BGH Beschluss v. - KVR 13/05

Leitsatz

[1] Solange nicht davon ausgegangen werden kann, dass für die Gasnetze ein nicht nur rechtlich abgesichertes, sondern auch praktisch handhabbares Durchleitungssystem besteht, das anderen Weiterverteilern die Möglichkeit einräumt, Nachfrager zu Wettbewerbsbedingungen zu beliefern, verfügen Gasversorgungsunternehmen in ihren herkömmlichen Versorgungsgebieten auch weiterhin über ein natürliches Monopol.

Ein Gebietsversorger darf einer Gemeinde, die nach Ablauf des Konzessionsvertrags das betreffende Netz aufgrund der vertraglichen Endschaftsbestimmungen übernommen hat, die Belieferung mit Gas nicht verweigern, wenn andere Anbieter für eine Versorgung des Gemeindegebiets auf eine Durchleitung durch das Netz des Gebietsversorgers angewiesen sind.

Gesetze: GWB § 19 Abs. 2 Satz 1; GWB § 19 Abs. 1; GWB § 19 Abs. 4 Nr. 1

Instanzenzug: OLG München Kart 1/02 vom

Gründe

I.

Die weitere Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Stadtwerke Dachau) erhielt Anfang Dezember 2002 die Genehmigung zur Aufnahme der leitungsgebundenen Versorgung anderer mit Gas im Stadtgebiet von Dachau und im benachbarten Gröbenried. Der Betroffenen (im Folgenden: SWM-V), die bereits in der Vergangenheit die Endverbraucher im Stadtgebiet Dachau mit Gas versorgt hatte, war ebenfalls eine Genehmigung zur Aufnahme der allgemeinen Versorgung mit Gas für die Stadt München und mehrere Umlandgemeinden, darunter die Stadt Dachau, erteilt worden. Ebenfalls im Dezember 2002 übertrug die Muttergesellschaft der SWM-V, die Stadtwerke München GmbH (im Folgenden: Stadtwerke München), den Stadtwerken Dachau das Gasnetz in Dachau, wozu sie sich nach den Endschaftsbestimmungen des Ende 2002 ausgelaufenen Konzessionsvertrags verpflichtet hatte. Dagegen ließen die Stadtwerke München die Stadtwerke Dachau nicht in die laufenden Lieferverträge mit Letztverbrauchern eintreten. Das Netz, das die Stadtwerke Dachau von den Stadtwerken München übernommen haben, ist allein an das vorgelagerte Netz der SWM-V angeschlossen. Deren Netz ist mit dem Netz der Bayerngas GmbH verbunden, das wiederum an die Netze der Ruhrgas AG und des österreichischen Ferngasunternehmens OVM angeschlossen ist. Zunächst war zwischen den Stadtwerken Dachau und den Stadtwerken München eine gesellschaftsrechtliche Kooperation zur gemeinsamen Versorgung des Stadtgebiets Dachau ins Auge gefasst worden. Als sich die Stadt Dachau gegen eine solche Kooperation entschied, teilten ihr die Stadtwerke München mit, dass SWM-V den Stadtwerken Dachau wegen des damit entstehenden Wettbewerbs zwischen den beiden Versorgungsunternehmen kein Gas liefern werde.

Mit Bescheid vom hat das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie (im Folgenden: Landeskartellbehörde) der SWM-V für die Zeit vom 2. Januar bis zum untersagt, die Belieferung der Stadtwerke Dachau mit Gas zu verweigern. Die Verfügung hat folgenden Wortlaut:

1. Der SWM-V wird untersagt, den Stadtwerken Dachau eine Belieferung mit Erdgas zu verweigern, das diese zur Versorgung von Letztverbrauchern benötigen, mit denen Gaslieferungsverträge nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden zustande kommen oder die sich für eine Versorgung durch die Stadtwerke Dachau entscheiden. Die Konditionen für die Belieferung dürfen nicht ungünstiger sein als die, die für die Versorgung der jeweiligen Letztverbraucher durch die SWM-V zum gleichen Zeitpunkt angewandt würden; die in Dachau anfallenden Durchleitungsentgelte sind in Abzug zu bringen.

2. Diese Untersagung gilt vom bis zum oder bis zum Abschluss eines Gaslieferungsvertrages der Stadtwerke Dachau mit einem Dritten, falls dieser einen Beginn der Gaslieferung vor dem vorsieht.

3. ...

Die Verfügung war darauf gestützt, dass SWM-V ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt der Versorgung von Letztverbrauchern durch die Verweigerung der Belieferung missbrauche, indem sie einen zweiten Anbieter am Marktzutritt hindere (§ 19 Abs. 1 u. 4 Nr. 1 GWB). Außerdem habe die SWM-V durch die Nichtbelieferung der von ihr abhängigen Stadtwerke Dachau gegen das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot des § 20 Abs. 2 GWB verstoßen.

Gegen diese Verfügung hat SWM-V Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens kam es zwischen SWM-V und den Stadtwerken Dachau doch noch zum Abschluss eines Gaslieferungsvertrages.

Die SWM-V ist davon ausgegangen, dass sich ihre Beschwerde mit Ablauf des , hilfsweise bereits mit Abschluss des Gaslieferungsvertrages am , erledigt habe. Sie hat beantragt festzustellen, dass die Verfügung der Landeskartellbehörde rechtswidrig war.

Das Oberlandesgericht hat dem Fortsetzungsfeststellungsantrag der SWM-V stattgegeben und die Rechtswidrigkeit der Verfügung der Landeskartellbehörde festgestellt. Hiergegen richtet sich die - vom Senat zugelassene - Rechtsbeschwerde der Landeskartellbehörde.

II.

Das Beschwerdegericht hat die Verfügung der Landeskartellbehörde als rechtswidrig angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Auf dem Markt der Belieferung von Weiterveräußerern mit Gas sei SWM-V nicht marktbeherrschend, selbst wenn sie zwei kommunale Gaswerke beliefern sollte, die ihr konzernmäßig nicht zuzurechnen wären. Allenfalls beherrsche sie den Endkundenmarkt im Netzgebiet Dachau, weil der Gasmarkt nach den Netzen der beteiligten Unternehmen abzugrenzen sei. Unabhängig davon liege ein Missbrauch nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB nicht vor, weil SWM-V sich auf einen sachlich gerechtfertigten Grund für die Nichtbelieferung der Stadtwerke Dachau berufen könne. Zwar könne die Lieferungsverweigerung zu einer Festigung der marktbeherrschenden Stellung von SWM-V auf dem Endkundenmarkt in Dachau führen. Doch sei auch dem Marktbeherrscher eine Belieferung von Konkurrenten nur unter besonderen Voraussetzungen zuzumuten. Im Streitfall könne von einer solchen Ausnahme allenfalls dann ausgegangen werden, wenn den Stadtwerken Dachau der Marktzutritt ohne diese Belieferung vollständig versagt gewesen wäre. Den Stadtwerken Dachau sei es indessen nicht auf Dauer unmöglich gewesen, einen Liefervertrag mit einem anderen Gaslieferanten abzuschließen; auch hätten sie nicht alle zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft, einen Liefervertrag mit einem anderen Gaslieferanten abzuschließen. Die Versorgung der Endkunden sei - nicht zuletzt im Hinblick auf die Lieferbereitschaft der SWM-V - nie gefährdet gewesen.

Im Verhalten der SWM-V liege auch keine unbillige Behinderung. Eine marktbeherrschende Stellung auf dem Weiterverteilermarkt komme SWM-V nicht zu. Auch eine Abhängigkeit im Sinne von § 20 Abs. 2 GWB sei nicht gegeben, weil ausreichende und zumutbare Möglichkeiten bestanden hätten, auf andere Lieferanten auszuweichen.

III.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der (Fortsetzungsfeststellungs-)Beschwerde.

Das Beschwerdegericht hat die Untersagungsverfügung der Landeskartellbehörde zu Unrecht als rechtswidrig angesehen. Die Weigerung der SWM-V, die Stadtwerke Dachau auch nur für eine Übergangszeit bis zur endgültigen Klärung anderer Belieferungsmöglichkeiten mit Gas zu beliefern, stellt eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 19 Abs. 1 und 4 Nr. 1 GWB dar.

1. Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht eine beherrschende Stellung der SWM-V auf dem - räumlich durch das herkömmliche Versorgungsgebiet dieses Unternehmens definierten - Markt der Belieferung lokaler Weiterverteiler mit Gas verneint.

a) Der sachlich relevante Markt wird im Streitfall durch das von den Stadtwerken Dachau nachgefragte Gut bestimmt. Die Stadtwerke benötigen für die Versorgung der an ihr Netz angeschlossenen Letztverbraucher Gas, das sie von einem regionalen oder überregionalen Weiterverteiler beziehen können. Die vom Beschwerdegericht in die Betrachtung einbezogenen Verhältnisse auf dem Endverbrauchermarkt - also dem Markt, auf dem die Letztverbraucher ihrerseits Gas beziehen - spielen dagegen im Streitfall keine Rolle.

b) Die Frage, ob SWM-V in der Vergangenheit nur zu ihrem Konzern gehörende lokale Weiterverteiler mit Gas beliefert hat, ist für die Marktabgrenzung ohne Bedeutung. Ein Unternehmen kann auch dann als Teilnehmer auf einem bestimmten Markt und gegebenenfalls als marktbeherrschend im Sinne von § 19 Abs. 2 GWB anzusehen sein, wenn es in dem betreffenden Geschäftsverkehr noch nicht tätig ist und auch nicht tätig werden möchte (BGHZ 128, 17, 27 - Gasdurchleitung; vgl. ferner , WuW/E 647, 648, 649 - Rinderbesamung I; Urt. v. - KZR 54/71, WuW/E 1238, 1241 f. - Registrierkassen). Ob ein Unternehmen in der Vergangenheit an einem bestimmten Geschäftsverkehr teilgenommen hat, ist keine Frage, die sich im Rahmen der Marktabgrenzung stellt. Sie kann im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB von Bedeutung sein, wenn es darum geht, ob ein bestimmter Geschäftsverkehr vergleichbaren Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, stellt sich aber jedenfalls im Rahmen des Missbrauchs- oder Diskriminierungstatbestandes bei der Prüfung eines sachlich gerechtfertigten Grundes, der für die Weigerung, sich an dem fraglichen Geschäftsverkehr zu beteiligen, bestehen kann.

c) Mit Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass jedenfalls im hier maßgeblichen Zeitpunkt zu Beginn des Jahres 2003 der räumlich relevante Markt nicht größer ist als das Versorgungsgebiet des weichenden Gasversorgungsunternehmens.

Die räumliche Marktabgrenzung bestimmt sich nach den tatsächlichen Ausweichmöglichkeiten, die für die Marktgegenseite, hier für kommunale Weiterverteiler, bestehen. Kleinere räumliche Teilmärkte sind immer dann zu bilden, wenn die Austauschmöglichkeiten der Nachfrager aus objektiven Gründen regional begrenzt sind. Hierfür können neben wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten rechtliche Schranken ursächlich sein, wie sie in der Vergangenheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgungswirtschaft bestanden haben (vgl. Ruppelt in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 19 GWB Rdn. 27). Eine Änderung der durch regional begrenzte Märkte bestimmten Marktverhältnisse tritt jedoch nicht notwendig bereits mit der Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ein, die in der Vergangenheit für die räumliche Begrenzung der Märkte verantwortlich waren (BGHZ 156, 379, 385 - Strom und Telefon I). Maßgeblich ist vielmehr die Entwicklung der tatsächlichen Marktverhältnisse (vgl. BGHZ 136, 268, 277 - Stromversorgung Aggertal). Diese werden auch weiterhin davon bestimmt, dass die Gasversorgungsunternehmen in ihren herkömmlichen Versorgungsgebieten über ein natürliches Monopol an der Netzstruktur verfügen, solange nicht ein rechtlich abgesichertes und praktisch handhabbares Durchleitungssystem besteht, das anderen Weiterverteilern die Möglichkeit einräumt, Nachfrager in dem in Rede stehenden Gebiet zu Wettbewerbsbedingungen zu beliefern. Mit Recht haben die Landeskartellbehörde und das Bundeskartellamt darauf hingewiesen, dass zumindest in der Vergangenheit für Gas ein solches Durchleitungssystem noch nicht bestand. Hieran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass SWM-V - was im Hinblick auf die rechtliche Regelung in § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB nicht viel heißen muss - die grundsätzliche Bereitschaft zur Durchleitung erklärt hatte und eine Belieferung der Stadtwerke Dachau durch einen auswärtigen Weiterverteiler zum damaligen Zeitpunkt möglich erschien.

2. Ist der Markt, auf dem die Stadtwerke Dachau von regionalen Weiterverteilern Gas nachfragen, netzbezogen abzugrenzen, unterliegt es keinem Zweifel, dass SWM-V auf diesem Markt über eine beherrschende Stellung verfügt (§ 19 Abs. 2 Satz 1 GWB).

3. Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht die Weigerung der SWM-V, die Stadtwerke Dachau mit Gas zu beliefern, als sachlich gerechtfertigt angesehen. Es hat dabei nicht hinreichend berücksichtigt, dass die angefochtene Untersagungsverfügung der Landeskartellbehörde eine Belieferung nicht auf Dauer vorsah. Vielmehr ging es allein um die Belieferung während einer verhältnismäßig kurzen Übergangsfrist von drei Monaten, um den Stadtwerken bis zum Abschluss eines endgültigen Vertrages mit einem Weiterverteiler die Möglichkeit einzuräumen, den Letztverbrauchern mit der Übernahme des Netzes Anfang 2003 eine Versorgungsalternative zum bisherigen Versorgungsunternehmen anzubieten. Zwar verweist das Beschwerdegericht zu Recht auf die Rechtsprechung, nach der auch einem marktbeherrschenden Unternehmen in der Regel nicht zugemutet werden kann, einen Wettbewerber gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu beliefern. Dieses grundsätzlich als berechtigt anzuerkennende Interesse auch des Marktbeherrschers findet jedoch dort seine Grenzen, wo es der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zuwiderläuft, sich insbesondere gegen die Offenheit des Marktzugangs richtet (vgl. BGHZ 129, 53, 64 - Importarzneimittel; ferner , WuW/E 2707, 2716 - Einzelkostenerstattung). Im Streitfall ist das Interesse von SWM-V darauf gerichtet, die Endkunden, die an das den Stadtwerken Dachau übertragene Netz angeschlossen sind, wie in der Vergangenheit unter Ausschluss von Wettbewerbern unmittelbar zu beliefern. Dieses Interesse kann indessen entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht als berechtigt anerkannt werden. Denn es läuft dem gesetzgeberischen Ziel zuwider, die früher durch die gesetzliche Gestattung von Konzessions- und Demarkationsabsprachen geschützten Monopole aufzubrechen und den Ablauf bestehender Konzessionsverträge sowie die Übernahme des Netzes durch einen anderen Versorger für eine Öffnung des Wettbewerbs zu nutzen und zu verhindern, dass die Endkunden trotz Ablauf des Konzessionsvertrages und trotz Übertragung des Netzes faktisch an den bisherigen Versorger gebunden bleiben (vgl. BGHZ 143, 128, 157 - Endschaftsbestimmung). Damit würde eine Marktzutrittsschranke aufrechterhalten, die zu beseitigen das erklärte Ziel des Gesetzgebers im Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte ist.

IV. Danach ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufzuheben. Da die angefochtene Untersagungsverfügung der Landeskartellbehörde zu Recht ergangen ist, ist die Beschwerde, mit der SWM-V zuletzt den Fortsetzungsfeststellungsantrag verfolgt hat, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 GWB.

Fundstelle(n):
WM 2006 S. 1266 Nr. 26
WAAAC-01281

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja