BGH Beschluss v. - VI ZB 19/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 574 Abs. 2; ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2; ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls auf Ersatz weiteren materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Am hat die Klägerin Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Büroleiterin H. ihres Prozeßbevollmächtigten habe auf der Urteilsausfertigung zutreffend den als letzten Tag der Berufungsfrist notiert, im zentralen Fristenkalender den Fristablauf jedoch versehentlich auf dem Kalenderblatt des Folgetages eingetragen. Darüber hinaus habe sie eine Vorfrist für den vermerkt. An diesem Tag habe Rechtsanwalt Dr. W. nach Vorlage der Akten festgestellt, daß die Berufungsfrist auf der Urteilsausfertigung korrekt berechnet worden sei. Weil noch keine Weisung zur Berufungseinlegung vorgelegen habe, habe er die Wiedervorlage der Handakten zum Ablauf der Berufungsfrist veranlaßt. Bei Wiedervorlage der Akten am sei der fehlerhafte Eintrag im Fristenkalender bemerkt worden. Die Büroleiterin H. sei eine sorgfältig ausgewählte und bewährte Mitarbeiterin mit langjähriger Erfahrung, die mit den ihr übertragenen Aufgaben hinreichend vertraut sei. Die Kanzlei habe ein zertifiziertes Qualitätsmanagement aufgebaut. Bei den regelmäßig stattfindenden Audits und Stichproben habe sich bisher nie ein Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Rechtsanwaltsfachangestellte H. nicht ausreichend mit dem Erkennen und Notieren von Fristen vertraut sei.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, die sie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen grundsätzlicher Bedeutung für zulässig erachtet (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 und 1 ZPO).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

1. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. mit der Begründung zurückgewiesen, die Versäumung der Berufungsfrist beruhe auf einem der Klägerin zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten, denn es sei nicht dargelegt, ob in der Kanzlei die Führung des zentralen Fristenkalenders gesichert sei und regelmäßig überwacht werde. Diese Erwägung des Berufungsgerichts führt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde.

a) Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dieser Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nur erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, daß die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder von der Entscheidung eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht. Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz der Vergleichsentscheidung abweicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 26/02 - r + s 2003, 86 und vom - VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437, jeweils m.w.N.).

Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Zwar kann die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch auf materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Fehler gestützt werden. Voraussetzung dafür ist aber, daß der betreffende Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt (BT-Drucks. 14/4722 S. 104, 116). So ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn vermieden werden soll, daß schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im ganzen hat ( - NJW 2002, 2473, 2474). Diese Voraussetzungen sind beispielsweise dann gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage in ständiger Praxis eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt, der Rechtsfehler also "symptomatische" Bedeutung hat (vgl. - aaO), nicht aber schon dann, wenn in einem Einzelfall möglicherweise eine Fehlentscheidung getroffen worden ist, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (BGHSt 24, 15, 22). Anders verhält es sich nur dann, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu besorgen ist, daß dem Rechtsfehler ohne eine Korrektur durch das Rechtsbeschwerdegericht ein Nachahmungseffekt zukommen könnte, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung insgesamt zu erschüttern, und deswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung erfordert (vgl. - aaO m.w.N.). Dafür ist hier entgegen der Meinung der Klägerin nichts ersichtlich.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur mangelnden Darlegung der erforderlichen Überwachung des Büropersonals lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Aus Rechtsgründen ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht trotz des Hinweises der Klägerin auf die zertifizierte Büroorganisation näheren Vortrag dazu vermißt hat, auf welche Weise und mit welchem Ergebnis die gebotenen regelmäßigen Kontrollen vorgenommen worden sind.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt dieser Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. Senatsbeschluß vom - VI ZB 40/02 aaO m.w.N.). Welche Anforderungen an die Darlegung zu stellen sind, wenn ein Wiedereinsetzungsantrag auf ein der Partei nicht zuzurechnendes Verschulden des Büropersonals ihres Anwalts gestützt wird, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinlänglich geklärt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 158/99 -VersR 2000, 1563; vom - VIII ZB 11/00 - BGH-Report 2001, 141 und vom - VIII ZB 35/00 - NJW-RR 2001, 782; v. Pentz, NJW 2003, 858, 860 f. m.w.N.) und bedarf im Streitfall keiner weiteren Vertiefung. Dasselbe gilt für die Frage, unter welchen Voraussetzungen im Wiedereinsetzungsverfahren eine Ergänzung des Vortrags in Betracht kommt (vgl. - NJW 2002, 2180, 2181; v. Pentz, aaO m.w.N.).

2. Soweit das Berufungsgericht die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs des weiteren auch darauf gestützt hat, Rechtsanwalt Dr. W. habe keine ausreichende Vorsorge für eine Wiedervorlage der Handakte am letzten Tag der Berufungsfrist getroffen, ist die Rechtsbeschwerde schon deshalb nicht zulässig, weil insoweit eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage nicht gegeben ist (vgl. BGHZ 151, 221; vgl. auch - NJW 2003, 831). Da nämlich die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags jedenfalls durch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Überwachung der Büroorganisation getragen wird, ist nicht darüber zu befinden, ob auch der zusätzlichen Erwägung des Berufungsgerichts zu folgen wäre.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
KAAAC-02497

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein