BGH Beschluss v. - VIII ZB 115/04

Leitsatz

[1] Zu den Anforderungen, die an eine Berufungsbegründungsschrift zu stellen sind, wenn das angefochtene Urteil nach Ablauf der Fünf-Monatsfrist zugestellt worden ist.

Gesetze: ZPO § 520 Abs. 3

Instanzenzug: LG Hamburg

Gründe

I.

Die Beklagte ist durch zur Zahlung von 121.694 € verurteilt worden. Das Verkündungsprotokoll nebst der als Anlage beigefügten abgekürzten Ausfertigung ist der Beklagten am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am , hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil eingelegt und erklärt, das Urteil sei am zugestellt worden. Daraufhin hat ihr das Berufungsgericht mit Schreiben vom den Hinweis erteilt, daß die Berufung gegen das am zugestellte Urteil nicht fristgerecht begründet worden sei. Mit Schriftsatz vom hat die Beklagte erwidert, bisher sei kein schriftliches Urteil zugestellt worden, so daß eine Berufungsbegründung noch nicht habe erfolgen und auch die Frist nicht habe in Gang gesetzt werden können. Am ist der Beklagten das vollständige Urteil zugestellt worden. Am hat die Beklagte (erneut) Berufung eingelegt und mit am eingegangenen Schriftsatz eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Am ist die Berufungsbegründung innerhalb der bis zum verlängerten Frist bei Gericht eingegangen. Durch Beschluß vom hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen und ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 575 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das ist hier nicht der Fall. Ein Zulassungsgrund ist weder hinsichtlich der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist noch für die Ablehnung des Wiedereinsetzungsgesuchs der Beklagten gegeben.

1. Soweit das Berufungsgericht die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist durch die Schriftsätze der Beklagten verneint hat, vermag die Rechtsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung nicht aufzuzeigen (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Frage, welche Anforderungen an die Begründung einer Berufung zu stellen sind, ist hinreichend geklärt (Senatsbeschluß vom - VIII ZB 9/98, NJW-RR 1999, 211; IVb ZR 51/85, FamRZ 1987, 58, 59; vgl. zuletzt , zur Veröff. vorg., jew. m.w.Nachw.); dies gilt auch für Berufungsbegründungen, die sich gegen ein Urteil richten, das bis zum Ablauf der Fünf-Monatsfrist des § 517 ZPO nicht zugestellt war (, NJW-RR 2004, 361).

Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere weicht der angefochtene Beschluß nicht von der Entscheidung des XII. Zivilsenats vom (aaO) ab. Der XII. Zivilsenat hat den Schriftsatz des Rechtsmittelführers, in dem dieser Berufung eingelegt und erklärt hat, das verkündete Urteil sei ihm bislang ebenso wie ein Verkündigungsprotokoll "weder zugestellt noch sonst wie bekannt gegeben" worden, die Einlegung der Berufung sei erforderlich, um die Fünf-Monatsfrist des § 516 ZPO a.F. zu wahren, als ausreichende Berufungsbegründung angesehen; der Senat hat ausgeführt, diese Erklärung des Berufungsklägers lasse hinreichend deutlich erkennen, daß das Urteil, welchen Inhalt es auch immer haben möge, in dem Umfang angefochten werde, in dem es ihn beschwert, um es nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Ein vergleichbarer Sachverhalt wie derjenige, der dem Beschluß des XII. Zivilsenats zugrunde liegt, ist hier nicht gegeben. Der Schriftsatz vom , in dem die Beklagte erstmals Berufung eingelegt hat, enthält nicht den Hinweis auf die noch nicht erfolgte Zustellung. In dem Schriftsatz nennt die Beklagte sogar das Datum der Zustellung des Urteils, das sie mit dem Verkündungsprotokoll erhalten hatte, und ist offensichtlich davon ausgegangen, daß eine wirksame Zustellung vorlag. Als die Beklagte am erneut Berufung eingelegt hat, war ihr Prozeßbevollmächtigter bereits im Besitz des Urteils, das ihm am (vollständig) zugestellt worden war. Er hätte deshalb innerhalb der Berufungsbegründungsfrist, die gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. ZPO am zu laufen begonnen hatte und am endete, die Berufung sachlich begründen oder zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist stellen können. Auch insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem vom XII. Zivilsenat entschiedenen Fall. Dort war der Partei das Urteil erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. (jetzt § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zugestellt worden, und sie war deshalb außerstande, ihr Rechtsmittel innerhalb dieser Frist mit einer Darlegung zu begründen, die über einen Hinweis auf den Nichterhalt des Urteils und des Verkündungsprotokolls innerhalb der Fünf-Monatsfrist hinausging. In der Berufungsschrift vom wird zudem nicht einmal angesprochen, daß das Urteil verspätet zugestellt worden war. Damit scheidet eine Auslegung als gleichzeitige Berufungsbegründung, mit der der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 6 ZPO (§ 551 Nr. 7 ZPO a.F.) geltend gemacht wird, von vornherein aus.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann auch aus einem Zusammenhang der Berufungsschrift vom mit dem vorherigen Schriftsatz der Beklagten vom eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung nicht hergeleitet werden. Der Schriftsatz vom enthält lediglich die Mitteilung, das schriftliche Urteil sei bisher nicht zugestellt worden, so daß eine Berufungsbegründung "leider noch nicht erfolgen und auch die Frist nicht in Gang gesetzt werden" könne. Davon abgesehen hat sich die Beklagte in der Berufungsschrift vom nicht auf den Schriftsatz vom bezogen. Die Berufungsschriftsätze vom und vom können daher selbst bei großzügiger Auslegung nicht als Berufungsbegründung verstanden werden, weil sie nicht einmal ansatzweise zu erkennen geben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (vgl. aaO).

2. Auch soweit das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen hat, fehlt es an einem Zulassungsgrund im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO. Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, der Umstand, daß für die Berechnung der Frist zur Berufungsbegründung auf den Tag der Zustellung des vollständigen Urteils, den , statt nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf den Ablauf der Fünf-Monatsfrist abgestellt worden sei, könne nicht damit entschuldigt werden (vgl. §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO), daß das anwaltliche Versehen durch die Nichteinhaltung der Fünf-Monatsfrist seitens des erstinstanzlichen Gerichts veranlaßt worden sei. Bei einer solchen Prozeßlage ergeben sich nach früherem wie nach jetzigem Verfahrensrecht (§ 517 ZPO, § 516 ZPO a.F.) bereits Besonderheiten für die Berechnung der Berufungsfrist, die dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bekannt sein mußten. Auch eine Beachtung der am in Kraft getretenen neuen Vorschrift des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Frist zur Berufungsbegründung anders als nach der Vorgängerbestimmung des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. nicht von dem Datum der Berufungseinlegung abhängig war und spätestens mit dem Ende der Fünf-Monatsfrist seit Verkündung des Urteils zu laufen begann, konnte von ihm erwartet werden.

Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Berufungsgericht hätte zur Wahrung eines Anspruchs der Beklagten auf ein faires Verfahren ihren Prozeßbevollmächtigten auf seinen "erkennbaren Fristberechnungsirrtum" hinweisen müssen, ist nicht berechtigt. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde deutete die Erklärung der Beklagten in dem Schriftsatz vom , das Urteil sei am zugestellt worden und die Berufungsbegründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten - anders als in dem dem Senatsbeschluß vom (VIII ZB 50/97, NJW 1998, 2291) zugrundeliegenden Sachverhalt - nicht auf eine offensichtliche Fehlvorstellung hin. Für das Berufungsgericht war nicht erkennbar, daß die Beklagte etwa davon ausgegangen wäre, die Frist zur Begründung der Berufung werde durch diese Zustellung in Lauf gesetzt. Vielmehr war die Äußerung der Beklagten als Mitteilung zu verstehen, daß das Urteil, über dessen Zustellung es zuvor einen Schriftwechsel des Gerichts mit der Beklagten gegeben hatte, nunmehr (endlich) zugestellt war. Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe seine Hinweispflicht und seine richterliche Fürsorgepflicht verletzt, greift daher nicht durch. Der Umstand schließlich, daß die frühere Vorsitzende des Berufungsgerichts dem nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag der Beklagten stattgegeben und die Frist - ohne Rechtswirkung (BGHZ 116, 377) - verlängert hatte, hat sich auf das Fristversäumnis nicht ausgewirkt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 2860 Nr. 39
NAAAC-03711

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja