BGH Urteil v. - IX ZR 151/04

Leitsatz

[1] Der Bescheid über einen Herstellungsbeitrag zur anteilmäßigen Finanzierung der Investitionskosten der öffentlichen Entwässerungsanlagen ist nicht dem Zwangsverwalter, sondern dem Grundstückseigentümer bekannt zu geben.

Gesetze: ZVG § 10 Abs. 1 Nr. 3; ZVG § 152 Abs. 1; ZVG § 155 Abs. 2; AO § 122 Abs. 1; AO § 122 Abs. 5

Instanzenzug: AG Nordhausen 27 C 537/03 vom LG Mühlhausen 1 S 276/03 vom

Tatbestand

Die Klägerin war Inhaberin eines Grundpfandrechts an dem im Wohnungseigentumsgrundbuch von N. eingetragenen Wohnungseigentum einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts; Gesellschafter waren B. aus W. und J. K. aus H. . Auf Antrag der Klägerin wurde am die Zwangsverwaltung angeordnet und auf ihren Vorschlag ein Institutsverwalter bestellt. Die beklagte Stadt erhob mit Bescheid vom einen Herstellungsbeitrag zur anteilmäßigen Finanzierung der Investitionskosten der öffentlichen Entwässerungsanlagen (Kanalnetz und Kläranlage) in Höhe von 324,49 €. Der Bescheid wurde dem Gesellschafter K. unter seiner Wohnanschrift zugestellt; im Adressfeld war auch der Name der dort nicht wohnhaften Mitgesellschafterin B. aufgeführt.

Später wurde das Wohnungseigentum auf Betreiben der Klägerin zwangsversteigert. Die Beklagte meldete ihre Beitragsforderung im Zwangsversteigerungsverfahren an. Im Teilungsplan vom wurde dieser Betrag der Beklagten aus dem Versteigerungserlös zugeteilt, während die Ansprüche der Klägerin aus dem Grundpfandrecht erst im Rang danach berücksichtigt wurden. Auf den Widerspruch der Klägerin gegen die vorrangige Berücksichtigung der Beitragsforderung wurde der Teilungsplan in diesem Punkt nicht ausgeführt.

Die Vorinstanzen haben der fristgerecht erhobenen Widerspruchsklage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beitragsbescheid habe nicht an den Zwangsverwalter zugestellt werden müssen, weil die Begleichung des Beitrags nicht zu seinen abgabenrechtlichen Pflichten gezählt habe. An die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei der Bescheid nicht wirksam zugestellt worden; er sei lediglich an die Gesellschafter gerichtet gewesen. Mangels wirksamer Zustellung hätte der Betrag in Höhe von 324,49 € nicht in dem Teilungsplan berücksichtigt werden dürfen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Vollstreckungsgericht hat die Beitragsforderung der beklagten Stadt zu Recht mit Vorrang gegenüber dem in die Rangklasse 4 fallenden dinglichen Recht der Klägerin (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG) in den Teilungsplan aufgenommen. Denn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sind erfüllt. Danach begründet die öffentliche Last für eine Beitragspflicht, die vor Erteilung des Zuschlags fällig geworden ist, für die bis zu vier Jahre rückständigen Beträge Anspruch auf Befriedigung aus dem Grundstück in der Rangklasse 3 (Stöber, ZVG 18. Aufl. § 10 Anm. 6.4 Buchst. b, Anm. 6.17 Buchst. a und b). Nach der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten wurde der Beitrag einen Monat nach der (wirksamen) Bekanntgabe des Beitragsbescheids und damit innerhalb von vier Jahren vor dem am verkündeten Zuschlag fällig.

Der Beitragsbescheid ist der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (i.F.: GbR), in deren Eigentum das zwangsversteigerte Wohnungseigentum stand, wirksam zugestellt worden.

1. Die Anforderungen, die das Thüringer Kommunalabgabengesetz (i.F.: ThürKAG) an die Bekanntgabe des Beitragsbescheids der beklagten Stadt stellt, sind erfüllt.

a) § 15 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ThürKAG verweist hierzu auf die entsprechenden Vorschriften der Abgabenordnung. Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Das ist hier die GbR als damalige Inhaberin des Wohnungseigentums; an diese war der Beitragsbescheid zu richten (vgl. BFH/NV 2001, 178 f; 2001, 1220; 2002, 370, 371). Der Beitragsbescheid ist - auch hinsichtlich des in ihm angegebenen Inhaltsadressaten - entsprechend dem objektiven Verständnishorizont des Empfängers auszulegen (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO, §§ 133, 157 BGB; vgl. BFH/NV 1989, 749, 750; BFH BStBl. II 1995, 241, 242; 1996, 256, 257; Klein/Brockmeyer, AO 8. Aufl. § 122 Rn. 4, § 119 Rn. 5). Es genügt, wenn sich der Adressat bei nicht richtiger Eintragung im Anschriftenfeld aus dem Bescheidinhalt insgesamt mit Sicherheit entnehmen lässt (BFH BStBl. II 1977, 221, 223; Klein/Brockmeyer, aaO § 122 Rn. 14). Die Auslegung, die der Senat selbst vornehmen kann (, NJW 1998, 2138, 2139 f), ergibt, dass die GbR selbst Inhaltsadressat ist: Der Bescheid ist hier zwar nur an die Wohnanschrift eines der Gesellschafter gerichtet und enthält auch keinen auf die GbR hinweisenden Zusatz. Jedoch sind im Adressfeld die Namen beider Gesellschafter angegeben. Daraus folgt zunächst, dass der Bescheid an eine Personenmehrheit gerichtet ist. Im Eingang des Textes des Bescheides führt die beklagte Stadt aus, dass die Adressaten als Grundstückseigentümer nach ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung beitragspflichtig seien. Der Beitrag werde für das - bestimmt bezeichnete - Grundstück erhoben. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass der Bescheid sich an die aus den im Anschriftenfeld angegebenen Personen bestehende GbR richtete. Denn nur diese kam als Grundstückseigentümerin in Betracht. Damit ist der Zweck des § 122 Abs. 1 Satz 1 AO, Verwechselungen auszuschließen und zu vermeiden, dass Bescheide wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht befolgt werden können, erfüllt; entscheidend ist allein, ob der Schuldner der Abgabenforderung sich sicher identifizieren lässt (BFH/NV 1993, 702, 704; BFH BStBl. II 1996, 256, 258). Dies kann hier nach dem Inhalt des Beitragsbescheids nicht zweifelhaft sein.

b) Die Bekanntgabe des Beitragsbescheids an einen der Gesellschafter der GbR reichte für eine wirksame Bekanntmachung aus. Zwar richtete sich der Verwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ThürKAG, § 122 Abs. 1 Satz 1 AO an die GbR. Hierbei ist aber gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2 AO die Vorschrift des § 34 Abs. 2 AO entsprechend anzuwenden. Nach dieser Bestimmung haben die Mitglieder oder Gesellschafter einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung die steuerlichen Pflichten der Vereinigung zu erfüllen, soweit die Vereinigung ohne Geschäftsführer ist. Die Behörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Da die Entgegennahme von Abgabenbescheiden zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehört, reicht es nach den vorgenannten Vorschriften zur wirksamen Bekanntgabe aus, dass ein Abgabenbescheid gegenüber einer GbR, die keinen Geschäftsführer hat, einem der Gesellschafter bekannt gegeben wird. Eine GbR hat keinen Geschäftsführer im Sinne des § 34 Abs. 2 AO, wenn die Gesellschafter keine besondere Regelung über die Geschäftsführung getroffen haben. Dann steht die Geschäftsführung gemäß § 709 Abs. 1 BGB allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu (BFH BStBl. II 1996, 256, 258). Die zuständige Behörde kann sich daher gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Satz 2 AO stets dann an einen der vertretungsberechtigten Gesellschafter (§ 714 BGB) halten, wenn kein Geschäftsführer nach § 710 BGB besonders bestellt ist (BFH BStBl. II 1986, 539, 540; 2003, 890, 891; NJW 1987, 1720; BFH/NV 1988, 622, 623; 1998, 1451, 1452). Es ist nicht vorgetragen, dass die GbR einen Geschäftsführer besonders bestellt hatte. Folglich genügte die Bekanntgabe an einen von ihnen.

c) Der Beitragsbescheid war nicht stattdessen dem Zwangsverwalter bekannt zu machen (so auch Thiem, Allgemeines kommunales Abgabenrecht S. 203). Dies wäre nur dann anders, wenn der Zwangsverwalter anstelle der Mitglieder der GbR die in § 34 Abs. 2 AO in Bezug genommenen abgabenrechtlichen Pflichten zu erfüllen gehabt hätte. In diesem Fall wäre ebenso zu verfahren wie im Insolvenzverfahren: Steuerbescheide sind dann an den Insolvenzverwalter zu richten, wenn die Steuerforderung zu den Masseverbindlichkeiten gehört (BFH BStBl. II 1994, 600, 602 zum Konkursverwalter; OLG Zweibrücken KTS 1967, 175, 177 zum Zwangsverwalter). So liegt es hier aber nicht: Die Befugnisse des Zwangsverwalters sind auf den von der Beschlagnahme erfassten Teil des schuldnerischen Vermögens beschränkt (, WM 2005, 1418, z.V.b. in BGHZ 163, 9). Die Zwangsverwaltung ist darauf gerichtet, die laufenden, aus der ordnungsgemäßen Nutzung des Grundstücks stammenden Erträge zur Befriedigung des Gläubigers einzusetzen, während dem Schuldner die Substanz des Vermögensgegenstandes ungeschmälert erhalten bleibt ( IXa ZB 231/03, ZInsO 2005, 86, 87). Der Zwangsverwalter hat daher das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsgemäß zu benutzen (§ 152 Abs. 1 ZVG). Dem entspricht es, dass Ansprüche, die das von ihm verwaltete Vermögen des Schuldners betreffen, gegen ihn zu richten und gegebenenfalls im Klagewege durchzusetzen sind (, BGH-Report 2005, 1275, 1276). Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a ThürKAG, § 34 Abs. 3 AO hat der Zwangsverwalter daher Beitragspflichten zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht (Klein/Rüsken, aaO § 34 Rn. 25). Er haftet folglich nur für diejenigen Abgaben, die aus der Zwangsverwaltungsmasse zu entrichten sind. Eine weiter gehende Verantwortlichkeit für öffentlich-rechtliche Abgaben trifft ihn nicht (OLG Zweibrücken aaO; Stöber, aaO § 152 Anm. 15.2).

Auf den von der Beklagten erhobenen Herstellungsbeitrag erstreckte sich die Verwaltung des Zwangsverwalters nicht. Dieser Beitrag war bei der dem Verwalter obliegenden Verteilung der Überschüsse gemäß § 155 Abs. 2 ZVG nicht zu berücksichtigen. In die dritte Rangklasse des § 10 Abs. 1 ZVG fallende Ansprüche werden nur insoweit berücksichtigt, als sie auf laufende wiederkehrende Leistungen sowie auf ähnliche, im Gesetz näher bezeichnete Zahlungen gerichtet sind; darum geht es hier nicht. Daher greift auch § 156 Abs. 1 ZVG nicht ein (vgl. RGZ 142, 85, 94). Hauptsacheansprüche fallen in Klasse 5 (Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, Zwangsverwaltung 3. Aufl. § 155 ZVG Rn. 19; Stöber, aaO § 155 Anm. 6.5. Buchst. e; Depré/Mayer, Die Praxis der Zwangsverwaltung 2. Aufl. Rn. 238, 239, 242). Insoweit nimmt die Beklagte aber an der Erlösverteilung gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 ZVG nicht teil, weil sie nicht betreibende Gläubigerin ist (vgl. RG aaO S. 93 f; Stöber, aaO Anm. 7.1; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hintzen, aaO). Aus § 152 ZVG können in dem hier gegebenen Zusammenhang keine weiter gehenden Befugnisse des Verwalters abgeleitet werden, weil das Gesetz diese insoweit abschließend bestimmt.

Da somit die Zahlung des Herstellungsbeitrages nicht dem Zwangsverwalter oblag, war der darauf gerichtete Bescheid der beklagten Stadt auch nicht diesem, sondern der GbR als Inhaberin des Wohnungseigentums bekannt zu machen.

2. Die Zustellung war wirksam. Sie war - wie hier geschehen - an den zur Vertretung der GbR berechtigten Bekanntgabeadressaten zu richten (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ThürKAG, § 122 Abs. 5 AO, § 7 Abs. 2 und 3 Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz [ThürVwZVG]; vgl. BFH NJW 1987, 1720; BStBl. II 1990, 272, 273) und jedenfalls nach § 3 Abs. 1, § 9 ThürVwZVG wirksam. Dies ziehen mit Recht weder das Berufungsgericht noch die Parteien im Revisionsverfahren in Zweifel.

3. Der Herstellungsbeitrag gehört nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zu den Ansprüchen auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge. Eine Abgabenverpflichtung hat dann die Eigenschaft einer öffentlichen Grundstückslast, wenn sie auf öffentlichem Recht beruht, durch wiederkehrende oder einmalige Geldleistungen zu erfüllen ist und nicht nur die persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks voraussetzt. Hierüber entscheidet das für die konkret in Rede stehende Abgabe maßgebende öffentliche Bundes- oder Landesrecht (, NJW 1989, 107, 108). Gemäß § 7 Abs. 9 Satz 1 Halbs. 1 ThürKAG ruht der mit Bescheid vom geltend gemachte Herstellungsbeitrag als öffentliche Last auf dem Grundstück; gegen die Berücksichtigung der mit der Anmeldung geltend gemachten Nebenleistungen hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZVG und hierzu Stöber, aaO § 10 Anm. 6.14).

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, hat der Senat selbst eine Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Vollstreckungsgericht hat der fälligen Beitragsforderung der Beklagten mit Recht Vorrang gegenüber dem dinglichen Recht der Klägerin zugemessen. Die Klage ist daher abzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW-RR 2006 S. 1096 Nr. 16
EAAAC-00276

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja