BGH Urteil v. - IX ZR 184/04

Leitsatz

[1] a) Eine in der kritischen Zeit mit dem Schuldner getroffene Vereinbarung, nach der dieser berechtigt ist, sich durch eine andere als die eigentlich geschuldete Leistung von seiner Schuld zu befreien, ist inkongruent.

b) Eine Stundungsvereinbarung der Finanzbehörde mit einem zahlungsunfähigen Schuldner, nach der Stundung gegen Abtretung einer Kundenforderung gewährt wird, ist auch dann inkongruent, wenn sich die Forderung des Schuldners ebenfalls gegen einen Träger hoheitlicher Gewalt richtet.

Gesetze: InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2; AO § 222

Instanzenzug: LG Bremen

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH & Co. KG, das auf Antrag vom am eröffnet wurde.

Am trat die schon zahlungsunfähige Schuldnerin alle ihr noch zustehenden Forderungen aus einem Vertrag mit dem Landkreis Soltau-Fallingbostel über Elektroarbeiten an einer Schule an das beklagte Land ab. Die Abtretung wurde dem Drittschuldner angezeigt. Am stundete das beklagte Land der Schuldnerin Umsatzsteuer, Verspätungszuschlag hierauf, Zinsen und Säumniszuschläge aus dem Zeitraum von November 2001 bis Oktober 2002 in einer Gesamthöhe von 14.380,33 €. Die Stundung erfolgte "gegen Sicherheitsleistung vom an bis zur Auszahlung der abgetretenen Forderung durch den Landkreis". Bis zum erhöhte sich der gestundete Betrag auf 19.884,57 €. Der Drittschuldner zahlte lediglich 16.353,09 €. Daraufhin widerrief das beklagte Land die Stundung des übersteigenden Betrages von 3.531,48 €.

Der Kläger hat die Forderungsabtretung in Höhe von 16.353,09 € als inkongruente Deckung angefochten. Die Vorinstanzen haben der auf Wertersatz gerichteten Zahlungsklage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt das beklagte Land die Abweisung der Klage.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg; die Anfechtungsklage ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der geltend gemachte Zahlungsanspruch sei gegeben, weil die Abtretung innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO und zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden sei, in dem die Schuldnerin objektiv zahlungsunfähig gewesen sei. Die gewährte Deckung sei inkongruent. Allerdings habe bei Abschluss des Abtretungsvertrages gegen die Schuldnerin eine fällige Steuerforderung des beklagten Landes bestanden. Der Anspruch sei jedoch auf Erfüllung durch Zahlung gerichtet gewesen. Auf die Abtretung der Forderung erfüllungshalber oder an Erfüllungs Statt habe das beklagte Land keinen Anspruch gehabt. Die Stundung der Steuerforderung nach § 222 AO stehe dem nicht entgegen. Zum einen sei die Stundung erst nach der Abtretung erfolgt. Zum anderen gewähre § 222 Satz 2 AO keinen unmittelbaren Anspruch auf Sicherheitsleistung. Die Vorschrift hindere die Finanzbehörden im Rahmen der nach § 222 Satz 1 AO zu treffenden Ermessensentscheidung nicht daran, einer Insolvenzlage Rechnung zu tragen.

II.

Das Berufungsgericht hat die Abtretung der Werklohnforderung der Schuldnerin an das beklagte Land mit Recht als nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar angesehen.

1. Die Abtretung vom liegt, weil der Eröffnungsantrag am gestellt wurde, innerhalb der Frist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Schuldnerin war im Zeitpunkt der Abtretung objektiv zahlungsunfähig. Hiergegen wendet sich die Revision nicht.

2. Die Abtretung ist auch inkongruent im Sinne von § 131 Abs. 1 InsO. Denn sie hat dem beklagten Land eine Sicherung gewährt, die es in dem Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 Abs. 1 InsO) nicht zu beanspruchen hatte. Gemäß § 222 Satz 1 und 2 AO konnte das beklagte Land zwar sein Ermessen dahin ausüben, dass es die Steuerschuld nur gegen Sicherheitsleistung stundete. Denn die in § 222 Satz 1 AO eingeräumte Möglichkeit, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise zu stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint, soll nach § 222 Satz 2 AO in der Regel nur "gegen Sicherheitsleistung" gewährt werden. Worin diese Sicherheitsleistung bestehen kann, lässt die Bestimmung offen. Danach stand dem beklagten Land wenn überhaupt, so jedenfalls kein Anspruch auf eine bestimmte Sicherheit und somit auch kein Anspruch auf die Forderung gegen den Landkreis Soltau-Fallingbostel zu.

a) Die Behandlung der Sicherheitsleistung gemäß § 222 Satz 2 AO als inkongruent entspricht - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in der Literatur (vgl. FK-InsO/Dauernheim, 3. Aufl. § 131 Rn. 21; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 130 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 23; Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 131 Rn. 24; zur Konkursordnung s. ferner Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rn. 223; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 30 Rn. 53). Soweit App (NJW 1985, 3001, 3003) von der Revision als Vertreter einer Gegenmeinung zitiert wird, ist dies nicht richtig. App stellt lediglich die Gläubigerbenachteiligung durch die für eine Stundung von den Finanzbehörden geforderte Sicherheitsleistung in Frage, wenn die andernfalls durchgeführte Vollstreckung nicht zur vollständigen Zahlung der fälligen Steuern geführt, etwa den Unternehmenszusammenbruch ausgelöst hätte und selbst anfechtbar gewesen wäre.

Im übrigen sind die Ausführungen von App nicht auf den hier vorliegenden Fall zugeschnitten, dass die Abtretung zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem der Steuerschuldner bereits zahlungsunfähig ist. In diesem Fall wird den Gläubigern durch die Zession ein gegebenenfalls werthaltiges Zugriffsobjekt entzogen. Daher ist die Gläubigerbenachteiligung auch nach der Auffassung von App hier nicht zu bezweifeln.

b) Da die Absprache zwischen dem beklagten Land und der Schuldnerin in die Drei-Monats-Frist des § 131 InsO und damit in die kritische Zeit fällt, ist sie unabhängig davon inkongruent, ob die Vereinbarung inhaltlich als Gewährung einer Sicherheit oder als die Einräumung einer Ersetzungsbefugnis auszulegen ist.

aa) War die Abtretung als Einräumung einer Sicherheitsleistung zu verstehen, wurde dem beklagten Land nachträglich eine Sicherheit gewährt, auf die es keinen Anspruch hatte und die deshalb inkongruent ist (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 23; Uhlenbruck/Hirte, aaO § 131 Rn. 24, 26).

bb) War die Schuldnerin aufgrund der Vereinbarung vom ermächtigt, sich durch eine andere als die eigentlich geschuldete Leistung zu befreien, stand ihr also eine Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) zu, gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar ist eine Leistung nicht schon deshalb inkongruent, weil der Schuldner von einer Ersetzungsbefugnis Gebrauch macht, obschon der Gläubiger keinen Anspruch auf die ersetzende Leistung hat (vgl. BGHZ 70, 177, 183 f). Unverdächtig ist in diesem Fall aber nur die vor der kritischen Zeit getroffene Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis (vgl. BGHZ aaO; Jaeger/Henckel, aaO § 30 Rn. 213; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 12; HK-InsO/Kreft, 3. Aufl. § 131 Rn. 9). An einer in unkritischer Zeit getroffenen Vereinbarung fehlt es im vorliegenden Fall. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus der angeblichen "ständigen Praxis" der Finanzverwaltung (vgl. dazu unter c aa).

cc) Bei dem von der Revision aufgegriffenen Einwand, ohne die Stundung gegen Sicherheitsleistung hätte sich die Zugriffslage der Gläubiger im Endergebnis nicht anders dargestellt, handelt es sich um eine hypothetische und deshalb unzulässige Betrachtung (vgl. , WM 2005, 1712, 1714; HK-InsO/Kreft, aaO § 129 Rn. 63). Im Übrigen ist sie auch unzutreffend. Wenn die Schuldnerin ihre Kundenforderung nicht an das beklagte Land abgetreten hätte, wäre sie Bestandteil der Masse geworden. Die Frage, ob die Abtretung gegen Stundung auch dann anfechtbar wäre, wenn sich das beklagte Land durch Aufrechnung hätte befriedigen können (§§ 94, 95 InsO), stellt sich nicht. Eine Aufrechnung war mangels Gegenseitigkeit der beiderseitigen Forderungen nicht möglich.

c) Der besondere Umstand, dass die Stundung durch die Finanzbehörde gewährt wurde, weil die Schuldnerin ihrerseits einen Zahlungsanspruch gegen einen Träger öffentlicher Gewalt, nämlich den Landkreis Soltau-Fallingbostel geltend machen konnte, steht der Anfechtbarkeit der Abtretung nicht entgegen.

aa) Das Vorbringen der Revision, dass die Gewährung von Stundungen in derartigen Fällen einer dauerhaft geübten Praxis der Finanzverwaltung entspricht, mag zutreffen. Es kann für die Revisionsinstanz auch unterstellt werden, dass die Finanzbehörden in der Ausübung ihres Ermessens insoweit gebunden sein können, wenn der Steuerschuldner noch nicht insolvenzreif ist. Die Revision vernachlässigt indes, dass die Finanzbehörden im Streitfall den Zahlungsaufschub zunächst nicht gegen, sondern ohne Sicherheit gewährt und die Sicherheit erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin verlangt haben. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt bestand kein Anspruch der Schuldnerin mehr, einen Stundungsantrag Zug um Zug gegen Abtretung einer werthaltigen Kundenforderung durchzusetzen. Ihre organschaftlichen Vertreter hatten vielmehr ohne schuldhaftes Zögern die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (vgl. § 130a Abs. 1 Satz 2 und 3, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB). Im Übrigen ist der Schluss, aus dem Rechtsanspruch auf Stundung folge zugleich die Kongruenz der Deckung, auch deshalb nicht zutreffend, weil § 222 Satz 2 AO - wie dargelegt - keinen Anspruch auf eine bestimmte Sicherheit gewährt.

bb) Auf die von der Revision herausgestellte weitere Besonderheit, dass die Schuldnerin laufende Umsatzsteuern entrichten sollte, die aus öffentlichen Aufträgen herrührten, während die Zahlungen durch die öffentliche Hand nur schleppend erfolgten, kommt es hierbei ebenfalls nicht an. Selbst wenn einem Stundungsbegehren aus dem Gesichtspunkt einer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebotenen "Verrechnungsstundung" (im weiteren Sinne) auch ohne Identität der Aufrechnungsbeteiligten entsprochen werden müsste, weil das Beharren der Finanzbehörden auf der juristischen Trennung beim Steuerpflichtigen auf Unverständnis stieße, ist für die Ermessensreduzierung auf Null in diesem Sonderfall kein Raum mehr, nachdem der Steuerschuldner zahlungsunfähig geworden ist. Nach den handelsrechtlichen Bestimmungen darf der organschaftliche Vertreter der Schuldnerin ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht mehr zahlen (vgl. § 130a Abs. 2 Satz 1, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB). Unter das Zahlungsverbot fällt auch die Hingabe von Sachen und Rechten ohne hinreichende Gegenleistung (vgl. Baumbauch/Hopt, HGB 31. Aufl. § 130a Rn. 9). Sinn und Zweck des mit der Ersatzpflicht des organschaftlichen Vertreters bewehrten Zahlungsverbots ist es, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine ihr nachteilige bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (vgl. BGHZ 143, 184, 186 zu § 64 Abs. 2 GmbHG; Baumbach/Hopt, aaO). Nach der Person des Drittschuldners wird in § 130a Abs. 2, § 161 Abs. 2, § 177a Satz 1 HGB nicht unterschieden. Wenn die Finanzbehörden eine Stundung bei anfechtbarer Annahme einer angebotenen Sicherheit ablehnen, kann darin keine "erhebliche Härte" im Sinne des § 222 AO liegen. Stundungsvereinbarungen gegen Abtretung werthaltiger Ansprüche begründen deshalb, wenn sie in der kritischen Zeit getroffen werden, generell den Verdacht einer krisenbedingten Vermögensverschiebung und sind vom Anwendungsbereich des § 131 InsO nicht auszunehmen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2544 Nr. 47
BFH/NV-Beilage 2006 S. 391 Nr. 3
DB 2006 S. 276 Nr. 5
INF 2005 S. 893 Nr. 23
NJW-RR 2006 S. 414 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4246
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2006 S. 207
WM 2005 S. 2193 Nr. 46
ZIP 2005 S. 2025 Nr. 45
VAAAC-00386

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja