BGH Urteil v. - VII ZR 240/03

Leitsatz

[1] Zum arglistigen Verschweigen einer Setzungsgefahr nach sachverständiger Beratung über deren Unerheblichkeit.

Gesetze: BGB a.F. § 638

Instanzenzug: OLG Frankfurt am Main vom LG Frankfurt am Main

Tatbestand

Die Kläger erwarben 1992 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (künftig: Beklagte) einen noch nicht vollständig fertig gestellten Supermarkt. Sie verlangen wegen erheblicher Rißbildung im Gebäude Zahlung von 400.000 DM.

Der Vertrag enthielt eine Regelung, nach der u.a. eine Haftung der Beklagten für Sachmängel ausgeschlossen ist, diese sich jedoch verpflichtete, im Übernahmeprotokoll festgestellte Mängel zu beseitigen. Außerdem trat die Beklagte alle ihr gegen die mit der Errichtung des Bauwerks befaßten Personen und Unternehmen zustehenden Ansprüche auf Nachbesserung und Mängelbeseitigung an die Kläger ab.

Vor der Durchführung des Bauvorhabens wurde im Jahre 1991 von der Beklagten ein Bodengutachter eingeschaltet. Seine Stellungnahme vom enthielt vier Gründungsvarianten. Die vierte Gründungsvariante sah einen Bodenaustausch vor. Der Gutachter wies für diese Variante auf die Gefahr von Setzungen hin. Das Risiko müsse dem Bauherrn mitgeteilt und die Bereitschaft zu dessen Übernahme von ihm anerkannt werden. In einem Aktenvermerk des Gutachters zu einer Besprechung vom , an der u.a. der Gutachter, Vertreter des Generalunternehmers und ein mit der Oberbauleitung beauftragter Architekt teilgenommen haben, ist festgehalten, daß vom Planer die vierte Gründungsvariante als technisch machbar und wirtschaftlich günstig angesehen werde. Es seien technische Einzelheiten dazu festgelegt worden. Der Vermerk endet mit der Bemerkung:

"Bezüglich des Setzungsverhaltens des Baukörpers kann bei einer Bodenpressung von 70 bis 80 kN/qm davon ausgegangen werden, daß dieses als unerheblich anzusehen ist. Grundsätzlich kann bei jeder der aufgeführten Gründungsarten eine Setzung des Gebäudes eintreten. Die bei der gewählten Gründungsart möglichen Setzungen wurden aber aufgrund der geringen Bodenpressungen im Fundamentbereich auf ein Minimum reduziert."

Nach Übergabe des Grundstücks traten erhebliche Risse auf, die auf Setzungserscheinungen zurückzuführen sind. Der im selbständigen Beweisverfahren beauftragte Gutachter schätzt die Kosten zur Beseitigung der Schäden vorläufig auf 398.071 DM. Unter Berücksichtigung eines weiteren Betrages als Teil der Kosten für eine Baugrundverbesserung machen die Kläger insgesamt 400.000 DM in erster Linie als Schadensersatz, hilfsweise als Vorschuß geltend.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 400.000 DM Schadensersatz verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat nicht über den Schadensersatzanspruch entschieden, weil es der Auffassung war, dieser Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht. Vielmehr hat das Berufungsgericht auf den vermeintlich anstelle des Schadensersatzanspruches geltend gemachten Vorschußanspruch in Höhe von 400.000 DM erkannt. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Mit ihrer Anschlußrevision wollen die Kläger ihren Hauptantrag auf Schadensersatzleistung durchsetzen.

Gründe

Die Rechtsmittel beider Parteien sind begründet. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die bis zum geltenden Gesetze Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht stellt im Tatbestand seines Urteils vom fest, die Kläger hätten den Anspruch auf Schadensersatz fallen gelassen und verfolgten nunmehr den Anspruch auf Kostenvorschuß. Dieser Teil des Tatbestandes ist durch Beschluß vom dahin berichtigt worden, daß die Kläger den Betrag von 400.000 DM als Schadensersatz, hilfsweise als Vorschuß begehren.

Der Anspruch, so führt das Berufungsgericht weiter aus, ergebe sich aus § 633 BGB analog. Die Schäden, deren Ersatz die Kläger verlangten, beruhten auf unzureichender Gründung des Gebäudes und den hierdurch verursachten Setzungs- und Bewegungserscheinungen im Bereich des Baugrundes.

Es bestehe noch ein weiterer Mangel, der darin liege, daß nach der gewählten Art der Gründung wegen des problematischen Baugrundes das Risiko von Setzungen und hierdurch entstehende Schäden an der Bausubstanz nicht auszuschließen seien. Darauf habe das Gutachten des Bodengutachters hingewiesen. Diesen Mangel habe die Beklagte arglistig verschwiegen. Der Mangel sei offenbarungspflichtig, weil die Setzungsgefahr für die Erwerber von wesentlicher, den Erwerbsentschluß beeinflussender Bedeutung sei.

Nach der Beweisaufnahme stehe fest, daß die Beklagte Kenntnis von der Gründungsproblematik gehabt habe. Aus den Aussagen der Zeugen ergebe sich, daß der mit der Planung der Bauausführung beauftragte B. Kenntnis von dem geologischen Gutachten gehabt habe. Dessen Wissen müsse sich die Beklagte zurechnen lassen (§ 166 BGB).

Der Gewährleistungsanspruch wegen arglistigen Verschweigens sei nicht wirksam durch die vertraglichen Vereinbarungen ausgeschlossen worden.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

A. Anschlußrevision der Kläger

Die Anschlußrevision ist begründet.

Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Vorschusses kann nicht bestehen bleiben, weil das Berufungsgericht insoweit verfahrensfehlerhaft über einen Hilfsantrag entschieden hat, ohne den Hauptantrag zu bescheiden. Eine Klage auf Schadensersatz in Höhe der Mängelbeseitigungskosten begründet einen anderen Streitgegenstand als eine Klage auf Vorschuß in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten (, BauR 1998, 369; Beschluß vom - VII ZR 95/04, BauR 2005, 386). Die Ansprüche können prozessual als Haupt- und Hilfsantrag geltend gemacht werden. In diesem Fall ist zunächst über den Hauptantrag zu entscheiden.

Die Kläger haben mit ihrem Hauptantrag einen Schadensersatzanspruch verfolgt. Diesen Anspruch hat das Berufungsgericht nicht beschieden.

B. Revision der Beklagten

Die Revision der Beklagten ist ebenfalls begründet.

Sie rügt zu Recht, das Berufungsgericht stelle bei der Beurteilung der Arglist allein darauf ab, daß der Beklagten die Gefahr von Setzungen aus der Stellungnahme des Bodengutachters vom bekannt gewesen sei.

Das Berufungsgericht bezieht verfahrensfehlerhaft den Aktenvermerk nicht in seine Überlegungen ein, der vom Gutachter zu einer Besprechung am von Baufachleuten unter Einbeziehung des Gutachters angefertigt wurde. Danach hatte die Besprechung das Ergebnis, daß sich die vierte Gründungsvariante technisch realisieren läßt, das Setzungsverhalten bei einer niedrigen Bodenpressung als unerheblich anzusehen ist und die bei der gewählten Gründungsart und entsprechenden konstruktiven Ausbildung möglichen Setzungen auf ein Minimum reduziert werden.

Das Berufungsgericht durfte diesen Umstand nicht unberücksichtigt lassen. Er ist geeignet, das arglistige Verschweigen einer Setzungsgefahr bei Abschluß des Vertrages über den Erwerb des Supermarktes in Frage zu stellen. Konnte die Beklagte, was nahe liegt, auf der Grundlage des ihr bekannten Ergebnisses der Besprechung der am Bau beteiligten Fachleute davon ausgehen, daß die Gründungsproblematik für die gewählte Gründungsvariante technisch ohne Gefahr von erheblichen Setzungen gelöst war, so bestand für sie bei Vertragsschluß keine Pflicht zur Aufklärung mehr.

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin.

1. Ausweislich der Begründung des Beschlusses, in dem der Tatbestand berichtigt worden ist, hat das Berufungsgericht Bedenken, ob die Höhe des Schadensersatzanspruchs schlüssig dargetan ist. Es ist zu vermuten, daß sich die Bedenken daraus ableiten, daß nach dem Gutachten eine Schätzung stattfindet. Das allein wäre kein Grund, die Schadensersatzforderung als unschlüssig anzusehen. Denn der Tatrichter ist gehalten, einen durch Gutachten noch nicht abschließend geklärten Mindestschaden nach § 287 ZPO zu schätzen und auszuurteilen, wenn das Gutachten eine ausreichende Schätzungsgrundlage bietet (vgl. , BauR 2003, 1211, 1213 = NZBau 2003, 375 = ZfBR 2003, 462). Insoweit dürfte das Gutachten genügende Anhaltspunkte bieten.

2. Das Berufungsgericht wird erneut unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts würdigen müssen, inwieweit die Beklagte aufgrund des ihr zuzurechnenden Wissens die Kläger über Setzungsrisiken aufklären mußte. In diesem Zusammenhang wird es sich auch damit beschäftigen müssen, aus welchem Grund sich die Beklagte das Wissen von B. zurechnen lassen muß. Allein der Umstand, daß B. mit der Planung der Bauausführung beauftragt war, belegt nicht ausreichend, daß die Beklagte sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sein Wissen zurechnen lassen muß (vgl. , BGHZ, 132, 30, 35 ff.; Urteil vom - V ZR 437/01, NJW-RR 2003, 989, 990).

Fundstelle(n):
NJW-RR 2005 S. 1473 Nr. 21
OAAAC-03407

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein