BGH Beschluss v. - VI ZR 286/01

Leitsatz

[1] Wenn dem Rechtsanwalt anläßlich eines bevorstehenden Auftrags zur Revisionseinlegung die Sache vorgelegt wird, muß er selbständig und eigenverantwortlich überprüfen, ob das Ende der Frist zur Revisionseinlegung richtig ermittelt und eingetragen worden ist.

Gesetze: ZPO § 234 A

Instanzenzug: OLG Karlsruhe LG Baden-Baden

Gründe

I.

Die verstorbene Klägerin hatte Schadensersatz aus der Anwendung von Medikamenten begehrt, welche die Beklagte hergestellt hatte.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom hat das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin ist im Laufe des Mai 2001 verstorben. Das Berufungsurteil ist ihren zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am zugestellt worden. Mit Schreiben vom erteilten diese Auftrag, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Revision einzulegen. Der Auftrag ging am zusammen mit der (zweiten) Ausfertigung des Berufungsurteils, das einen Eingangsstempel vom aufwies, bei der Revisionsanwältin ein.

Die Revisionsschrift vom (Montag) ging am selben Tag beim Bundesgerichtshof ein. Die Senatsvorsitzende verlängerte antragsgemäß die Frist zur Revisionsbegründung bis . Nach Eingang der instanzgerichtlichen Akten wurden diese der Revisionsanwältin vom 8. Oktober bis und (nach zwischenzeitlicher Rückgabe an das Landgericht) erneut vom 16. November bis ausgehändigt.

Nach Eingang der Revisionsbegründung am wies die Vorsitzende mit Verfügung vom , der Revisionsanwältin zugegangen am , darauf hin, daß die Zustellung des Berufungsurteils laut Empfangsbekenntnis am erfolgt war.

Mit Schriftsatz vom begehren die Erben der Klägerin unter Bezugnahme auf die Revisionsschrift vom und die Revisionsbegründung vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist und fürsorglich gegen die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 234 Abs. 1 ZPO. Die Revisionsanwältin habe aufgrund der eingereichten Unterlagen keinen Anlaß zu Zweifeln an der richtigen Berechnung der Revisionsfrist gehabt. Im Büro der Berufungsanwälte sei die Fachangestellte S. M. mit der Überwachung der Frist beauftragt gewesen. Diese habe weder während ihrer Ausbildung in diesem Büro noch nach ihrer am erfolgten Übernahme als Fachangestellte Anlaß zu Beanstandungen gegeben. Sie habe jedoch aus nicht mehr aufklärbaren Gründen bei Zugang der zweiten Ausfertigung irrtümlich angenommen, daß es sich dabei um die erstmalige Zustellung des Berufungsurteils handle und die früher erfolgte Zustellung übersehen. Sie sei daher bei ihrem Auftrag, das Berufungsurteil rechtzeitig der Revisionsanwältin zu übermitteln, irrtümlich davon ausgegangen, daß das Schreiben vom noch fristwahrend sei. Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte habe sich an der fehlerhaft eingetragenen Frist im Terminkalender orientiert.

Die Beklagte begehrt, den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Revision zurückzuweisen. Sie meint, die Erben der Klägerin müßten sich ein Verschulden des Berufungsanwalts zurechnen lassen. Auch sei die Wiedereinsetzung verspätet beantragt worden. Der Berufungsanwalt der Klägerin habe bereits bei Fertigung des Auftragsschreibens am Veranlassung zur Prüfung gehabt, ob die Revisionsfrist richtig mitgeteilt werde.

II.

Die Revision ist unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 554 a Abs. 2 ZPO a.F.; vgl. § 26 Nr. 7 EGZPO, zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom - BGBl. I S. 1887). Sie ist erst am und damit nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Zustellung des Berufungsurteils (§ 552 ZPO a.F.) am eingelegt worden.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist schuldhaft verspätet eingereicht worden. Die Klägerin muß sich das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten im Berufungsrechtszug anrechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Die Wiedereinsetzung muß gemäß § 234 Abs. 1 ZPO innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; diese Frist beginnt mit Ablauf des Tages, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist schon dann der Fall, wenn das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Das Hindernis bestand hier in der irrtümlichen Annahme der an der Rechtsmitteleinlegung beteiligten Anwälte, die Revisionsfrist laufe erst am ab. Die Frist begann deshalb spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis und damit den Irrtum hätte erkennen können; dies ist wiederum davon abhängig, wann der Anwalt Anlaß hatte zu prüfen, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten war (st.Rspr.; vgl. - NJW 1998, 1498).

Der Berufungsanwalt der Klägerin hatte selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob das Fristende für die Einlegung der Revision richtig ermittelt und eingetragen worden war, als ihm anläßlich des bevorstehenden Fristablaufs die Sache - gleichgültig, ob mit oder ohne die Handakten - zur Unterzeichnung des Auftragsschreibens vom vorgelegt wurde (vgl. - VersR 1995, 238). Dabei kann hier offenbleiben, ob die Behebung des Hindernisses schon vor oder erst nach Ablauf der zu wahrenden Rechtsmittelfrist die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag in Lauf setzte (vgl. - aaO); das Wiedereinsetzungsgesuch vom ist selbst dann verspätet, wenn die Frist des § 234 ZPO erst mit dem begonnen hat. Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat die ihm obliegende Sorgfalt nicht gewahrt. Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung vom hat er sich darauf verlassen, daß seine Mitarbeiterin die Übersendung des Berufungsurteils termingerecht veranlassen werde, anstatt die Fristberechnung bei dieser Gelegenheit zu überprüfen. Dazu aber wäre er bei Vornahme der fristgebundenen Erteilung des Auftrags zur Revisionseinlegung verpflichtet gewesen (vgl. Senatsbeschluß vom - VI ZB 2/92 - NJW 1992, 1632; - NJW 1995, 3339, 3340; - VersR 1992, 1153).

Diese Unterlassung gereicht ihm zum Verschulden, das für den Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag ursächlich war. Bei ordnungsgemäßer Führung der Handakte war in dieser vor Unterzeichnung und Rückgabe des Empfangsbekenntnisses zu vermerken, wann das Berufungsurteil (erstmals) zugestellt worden war und wann die Rechtsmittelfrist ablief (vgl. Senatsbeschluß vom - VI ZB 1 + 2/96 - VersR 1996, 1390). Bei gehöriger Überprüfung der Rechtsmittelfrist hätte der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte daher spätestens bei Unterzeichnung des Auftragsschreibens vom festgestellt, daß die Angaben im Auftragsschreiben fehlerhaft waren, die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen und innerhalb der nächsten zwei Wochen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen war.

Hiernach kommt es nicht mehr darauf an, daß der Wiedereinsetzungsantrag ohne nähere Angaben zur Büroorganisation hinsichtlich der Sicherung der Fristenkontrolle nicht den Anforderungen genügte und ein Organisationsverschulden des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten bei der Versäumung der Revisionsfrist nicht ausgeschlossen war (vgl. - VersR 1996, 256).

Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 238 Abs. 4 ZPO zu verwerfen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 803 Nr. 16
DAAAC-02884

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein