangen ist, etwa weil eine zwingende Voraussetzung für ihren Erlaß nicht erfüllt ist. Verfahrensfehler haben, wie ausgeführt, in aller Regel nicht die Nichtigkeit, sondern allenfalls die Anfechtbarkeit einer richterlichen Entscheidung zur Folge. Sieht das Gesetz eine Anfechtungsmöglichkeit - aus welchen Gründen auch immer - nicht vor, dann hat die Entscheidung trotz des ihr anhaftenden Verfahrensmangels rechtlichen Bestand und bindet auch das Gericht selbst.
Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO oder der Begründung des Gesetzentwurfs (aaO) läßt sich etwas für die Annahme herleiten, dem Erfordernis der Einwilligung des Gegners solle ein solches Gewicht zukommen, daß die Wirksamkeit der bewilligten Fristverlängerung hiervon abhängen solle. Die Begründung eines Verlängerungsantrages mit dem Hinweis auf die vom Gegner erteilte Zustimmung entspricht verbreiteter anwaltlicher Praxis. Von der Richtigkeit einer solchen Erklärung eines Rechtsanwaltes, der als Organ der Rechtspflege zur Einhaltung zivilprozessualer und standesrechtlicher Vorschriften besonders verpflichtet ist (§§ 1, 43 BRAO), darf und muß das Gericht in aller Regel ausgehen. Daß jedoch Mißverständnisse, wie sie in dem hier zu entscheidenden Fall gegeben waren, vorkommen können, liegt auf der Hand.
c) Beruht mithin - wie hier - der Antrag eines Rechtsanwalts auf erneute Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO und infolgedessen auch die richterliche Bewilligung der Fristverlängerung auf einem Mißverständnis der beteiligten Anwälte hinsichtlich der Erteilung der erforderlichen Einwilligung, so ist die Verfügung dennoch wirksam und bindet alle Beteiligten einschließlich des Gerichts (ebenso Musielak/Ball aaO Rdnr. 9; Zöller/Gummer/Heßler aaO Rdnr. 20a). Mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes wäre es nicht zu vereinbaren, wenn in einem Fall wie dem vorliegenden das Gericht - von Amts wegen oder auf Veranlassung des Berufungsbeklagten - die einmal gewährte Fristverlängerung widerrufen und damit nachträglich die Unzulässigkeit des Rechtsmittels herbeiführen könnte.
III.
Nach alledem ist auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten der aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Hinsichtlich der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Senat von der Bestimmung des § 8 GKG Gebrauch gemacht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
VAAAC-03795
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja